er einen Versuch in dieser Richtung. Es bot sich ihm dazu folgender Anlass. Im Jahre 1616 hatte Francesco Ingoli, Rechtsanwalt aus Ravenna, an Galilei, der damals in Rom weilte und für Kopernikus agitierte, eine Schrift in Briefform geschickt85, worin er unter Versicherung seiner Hochachtung für den Entdecker der Jupiterstrabanten die kopernikanische Lehre bekämpfte. Abgesehen von einigen plumpen, dem Verfasser speziell eigentümlichen Schnitzern enthielt die Broschüre nur die landläufigen, Ptolemäus und Tycho entlehnten Argumente. Galilei hatte damals entweder das Schreiben für unwert einer Antwort gehalten oder den Zeitpunkt für wenig geeignet geachtet: Kurz, er schwieg acht Jahre. Bei seiner diesmaligen Anwesenheit in Rom aber entschloss er sich, dem Verfasser, der inzwischen Sekretär der Congregation de propaganda fide geworden war, zu antworten, hauptsächlich wohl, wie gesagt, um sich einen modus scribendi zu eigen zu machen, wie er ihn in der Folgezeit brauchte, wenn er das lang geplante Werk über die Weltsysteme zur Ausführung bringen wollte. Dies Antwortschreiben, welches das Datum »Rom, im Frühjahr 1624« trägt, ist für uns insofern von Wichtigkeit, als es eine Vorstudie zum Dialoge bildete. Als Zweck seiner Erörterungen wird von Galilei dabei – in ähnlicher Weise wie in dem Briefe an den Erzherzog Leopold und wie später in der Vorrede zum Dialog – die Absicht angegeben, den ausländischen Ketzern zu zeigen, dass man die naturwissenschaftlichen Gründe zu Gunsten der kopernikanischen Lehre in Italien sehr wohl kenne, dass also das Indexdekret nur aus theologischen Gründen erlassen worden sei. Auch sonst finden wir hier vielfach dieselben Gedanken, zum Teil mit fast denselben Worten ausgedrückt, wie im Dialog. Andererseits kommt auch manches zur Sprache, was verwunderlicherweise und wohl nur aus Versehen in dem größeren Werke fehlt, wie die ptolemäischen Gründe für die zentrale Stellung der Erde im Weltall, über welche Galilei schon in dem Briefe an Mazzoni vom Jahre 1597, wiewohl von etwas anderen Gesichtspunkten aus, gehandelt hatte. Andere Erörterungen freilich hat Galilei im Dialog offenbar mit Absicht unterdrückt, weil sie sich gegen gar zu kindische Fehler Ingolis richten. So hatte dieser gemeint, dass die kleinere Parallaxe der Sonne, die größere des Mondes mit der kopernikanischen Lehre unvereinbar sei, weil ihr zufolge die Sonne als Weltzentrum vom Firmamente weiter abstehe als der Mond; je entfernter aber ein Himmelskörper vom Firmament sei, umso größer müsse seine Parallaxe ausfallen. Was die Übereinstimmungen zwischen dem Schreiben an Ingoli und dem Dialoge betrifft, so ist z. B. zu erwähnen, wie in beiden die Hinneigung des Verfassers zu der Annahme einer unendlich ausgedehnten Welt hervortritt86, jener gefährlichen von Giordano Bruno vertretenen Lehre, die Kopernikus selbst und ebenso Kepler nicht billigten. Ein anderer Punkt ist der Hinweis auf die ungeheure Überschätzung der scheinbaren Fixsterngröße, wie sie alle Astronomen, Tycho nicht ausgenommen, sich zuschulden hatten kommen lassen; eine falsche Grundlage, auf der ein ganzes Gebäude falscher Folgerungen errichtet worden war.87 Mit verdientem Spott überschüttet Galilei den häufig von seinen Gegnern ausgesprochenen Gedanken, dass nach kopernikanischer Lehre das Firmament unverhältnismäßig groß sei, dass bei einer solchen Entfernung desselben die Fixsterne nicht die Einwirkung auf die Erde üben könnten, die sie faktisch üben. Wie es Galileis durchweg festgehaltener Brauch ist, nur das Nächstliegende, das für den unmittelbaren Zweck Notwendige anzuführen, so spricht er auch hier nicht etwa den Zweifel aus – den er gewiss als berechtigt ansah –, ob die Einwirkung der Fixsterne auf die Erde überhaupt in etwas anderem bestehe als in der geringen Lichtwirkung; er weist vielmehr nur den logischen Fehler eines derartigen Raisonnements nach, er sagt: Um behaupten zu können, dass die kopernikanische Entfernung der Fixsterne zu groß sei, müsse man zuvor wissen, dass die tatsächlich geübte Wirkung nicht bei der kopernikanischen, sondern bei der ptolemäischen Entfernung zustande komme.88 Im Dialog wird das Argument Ingolis in ganz ähnlicher Weise abgetan, nur dass sich dort die Wiederlegung gegen Scheiner richtet, der schon vor Ingoli in seinen Disquisitiones mathematicae dieselbe Überlegung angestellt hatte.89 Ferner kommt, wie nicht anders zu erwarten, der senkrechte Fall als Scheinargument der Peripatetiker gegen Kopernikus zur Sprache, und wie im Dialog richtet Galilei seine Angriffe sowohl gegen die zu Grunde liegende falsche Logik, wie gegen die unrichtigen von den Gegnern angeführten Tatsachen.90 Dabei geschieht auch des