aufgrund der kopernikanischen Lehre eine einfachere Berechnung der scheinbaren Gestirnsbewegungen für möglich hielten, aber aus physikalischen oder sonstigen Gründen die Erdbewegung für absurd erklärten. Es ist ihm also nicht darum zu tun, dieser gemäßigten Ansicht Anhänger zuzuführen, in der Hoffnung etwa, dass damit wenigstens eine Zwischenstation zur Wahrheit erreicht sei, dass, mit anderen Worten, die Duldung gegenüber einer solchen hypothetischen Verwertung des Systems dessen Vorzüge im Laufe der Zeit in immer helleres Licht stellen und dass infolge davon der hypothetischen Anerkennung früher oder später die volle, ungeteilte folgen werde. Trotz aller Maskierung, welche eine äußerliche Unterwerfung unter die Kirche dokumentieren sollte, war es G. heiligster Ernst um die Erringung des vollen Siegerpreises. Mit feinster Ironie wendet er sich gegen die Leute des wissenschaftlichen Kompromisses, indem er den Spieß umdreht und umgekehrt von den Astronomen der alten Schule behauptet, es sei ihnen nur um irgendwelche Hypothese zu tun, aufgrund deren die Berechnung der scheinbaren Planetenbewegungen ermöglicht werde, während es ihnen gleichgültig sei, ob dabei nach anderen Seiten hin ungeheuerliche Annahmen mit unterliefen.102 Nichts musste den Lesern Galileis paradoxer erscheinen, als eine solche Auffassung. War man doch gewohnt, das genaue Gegenteil in unzähligen Schriften mit wenig Witz und viel Behagen vorgetragen zu hören. Aber je paradoxer Galileis Worte klangen, umso kräftiger musste die darin liegende Wahrheit agitatorisch wirken, nachdem sie einmal als solche erkannt war. Dass für ihn speziell ein Hinderungsgrund vorliege, sich über diese Fragen so auszulassen, wie es jeder andere Katholik durfte, daran dachte er nie im Entferntesten; und wäre dieser Gedanke in ihm aufgestiegen, so mussten seine Besorgnisse schwinden, wo er sich im Besitze des von Bellarmin ausgestellten Zeugnisses wusste. Nur in einer Beziehung ist die Stellung zu dem Indexdekrete gegenüber den seither verfassten Schriften eine etwas veränderte. Durchweg nämlich wird zwar auch im Dialog über die Weltsysteme die etwaige kirchliche Entscheidung als maßgebend anerkannt, aber sie wird – außer in der Vorrede – mehr als bevorstehend wie als wirklich ergangen hingestellt.103 Woraus Galilei die Berechtigung herleitet, so zu sprechen, ist schwer zu sagen. Man darf wohl annehmen, dass er, wie auch mancher moderne katholische Schriftsteller, der Ansicht war, es sei im Jahre 1616 nur das Buch des Kopernikus verurteilt worden, über die Zulässigkeit der Lehre selbst aber sei nichts entschieden worden. Indessen mag ihm auch als Rechtfertigung vorgeschwebt haben, dass der Dialog in der Zeit vor dem Indexdekrete spielt, wie daraus hervorgeht, dass einer der Interlokutoren, Salviati, schon vor Erlass desselben gestorben war. Freilich bindet sich Galilei in seinem Werke sonst durchaus nicht daran, nur solcher Tatsachen Erwähnung zu tun, die vor Salviatis Tode spielen. Immerhin mag er die dialogische Form des Werks und die Person des Vertreters der kopernikanischen Lehre mit aus diesem Grunde so gewählt haben, wie es tatsächlich geschah. Allem Anscheine nach hat sich Galilei zu der Gesprächsform erst nach seiner Rückkehr aus Rom entschlossen; wir finden sie zum ersten Male in einem Briefe vom 7. Dezember 1624 an Cesare Marsili in Bologna erwähnt.104 Welche Vorteile sie ihm bot, abgesehen davon, dass die kirchliche Entscheidung als noch nicht gefallen bezeichnet werden konnte, liegt auf der Hand. Der Autor selbst entzog sich, formell wenigstens, einigermaßen der Verantwortung für das, wozu die Personen seines Dramas sich bekennen; und wiewohl kein Leser zweifeln kann, dass in allen wesentlichen Stücken Salviati der Träger der vom Autor gebilligten Ansichten ist, so scheint Galilei doch an einigen Stellen, wo es sich um minder wichtige Fragen handelt, die Rolle des Belehrenden nur darum Sagredo zugewiesen zu haben, um die Fiktion zu unterstützen, dass er sich nicht ohne Weiteres mit Salviati identifiziere.105 Außer diesen in erster Linie maßgebenden Gründen bewogen auch ästhetische und didaktische Rücksichten Galilei zu der Wahl der Dialogform, die er schon in seinem Jugendwerke, den Sermones de motu gravium, angewendet hatte und von der er später auch in seinem wichtigsten Werke, den Discorsi, Gebrauch machte. Die treffliche Charakteristik, die psychologischen Feinheiten, die dramatische Kunst, welche mit höchster Spannung der Lösung eines Rätsels entgegensehen lässt, der kunstvoll geschlungene und dann entwirrte Knoten des Paradoxons, all das muss selbst das Interesse des stumpfsten Lesers erwecken, muss ihn durch die Form für den Inhalt gewinnen. Die platonische Lehre von dem unbewussten Wissen und der Wiedererinnerung, die Galilei mit besonderer Vorliebe erwähnt, beeinflusst seine Darstellung; er will nicht nur die erkannte Wahrheit überliefern, auch den psychologischen Vorgang bei dem Akte der Erkenntnis veranschaulicht er, er gibt uns ein literarisches Gegenstück zu der berühmten Mathematikergruppe der Raphaelischen »Schule von Athen«, welche malerisch die Stufen der Erkenntnis darstellt. – Die ganze Inszenierung, die an die platonischen Dialoge erinnert und erinnern will, legt ein rühmliches Zeugnis für die künstlerische Befähigung Galileis ab; auch hat er nicht geringen Wert auf die gewählte Einkleidung gelegt, wie er selbst in einem Briefe vom 24. Dezember an den Fürsten Cesi zu erkennen gibt106; und wenn er dabei die Absicht ausspricht, den Rat und die Hilfe der Freunde für diesen Zweck in Anspruch zu nehmen, so ist das als bloße Höflichkeitsformel aufzufassen; geht ja doch sein dramatisches Talent zur Genüge aus dem Lustspielentwurf hervor, den wir von ihm besitzen. – Der Schauplatz des Gespräches ist der am Canale Grande gelegene Palast Sagredos in Venedig; den im Dialog wiedergegebenen Erörterungen hat man sich andere als vorausliegend zu denken, die ihren Ausgang von der Besprechung des Gezeitenphänomens genommen haben. Ein bestimmter Zeitpunkt, in dem die Unterredungen stattfänden, ist nicht fingiert, wie denn z. B. das oben erwähnte Buch Chiaramontis kritisiert wird, obgleich es 14 Jahre nach dem Tode Salviatis erschien.
