Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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Über die Erwägungen, die wahrscheinlich schon im Jahre 1614 im Schoße der Inquisition gepflogen wurden, verlautete zwar zunächst in Florenz noch nichts Bestimmtes; doch scheint man dort für die Richtung, in welcher der Wind wehte, feinfühlig genug gewesen zu sein, um sich zur Anwendung gröberen Geschützes gegen Galilei ermutigt zu fühlen. Ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor in Mantua der Augustinermönch Ambrogio Fiandino die Kanzel missbrauchte, um die Ideen des großen Philosophen Pomponazzi zu bekämpfen, so wagte es jetzt in Florenz der Dominikaner Tommaso Caccini, gerade ein Jahr nach dem Briefe Galileis an Castelli, in der fanatischsten Weise gegen die Kopernikaner und die Mathematiker überhaupt zu predigen. Wenn die Absicht dabei war, einen Skandal zu provozieren, so wurde sie auf das vollständigste erreicht. Alle Welt war zwar entrüstet, selbst die Ordensgenossen Caccinis; aber probat war das Mittel doch gewesen, insofern es unzweifelhaft dazu beitrug, die Verhandlungen der Inquisition in Fluss zu bringen. Unmöglich konnte man solche Vorfälle sich des Öfteren wiederholen lassen. Caccini und seine Hintermänner »wussten, wie es gemacht wird«. – Galilei rüstete sich zur Abwehr. Dazu boten sich ihm zwei Wege: Entweder er suchte, ohne auf theologische Fragen einzugehen, mit dem Aufwande aller ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel die Erdbewegung naturwissenschaftlich zu erweisen, mittelbar also eine etwaige kirchliche Verwerfung des Systems in möglichst grellen Widerspruch zu allen Vernunftwahrheiten zu bringen; oder er wies einerseits hin auf die kirchliche Unanstößigkeit der Lehre, und hob andererseits die Gefahr hervor, die der Kirche aus der Parteinahme gegen eine möglicherweise wahre Lehre erwachsen könne. Der dem Naturforscher angemessenere Weg wäre, wie die maßgebenden Personen sehr wohl herausfühlten63, der erstere gewesen. Aber sei es, dass das Werk De systemate mundi noch nicht reif für die Veröffentlichung war – und Eile tat Not – oder dass Galilei, der auf seine theologischen Erörterungen hohen Wert legte, sich größeren Erfolg von der anderen Taktik versprach, wie sie denn auch anscheinend gefahrloser und versöhnlicher war: Kurz, um die mittlerweile akut gewordene Gefahr eines kirchlichen Verbots der Lehre abzuwenden, entschloss er sich, die in dem Briefe an Castelli ausgesprochenen Gedanken detaillierter auszuführen und zwar in Gestalt eines Schreibens an die Großherzogin Mutter Christine (Op. II, 26–64).
Was in dieser berühmten Schrift, wie auch in manchen Stellen des Dialogs, besonders wohltuend berührt, ist die scharfe Betonung des Gedankens, dass die beiden Systeme sich durchaus ausschließen, dass es keine Vermittlung gebe, dass man nicht, wie in Fragen des Rechts, der Politik u. dgl. einen Kompromiss schließen könne, bei dem ein Übergewicht der größeren Beredsamkeit oder selbst der größeren Intelligenz Vorteile für die eine oder andere Seite herauszuschlagen vermöge.64 Er zielt offenbar darauf ab, die Kirche zur Nichtintervention zu veranlassen: Denn diese musste ungern zu einer profan-wissenschaftlichen Frage Stellung nehmen, wenn ihr nicht durch anderweitige Deutung der gefällten Entscheidung späterhin ein Rückzug in Aussicht gestellt blieb. Galilei sagt sehr verständlich, wenn auch versteckt hinter ehrerbietigen Redewendungen: »Hütet Euch die Bewegung der Erde als Irrlehre zu verdammen, denn hier kann nicht, wie sonst so häufig, eine nachträgliche Wortverdrehung den begangenen Fehler aus der Welt schaffen wollen.« Seine Warnung sollte ungehört verhallen, aber er hat Recht behalten. Von seiten der katholischen Kirche ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Maßregel getroffen worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nachgewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so ohne Weiteres zugegeben werden muss und zugegeben wird.
