Das Ende. Mats Strandberg
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Mats Strandberg
Das Ende
Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg
PROLOG
DER ANFANG VOM ENDE (27. Mai)
Meine Beine fühlen sich wie Pudding an, als ich dem Strom meiner Mitschüler in den Korridor hinausfolge. Überall sind Leute, andauernd klingeln irgendwelche Handys, alle sprechen immer lauter, um sich Gehör zu verschaffen, und manche weinen. Ich selbst spüre rein gar nichts. Ich erlebe alles wie aus der Ferne, als ob es mich nichts angeht. Ich denke, dass es sich um einen Abwehrmechanismus handeln muss, für den ich dankbar sein sollte.
Als ich Tilda anrufe, meldet sie sich gleich beim ersten Klingeln.
»Bist du noch in der Schule?«, frage ich.
»Nee«, antwortet sie. »Ich habe es erfahren, als ich gerade aus der Schwimmhalle kam. Bin gleich zu Hause.«
»Ich komme.«
»Beeil dich.«
Ich verspreche es. Kurz bevor ich Tilda wegdrücke, höre ich sie aufschluchzen.
Am Ende des Korridors schreit jemand auf. Ich versuche ins Internet zu gelangen, doch es ist völlig überlastet. Hampus sagt irgendwas zu mir, aber ich bekomme es nicht mit. Als ich an einem Fenster vorbeigehe, spüre ich die Wärme durch mein dünnes Shirt. Draußen scheint die Sonne und die Bäume sind fast unwirklich grün. Es ist noch früh am Morgen.
Die erste Stunde hatte gerade erst begonnen, als der Rektor einen Blick in den Klassenraum warf und unserem Mathelehrer Rolf ein Zeichen machte, zu ihm hinauszukommen. Dann standen sie draußen im Korridor und flüsterten miteinander. Als ich mich über meinen Tisch beugte, konnte ich sie sehen. Kurz darauf wurde mit einem Mal die Tür des Klassenraums neben uns geöffnet, und ich hörte Schritte und gedämpfte Stimmen. Ich starrte hinunter auf den Test, den Rolf gerade ausgeteilt hatte, den letzten in diesem Schuljahr. Plötzlich klingelten mehrere Handys auf einmal. Meine Gedanken schossen in alle möglichen Richtungen – ein Terroranschlag? Krieg? –, aber ich wäre nie auf das gekommen, was Rolf uns kurz darauf mitteilte. Während er seine Brille putzte, um Zeit zu gewinnen, zitterten seine Hände.
Ich gelange irgendwie nach unten in die Eingangshalle. Halte nach Johannes Ausschau, kann ihn aber nirgends entdecken. Stattdessen erblicke ich noch mehr Schüler, die laut und hemmungslos weinen. Ihr Anblick verstärkt mein eigenes unwirkliches Gefühl. Aber es gibt noch andere, die so emotionslos wirken wie ich. Als ich ihren Blicken begegne, kommt es mir vor, als würden wir uns in einem Traum befinden.
Plötzlich rempelt mich jemand an. Ein Mädchen mit Kappe. Ihr fällt alles aus den Händen. Ein zugeklappter Laptop landet mit einem lauten Knall auf dem Fußboden und ich höre, wie darin etwas kaputtgeht. Ein Stapel Papiere breitet sich aus und mehrere Stifte rollen weg.
»Shit, tut mir leid«, sage ich und beuge mich hinunter, um ihr beim Einsammeln der Sachen zu helfen.
Aber sie ist schon weitergerannt. Zurück bleibt nur ein Hauch ihres süßlichen Parfüms. Ich richte mich wieder auf und betrachte den Laptop. Spüre Panik in mir aufsteigen. Der hohe Geräuschpegel bringt die Luft fast zum Bersten, das Stimmengewirr presst meine Trommelfelle zusammen und nimmt mir die Luft zum Atmen. Noch nie ist mir die Aula so klein vorgekommen.
Ich zwänge mich hinaus auf den Pausenhof. Dort ist es auch laut, aber man bekommt wenigstens besser Luft. Kein einziges Wölkchen am Himmel. Über mir nur eine knallblaue Leere.
Irgendwo da draußen muss er sein.