oft zitierten Versuches Erwähnung, der nach Wohlwill91 vermutlich zuerst von Giordano Bruno erörtert wurde, nämlich des Fallversuchs mit einem Steine, der einmal auf ruhendem, einmal auf bewegtem Schiffe von der Mastspitze abgelassen wird. Die Aristoteliker versicherten, ohne den Versuch je ausgeführt zu haben, der Stein falle auf bewegtem Schiffe nicht am Fuße des Mastes nieder, sondern um ebenso viel davon entfernt, wie das Schiff während des Falles sich bewegt habe. Die Kopernikaner, welche meist auch den Versuch nicht anstellten, gaben in der Regel die Richtigkeit dieser Behauptung zu, leugneten aber, dass die »natürliche« Drehungsbewegung mit der »gewaltsamen« des Schiffes in Parallele gestellt werden dürfe. Galilei hält diese Verteidigung nicht etwa für gänzlich unrichtig, auch er hat die tausendjährige Unterscheidung von natürlichen und gewaltsamen Bewegungen nicht ganz verworfen; den Hauptnachdruck aber legt er auf die Unrichtigkeit der Tatsache, die er einerseits theoretisch mittels seines Beharrungsgesetzes, andererseits empirisch durch Hinweis auf den Ausfall des Versuchs widerlegt. Galilei sagt in dem Briefe an Ingoli bestimmt aus, dass er den Versuch ausgeführt habe und zwar mit dem Erfolge, wie er seiner vorher durch Vernunftschlüsse gewonnenen Überzeugung entsprach.92 Im Dialog ist die Darstellung so gehalten, dass man eher an die Nichtausführung des Experiments glauben möchte93; da uns Details der Ausführung nicht mitgeteilt werden, so scheint diese nicht eine sehr sorgfältige gewesen zu sein. – Fast wörtlich stimmen im Briefe an Ingoli und im Dialoge diejenigen Partien überein, welche die Bewegungserscheinungen unter Deck eines Schiffes schildern.94 – Ein weiteres, gänzlich verfehltes Argument Ingolis, das Galilei – aber wohl mit Unrecht – auch bei Tycho finden will95, bestand darin, dass infolge der jährlichen Erdbewegung die Polhöhe eines Ortes eine bedeutende Änderung erleiden müsse: Wenn schon die Bewegung auf der Erde um eine Strecke von 60 Miglien (= 1°) eine Veränderung der Polhöhe um 1° hervorrufe, was müsse da erst bei der so viel ausgiebigeren Bewegung der Erde im Weltenraum eintreten? – Dieser Unsinn findet sowohl im Dialoge wie im Briefe an Ingoli ausführliche Widerlegung.96 – Auch der im Saggiatore bereits erwähnte Versuch zur Klarstellung der sogenannten Deklinationsbewegung der Erdachse wiederholt sich hier und im Dialoge.97 – Die wahrscheinlich schon aus weit früherer Zeit98 stammenden Bemühungen Galileis, in Konkurrenz mit der aristotelischen Begründung einer einheitlichen Naturauffassung ein eigenes, recht seltsames System aufzustellen, wonach die geradlinige Bewegung aus der wohlgeordneten Welt verbannt wird, werden uns in dem Schreiben an Ingoli zum ersten Male vorgeführt; sie nehmen sich im Rahmen des Dialogs noch bizarrer aus als in einer Polemik gegen einen unwissenden Schwätzer.99 – Den Schluss des Briefes bildet der Hinweis auf die Tatsache, dass, abgesehen von Sonne und Erde, wo die Sache streitig ist, die nichtleuchtenden Weltkörper sämtlich Planeten sind, die leuchtenden Fixsterne, dass also auch wahrscheinlicherweise die Sonne zu diesen, die Erde zu jenen gehört.100
Der Brief an Ingoli wurde zwar bei Lebzeiten Galileis nicht gedruckt101, er gelangte jedoch zur Kenntnis kleinerer Kreise. Ciampoli las daraus dem Papste vor, dem Erzbischof Corsini von Bologna wurde ein Exemplar zugeschickt. Von einer weiteren Verbreitung sah man zum Teil auch deswegen ab, weil eine neue antikopernikanische Schrift in Aussicht stand, die, wie es hieß, auch gegen die galileische Abhandlung über Ebbe und Flut sich richten sollte. Es war ein ehemaliger Freund Galileis, der RitterS c i p i o n eC h i a r a m o n t i ,der gegen ihn zu Felde ziehen wollte. Sein Buch erschien jedoch erst 1628 und bekämpfte zwar die kopernikanische Lehre, aber ohne spezielle Beziehung auf Galilei und dessen Theorie von Ebbe und Flut.
Galilei hatte bald nach seiner Rückkehr von Rom nun ernstlich begonnen, das Werk über die Weltsysteme in die Form zu bringen, in der es späterhin vollendet wurde; sechs Jahre hatte er daran zu arbeiten. In welcher Weise er die kopernikanische Lehre vorzubringen habe, stand ihm nunmehr fest. Er wusste, dass dies nur in hypothetischer Form geschehen dürfe, und wiewohl es noch immer zweifelhaft sein konnte, was unter hypothetischer Form zu verstehen sei, so zog er doch aus der Aufnahme, die der Saggiatore und der Brief an Ingoli bei dem Papste und bei anderen maßgebenden Persönlichkeiten gefunden hatte, den Schluss, dass er die stärksten Gründe für die Wahrheit der kopernikanischen Lehre vortragen könne, wenn er nur nicht vergaß hinzuzufügen, dass diese Gründe