Ungefähr zu derselben Zeit, wo Galilei mit der Ausarbeitung jener denkwürdigen Schrift beschäftigt war, schickte der Dominikanerpater Lorini dem Präfekten der Indexkongregation eine Abschrift des Briefes an Castelli ein, nicht ohne einige bedenkliche Verstärkungen des Ausdrucks anzubringen, mit der Aufforderung, gegen die Kühnheit der Galileisten einzuschreiten. Die Denunziation Lorinis wurde dem heiligen Officium übermittelt und dieses tat sofort Schritte, um sich in den Besitz des Originals von Galileis Brief zu setzen; trotz aller angewendeten Schlauheit führten diese Bemühungen jedoch nicht zum Ziele. Der Prozess der Inquisition war damit gegen Galilei eröffnet. In die Einzelheiten desselben einzugehen ist an dieser Stelle nicht nötig. Es genügt das Ergebnis, soweit es festgestellt ist, mitzuteilen. Im Dezember 1615 war Galilei nach Rom gereist, sowohl um seiner persönlichen Angelegenheit willen, als um das drohende Verbot der kopernikanischen Lehre zu hintertreiben. Das gegen ihn eröffnete Verfahren scheint ihn nicht sehr beängstigt zu haben; er mochte über den vermutlichen Ausgang durch seine mit den Verhältnissen vertrauten Freunde beruhigt worden sein und in seinem heiligen Eifer für die Sache der Wahrheit seine privaten Interessen fast vergessen haben. Eine fieberhafte Tätigkeit, eine glänzende Beredsamkeit entfaltete er nach den Schilderungen von Ohrenzeugen in jener Zeit; in den Zirkeln, vor denen er mit den Gegnern disputierte, erzielte er große moralische Erfolge; man ist entzückt über die feine Ironie, mit der er anscheinend noch das Gewicht der gegnerischen Gründe verstärkt, um sie dann in ihr Nichts zerfallen zu lassen, ganz wie es Salviati im Dialoge tut; er trägt dem Kardinal Orsini seine Theorie der Gezeiten vor und schickt ihm (am 8. Januar 1616) eine schriftliche Ausarbeitung seines Vortrags zu, dieselbe Schrift, aus deren Umarbeitung und Erweiterung nachmals der vierte Tag des Dialogs hervorging. An dem Felsen der Kirche aber prallte ebenso seine irrige Fluttheorie ab wie bessere Argumente. Am 24. Februar 1616 gaben die theologischen Konsultoren der Inquisition ihr Gutachten über die beiden folgenden, ihnen vorgelegten Sätze ab: 1) Die Sonne ist der Mittelpunkt der Welt und besitzt keinerlei Ortsbewegung. 2) Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich, sondern bewegt sich als Ganzes sowie in täglicher Bewegung.65 Diese sonderbar formulierten Sätze wurden folgendermaßen begutachtet. Ad 1) Alle sagten, genannter Satz sei philosophisch töricht und absurd, außerdem formell ketzerisch, insofern er ausdrücklich den an vielen Stellen der Heiligen Schrift sich findenden Lehren widerspricht, hinsichtlich des Wortlautes sowohl als hinsichtlich der gemeinen Erklärung und Sinnesdeutung seitens der heiligen Väter und der Doktoren der Theologie. Ad 2) Alle sagten, dieser Satz sei philosophisch ebenso zu beurteilen, rücksichtlich seiner theologischen Wahrheit sei er zum mindesten irrig im Glauben. – Am folgenden Tage, dem 25. Februar 1616 beschloss das heilige Officium aufgrund dieses Gutachtens seiner Konsultoren: Kardinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und ihn ermahnen, genannte Meinung aufzugeben; wenn er sich weigere zu gehorchen, solle ihm der Kommissar der Inquisition vor Notar und Zeugen den Befehl erteilen, dass er sich durchaus enthalte, sotane Lehre und Meinung zu lehren oder zu verteidigen oder über sie zu handeln; wenn er sich dabei aber nicht beruhige, solle er eingekerkert werden.66 – Außerdem wurde (vermutlich in derselben Sitzung der Inquisition) beschlossen, von dem ergangenen Gutachten der Index-Kongregation Kenntnis zu geben, deren Aufgabe bekanntlich darin besteht, kirchlich anstößige Bücher zu verbieten oder zu suspendieren, bis das Anstößige entfernt ist, sowie die zu diesem Behufe notwendigen