Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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Die neue Philosophie lehrte, die Erde sei ein Stern wie andere Sterne, die Sterne seien Erden wie unsere Erde. Gegen diese Erkenntnis sträubte sich die herrschende Schule, und dieser Satz war es auch im Grunde, gegen den die Kirche sich wehrte. Bisher galten die Himmelskörper als ewig unveränderlich, als unvergleichlich erhaben über die schmutzige Hefe des Weltalls, die Erde. Man sah in ihnen, wenn auch nicht mehr Götter, so doch englische Intelligenzen (intelligentiae assistentes oder informantes), und doch ließ man sie um die Erde kreisen, und doch sollten sie geschaffen sein, um dieser zu dienen. Von diesen teleologischen und anthropozentrischen Anschauungen die Geister zu befreien, zu lehren, dass die Himmelskörper zwar nicht wesensgleich, aber doch vergleichbar mit der Erde sind, war der erste Schritt zu der gefährlichen Erkenntnis – und dies fühlten die konservativen Mächte instinktiv heraus –, dass auch der Mensch nicht um irgendwelcher Gespenster willen, dass keine Gespenster um seinetwillen tätig sind, dass er seine eigenen Bahnen zu wandeln hat, wie sie seiner Natur gemäß sind.
Mit der Widerlegung der aristotelischen und sonstigen Beweise für die grundverschiedene Natur von Himmel und Erde und mit den Argumenten für die Verwandtschaft zwischen beiden beschäftigt sich der erste Tag des Dialogs. – Die Vereinbarkeit der alltäglichen Bewegungserscheinungen auf der Erde mit deren Achsendrehung bildet der Hauptsache nach den Inhalt des zweiten Tages. Hier sowohl wie in den Gesprächen des ersten Tags wird die Bewegungslehre des Aristoteles, die das Fundament für seine ganze Naturphilosophie bildet, einer eingehenden Kritik unterworfen. Hier finden sich jene Stellen über die Wirksamkeit der Beharrung, die bei den Zeitgenossen so großes Aufsehen erregten. Die allgemeine Erkenntnis freilich ist in ihnen, wie früher bemerkt, noch nicht enthalten. – Das dritte Buch handelt von der Bewegung der Erde um die Sonne, enthält aber auch einen langen Abschnitt über den im Jahre 1572 neu erschienenen Stern in der Cassiopeja, worin gegen Chiaramonti bewiesen werden soll, dass auch der Himmel Veränderungen unterworfen ist. Er würde also im Grunde besser in den Rahmen des ersten Tages sich gefügt haben. – Der vierte Tag endlich behandelt das Problem, das den Ausgangspunkt der Gespräche gebildet hat, die Frage, wie mit Hilfe der Erdbewegung die Gezeiten zu erklären seien. – Auf die vielen episodischen, zum Teil höchst bedeutsamen Erörterungen hier einzugehen, dürfte umso weniger nötig sein, als in den Anmerkungen sich hinreichend Gelegenheit dazu bietet. Dass zahlreiche Irrtümer bei diesen Erörterungen unterlaufen, wird niemand auffällig finden, der Schriften aus der vorgalileischen Zeit kennt; bei Leonardo da Vinci, bei Tartaglia, bei Nicolas Cusanus, bei Giambattista Porta u. a., in geringerem Grade auch bei Benedetti, heißt es mühsam das Körnchen Wahrheit aus der Spreu des Irrtums herauslesen, bei Galilei berührt der Irrtum unangenehmer, weil die Wahrheit überwiegt.