Es gelingt mir nicht, den Gedanken beiseitezuschieben. Und ich weiß schon jetzt, dass ich den Himmel nie wieder ohne diesen Gedanken betrachten kann.
Plötzlich vibriert das Handy in meiner Hand. Auf dem Display erscheint das Gesicht von Judette, meiner Mutter.
Ihre neue Wohnung liegt nur ein paar Häuserblocks von der Schule entfernt. Ich laufe los und bahne mir im Zickzack einen Weg an den Grüppchen meiner Mitschüler vorbei. Die Vögel zwitschern lautstark und die Luft ist angefüllt mit Gerüchen, die typisch für die Wochen vor den Sommerferien sind. Flieder, feuchtes Gras, Straßenstaub im morgendlichen Schatten. Ein Auto steht nachlässig geparkt am Straßenrand, mit einem Hinterrad auf dem Gehweg. Aus dem Radio dringt eine Nachrichtensendung. Ich erkenne die Stimme der Ministerpräsidentin wieder, kann aber nicht hören, was sie sagt.
Ich laufe weiter. Begegne einem Vater, der zusammen mit seiner Tochter unterwegs zum Spielplatz ist. Sie plappert irgendwas von einem Roboter, der sich in eine Katze verwandeln kann, und er hört aufmerksam zu. Ich betrachte den Vater und frage mich, ob er wohl schon weiß, was passieren wird. Ich hoffe, nicht. Hoffe, dass er noch für ein paar Minuten von der Neuigkeit verschont bleibt. Die beiden verschwinden aus meinem Blickfeld, als ich um die Ecke biege und kurz darauf das dreigeschossige Wohnhaus mit der altrosafarbenen Ziegelfassade erblicke. Ich überquere den Parkplatz, auf dem der gebrauchte Toyota steht, den sich Judette vor ein paar Wochen zugelegt hat.
Im Treppenhaus schlägt mir ein ungewohnter Geruch entgegen. Ich nehme zwei Stufen auf einmal, bis ich im obersten Stockwerk angekommen bin. Schließe die Wohnungstür auf. Betrete den Flur, der noch immer voller Umzugskartons steht, und höre Stimmen aus dem Fernseher, der im Wohnzimmer läuft.
»Simon!«, begrüßt mich Judette und steht vom Sofa auf, als ich hereinkomme.
Sie trägt noch ihren Morgenmantel. Ich werfe einen Blick auf den Bildschirm. Eine Pressekonferenz in Rosenbad, aufblitzende Kameras und eine Ministerpräsidentin, die aussieht, als hätte sie die Nacht durchgemacht.
»Hast du es schon gehört?«, fragt sie vorsichtig.
»Ja.«
Sie umarmt mich. Das schützende Gefühl der Unwirklichkeit droht sich aufzulösen. Am liebsten würde ich hier in ihren Armen stehen bleiben und wieder klein sein. Sie soll mir versprechen, dass alles wieder gut wird, auch wenn es die reinste Lüge wäre.
Im Augenblick gibt es nur eine Sache, die ich lieber will.
»Stina ist schon unterwegs«, sagt Judette.
»Ich muss unbedingt zu Tilda«, entgegne ich und entziehe mich ihrer Umarmung. »Wo sind deine Autoschlüssel?«
»Du darfst doch noch gar nicht allein fahren.«
»Ich glaub kaum, dass die Polizei ausgerechnet heute Führerscheinkontrollen macht.«
Während ich die Worte ausspreche, beginne ich das Ausmaß dessen, was gerade geschieht, langsam zu begreifen. Es ist, als würde sich plötzlich ein Abgrund unter mir auftun und mich mit Haut und Haaren verschlingen.
Judette legt mir ihre kühle Hand auf die Wange.
»Mein Lieber, ich verstehe dich ja. Aber wir sollten jetzt zusammenbleiben und darüber reden.«
»Ich komm bald zurück. Versprochen.«
Sie öffnet den Mund, wie um zu protestieren, aber ich stürze schon in den Flur hinaus, wo ich mir aus einer Schale auf der Kommode die Autoschlüssel angele. Judette ruft mir etwas hinterher, doch mein Name wird, als die Wohnungstür ins Schloss fällt, in der Mitte abgeschnitten.
Die