Was die Personen unseres didaktischen Dramas betrifft, so sindS a l v i a t iundS a g r e d ohistorische Figuren, deren äußere Lebensverhältnisse im Allgemeinen derW i r k l i c h k e i tentsprechend geschildert sind; ihr Andenken ist durch den Dialog und die Discorsi unvergänglich geworden. Filippo Salviati wurde geboren am 28. Januar 1583; er ging aus einer der zahlreichen florentinischen Kaufmannsfamilien hervor, welche es zur Zeit der Republik zu hohem Reichtum und Ansehen gebracht hatten; Vater, Großvater und Urgroßvater hatten Senatorenrang. Mit Galilei wurde Filippo wahrscheinlich in Padua bekannt, wo er dessen Unterricht genoss. Seine Verehrung für den großen Landsmann bewog ihn, nachdem Galilei Padua verlassen und sich wieder in seiner Heimat angesiedelt hatte, diesem seine in der Nähe von Florenz gelegene Villa delle Selve zum Wohnsitz anzubieten. Galilei machte in der Tat von diesem Anerbieten seit Anfang des Jahres 1611 oftmals Gebrauch; viele seiner Beobachtungen mag er auf der Kuppel des wundervoll gelegenen Landhauses, die einen Ausblick bis in die karrarischen Berge bietet, gemeinsam mit dem Freunde angestellt haben. Im Jahre 1612 wurde Salviati, jedenfalls auf Fürsprache Galileis hin, zum Mitglied der Accademia dei Lincei ernannt. Doch im folgenden Jahre schon musste er infolge eines Etikettenstreites mit einem Angehörigen der Medicäerfamilie die Heimat verlassen107 und fand in Barcelona am 22. März 1614 einen frühzeitigen, von Galilei tiefbeklagten Tod. Im Dialog schildert Galilei in der Person Salviatis wohl mehr sich selbst als seinen Freund; nur wo es sich um besonders wichtige Entdeckungen handelt, wird zur Vermeidung jedweden Missverständnisses zwischen Salviati und dem »Akademiker« unterschieden; unter letzterem ist dann eben Galilei selbst verstanden.
G i o v a nF r a n c e s c oS a g r e d owurde am 19. Juni 1571 in Venedig geboren als Sohn des hochangesehenen Patriziers Nicolò Sagredo, der sich vielfach im Dienste der Republik auszeichnete. Francesco war seit 1597 oder 1598 gleichfalls Schüler Galileis in Padua.108 Trotz seines lebhaften Interesses für die Naturwissenschaften und die Mathematik und trotz mancher bemerkenswerten Leistungen auf diesen Gebieten wollte er nicht als Gelehrter gelten; sein ausgeprägtes Standesbewusstsein wies ihm seine Laufbahn an, die nur den Staatsgeschäften der Republik gewidmet sein konnte. Seine schnelle Fassungsgabe, sein gesundes Urteil, sein feines Verständnis befähigten ihn, über wissenschaftliche wie praktische Fragen sich eine bestimmte Ansicht zu bilden; Autoritäten vermochten nicht ihn einzuschüchtern, auch Galilei gegenüber hielt er gelegentlich an seiner Meinung fest, und nicht immer war das Unrecht auf seiner Seite. In allen Lebenslagen bewährt er sich als teilnehmendster Freund Galileis, er hilft ihm aus finanziellen Verlegenheiten, er lädt ihn zur Teilnahme an Erholungsreisen ein, er bietet seinen Einfluss auf, um bei den »Reformatoren« der Universität Padua eine Gehaltserhöhung seines Lehrers und Freundes durchzusetzen, er gibt ihm hygienische Ratschläge und sucht ihn zu seiner Lebensführung zu bekehren, welche die eines geistreichen Weltmannes war. Im Jahre 1609 ging Sagredo als Konsul der venezianischen Republik nach Aleppo in Syrien, wo er bis 1611 verweilte. Er war also während der Übersiedlung