Der Dialog ist großenteils entstanden aus der Umarbeitung und Verwebung einzelner vorrätig gewesener Stücke. Wie man sich diese Umarbeitung zu denken habe, geht am deutlichsten hervor aus der Vergleichung der entsprechenden Partien des Dialogs mit dem Briefe an Ingoli und mit dem im Jahre 1616 an Orsini gerichteten Discorso sopra il flusso e reflusso del mare. Es rühren daher manche Unebenheiten der Komposition: So sind z. B. die Abschnitte p. 335 f. und 348 ff. zwei verschiedene Bearbeitungen desselben Gegenstandes, deren jede für sich berechtigt wäre, die aber als Teile eines und desselben Ganzen im Widerspruch miteinander stehen. Denn nachdem in der ersteren Partie schon der bedeutende Wechsel in der scheinbaren Größe des Mars und der Venus, sowie die Phasenänderung der Venus gelehrt worden ist und zwar in der Weise, dass gerade aufgrund dieser Tatsachen eine Skizze des kopernikanischen Systems konstruiert wird, hebt die zweite Partie damit an, dass als Haupteinwand gegen das System das scheinbare Fehlen dieser Erscheinungen bezeichnet wird. Dieser Widerspruch tritt in den modernen Ausgaben des Dialogs noch nicht einmal so grell hervor wie in der editio princeps, weil in jenen zwischen den genannten Abschnitten ein nachträgliches Einschiebsel Galileis aus dem paduanischen Exemplar (siehe p. 102 f.) untergebracht ist. Es scheint sogar, dass Galilei diesen Zusatz später hauptsächlich darum an jener Stelle einschaltete, um die inkonzinne Darstellung einigermaßen zu verdecken. – Auch sonst findet sich im Dialog mehrfach ein und dieselbe Sache an verschiedenen Stellen besprochen, ohne dass an der späteren Stelle auf die frühere Bezug genommen würde; oder es wird diese Beziehung auf ganz äußerliche Weise dadurch hergestellt, dass es am Schlusse heißt, man erinnere sich, darüber schon einmal diskutiert zu haben. Bisweilen hat Galilei Ausarbeitungen, die er seit Langem fertig liegen hatte, an deren völlige Richtigkeit er aber nicht mehr glaubte, gleichwohl dem Dialoge einverleibt; mit ein paar der letzten Redaktion angehörigen Worten wird dann gewissermaßen ein Strich durch die unmittelbar zuvor gepflogenen Erörterungen gemacht. Dahin gehört z. B., was über die angebliche Praxis und Theorie des Schießens der Vögel im Fluge (p. 283) mitgeteilt wird. Dahin gehört auch die noch weit auffälligere Verteidigung eines Satzes, der aus früher Zeit stammend Galilei so wohl gefallen haben muss, dass er ihn trotz nunmehriger besserer Erkenntnis nicht unterdrücken mag und ihn noch immer als wahrscheinlich hinstellt. Es ist der Satz, dass ein auf der rotierenden Erde fallender Körper sich, absolut genommen, möglicherweise in einer Kreisbahn bewege.111
Aus welcher Zeit die verschiedenen Partien des Dialogs stammen, wird sich im Einzelnen schwerlich ermitteln lassen, wenn auch manches mit Gewissheit, manches vermutungsweise darüber angegeben werden kann. So scheint der Schluss des dritten Tages, der von dem Magnetismus handelt, im Jahre 1626 geschrieben zu sein, da Galilei damals sich wieder mit diesem Gegenstande zu beschäftigen begann.112 – Die auf Cesare Marsili bezügliche Stelle am Ende des ganzen Werks wurde noch 1631 hinzugefügt, als schon sechs Bogen des Buches gedruckt waren. Ferner muss der erste Tag vor der Veröffentlichung des chiaramontischen Werkes De tribus novis stellis, also vor dem Jahre 1628, geschrieben worden sein, da Galilei dort von demselben keine Kenntnis verrät. Es ist sogar auffallend, dass er den p. 158 f. ausgesprochenen Tadel, Ch. habe im Antitycho den neuen Sternen nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, bei einer späteren Revision nicht zurücknahm, nachdem Ch. ein umfangreiches Buch über den Gegenstand verfasst hatte. Die sehr ausführliche Kritik dieses späteren Werkes ist im zweiten und dritten Buche des Dialogs enthalten. Obgleich Galilei, wie es scheint, den auf die kopernikanische Lehre bezüglichen Teil des liber de tribus novis stellis schon im Jahre 1626 vor dem Erscheinen des Buchs kannte113, so wird doch die Polemik dagegen am Schlusse des zweiten Tages erst nach der Veröffentlichung des Buches verfasst worden sein. Mit Gewissheit ist dies anzunehmen von der Widerlegung der chiaramontischen Rechnungen bezüglich des neuen Sternes von 1572, mit der die Erörterungen des dritten Tages anheben. – Bei diesem Anlass sei es gestattet, über das Verhältnis von Ch. zu G. einiges mitzuteilen. Der Cavaliere Scipione Chiaramonti aus Cesena war mit Galilei seit 1592 bekannt, stand aber lange Zeit außer Verbindung mit ihm. Im Jahre 1613, als es sich um den Ankauf einer künstlichen Uhr für den Großherzog handelte, fand wieder eine Annäherung statt; Galilei gab bei dieser Gelegenheit den Rat, das Gutachten des von ihm mit warmen Worten empfohlenen Ch. einzuholen, den er als verständigen Mathematiker kennen gelernt habe und der Gelegenheit hätte, die Uhr in Cesena zu besichtigen.114 Dieser dankte für Galileis Freundlichkeit in überschwänglichen Worten, es war eben damals noch nicht kompromittierend, mit Galilei auf gutem Fuße zu stehen. Chiaramonti nämlich war einer jener geschmeidigen, talentvollen Männer, die sich für eine Sache nicht um der Sache willen erwärmen und denen der Gedanke ferne liegt, dass es um eine mühsam erworbene, festbegründete Überzeugung doch ein schönes Ding sei. Das orthodoxe Peripatetikertum war nun einmal der angemessene Standpunkt für den Professor