Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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In den unvergleichlich fruchtbaren Jahren des paduanischen Aufenthalts kam zu dem Material, das späterhin im Dialog verarbeitet wurde, eine reiche Fülle hinzu. In jene Jahre fällt vor allem die Fortsetzung der in der pisanischen Zeit begonnenen mechanischen Untersuchungen. Erst in Padua, nicht schon in Pisa, wie seit Albèri vielfach angenommen wurde27, gelangte Galilei zu dem wichtigsten Forschungsergebnisse, das wir ihm überhaupt verdanken, zu den Gesetzen der Fallbewegung. So war er im Jahre 1602, wie aus dem Briefe an Guidobaldo del Monte vom 29. November 1602 hervorgeht28, im Besitze des schönen Satzes, welcher die Gleichheit der Falldauer längs sämtlicher, im tiefsten Punkte eines vertikalen Kreises endigenden Sehnen aussagt; es ist nicht wohl denkbar, dass er zu diesem auch im Dialoge und in den Discorsi29 behandelten Satze gelangte, ohne zugleich das Gesetz der Fallbewegung zu kennen. Zwei Jahre später spricht er in einem Briefe vom 16. Oktober 1604 an Paolo Sarpi, den berühmten Geschichtsschreiber des tridentinischen Konzils, das Gesetz mit deutlichen Worten aus30; freilich versucht er damals noch, es aus einem falschen Prinzip abzuleiten, aus dem Prinzip, die erreichten Geschwindigkeiten seien proportional den durchfallenen Räumen. Eben deshalb muss, wie Wohlwill31 hervorhebt, die klassische, den Discorsi zu Grunde liegende Abhandlung de motu accelerato32, welche bereits die Proportionalität der Geschwindigkeiten mit den Fallzeiten lehrt, erst nach der Zeit des Briefes an Sarpi entstanden sein. Wohl aber hatte Galilei schon in Pisa den annähernden Isochronismus der Pendelschwingungen entdeckt und mit dem Wesen der beschleunigten Bewegung sich insofern vertraut gemacht, als er die Notwendigkeit des Durchlaufens aller Geschwindigkeitsstufen zwischen der Ruhe und einer erreichten Geschwindigkeit erkannt hatte. Diese Notwendigkeit wird späterhin im Dialog und in den Discorsi33 mit weit größerer Bestimmtheit und Klarheit dargelegt und betont als in den Sermones de motu gravium, offenbar darum, weil das Verständnis gerade dieses Punktes Galilei selbst und seinen Zeitgenossen besondere Schwierigkeiten geboten hat. An und für sich haben diese Probleme mit der Streitfrage der Weltsysteme wenig zu schaffen; da sie jedoch als wichtige Episoden im Dialoge berührt werden, so hat es für den Leser ein Interesse über die Entstehungszeit der galileischen Untersuchungen orientiert zu sein.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Diskussion über das kopernikanische System stehen dagegen die Erörterungen Galileis über das Beharren der Bewegung; denn nur, wenn die von der Erdbewegung einem irdischen Körper mitgeteilte Bewegung diesem verbleibt, auch nachdem er nicht mehr in Verbindung mit der Erde steht, lässt sich das kopernikanische System mit den alltäglichen irdischen Vorgängen in Übereinstimmung bringen. Lange Zeit hindurch war es üblich, Galilei, eben weil er die Verträglichkeit der alltäglichen Erfahrung mit der Erdbewegung so klar erläutert hat, ohne Weiteres als den Entdecker des Beharrungsgesetzes zu betrachten, desjenigen Teiles des Beharrungsgesetzes wenigstens, der aussagt, dass ein in Bewegung befindlicher, unter dem Einflusse keiner bewegenden Kraft mehr stehender Körper sich geradlinig mit gleichförmiger Geschwindigkeit ohne Ende weiterbewegt. So frühe nun auch Galilei, wie wir sahen, in die Fußstapfen Benedettis tretend, von der wunderlichen aristotelischen Auffassung sich losgemacht hatte, so hat er doch niemals die erwähnte oder eine gleichwertige Formulierung des Beharrungsgesetzes ausgesprochen. Er kennt nur oder benutzt jedenfalls nur die eine vermeintliche Tatsache, dass ein Körper beih o r i z o n t a l e rA n f a n g s b e w e g u n g ,unter welcher G. stets eineK r e i sbewegung um den Erdmittelpunkt versteht, diese Kreisbewegung in gleichförmiger Geschwindigkeit beibehält. Die einzige im Dialog enthaltene Andeutung einer allgemeineren Auffassung34 findet sich p. 278 f., wo gesagt wird, dass die aus einem schräg gerichteten Rohre abgeschossene Kugel in Richtung des Laufes weiterfliegen würde, wenn die Schwere sie nicht nach unten ablenkte. Dabei ist aber weder von der Gleichförmigkeit der ferneren Bewegung die Rede, noch wird eine allgemeine Formulierung versucht. Ebenso findet sich in den Discorsi eine lichtvolle Stelle35, wo »die begründete Vermutung« (admodum rationabile videbitur, si accipiamus …) des Beharrens auch in schiefer Richtung gelegentlich ausgesprochen wird, ohne dass jedoch von dieser Erkenntnis in den späteren Entwicklungen Gebrauch gemacht würde, so naheliegend dies nach moderner Auffassung gewesen wäre. Am allerwenigsten hat Galilei je die Fallbeschleunigung aus dem Zusammenwirken der einmal erreichten Geschwindigkeit mit dem in jedem Moment hinzutretenden Impuls der Schwere abgeleitet. Näheres über das Verhältnis Galileis zum Beharrungsgesetz enthält die mehrfach erwähnte vortreffliche Studie Wohlwills; vgl. auch die Anmerkungen zu Dial. p. 125, 135, 245, 251 f., 279, 281, 284. Hier sei nur bemerkt, dass gerade der spezielle Anlass zu der Beschäftigung mit der Frage der Beharrung, nämlich die Vereinbarkeit der täglichen Erfahrung mit dem kopernikanischen System, ein Hindernis für die volle Erkenntnis war, insofern eben hierdurch nahegelegt wurde, die Beharrung in der Kreislinie als Naturgesetz anzusehen. Hätten ausschließlich seine mechanischen Untersuchungen Galilei auf die Spur des Beharrungsgesetzes gebracht, so würde er schwerlich die reife Frucht ungepflückt gelassen haben. Da er aber um der kopernikanischen Lehre willen zunächst zu dem kreisförmigen Beharren um das Erdzentrum geführt wurde, und ein Zweifel an der strengen Gültigkeit dieser Art der Beharrung nie in ihm aufstieg, und da jene Kreisbewegungen keine Verallgemeinerung auf den Fall eines Beharrens in beliebiger Richtung zuließen, so war es ihm unmöglich einen festen unverrückbaren Standpunkt in dieser Frage zu gewinnen. »Und doch genügte, als Galilei seine Forschung abgeschlossen, ein Geist vom RangeB a l i a n i s ,ein klarer Kopf ohne hervorragende schöpferische Begabung, um den Worten des Meisters zu entnehmen, was dieser unausgesprochen gelassen hatte. Es genügte, möchte man sagen, dass er als zweiter an die gleiche Gedankenfolge trat, dass der Ursprung und die Entwicklungsgeschichte des neuen Prinzips ihm nicht ein innerlich Erlebtes waren, und dass eben deshalb jene beschränkenden Bestimmungen in der Formulierung und Auffassung für ihn die Bedeutung verloren hatten.«36 Trotzdem die Formulierung des Gesetzes bei Galilei also nicht allgemein ist, da sie sich