Das Ende. Mats Strandberg
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Anschließend liegt Tilda schwer atmend mit dem Rücken zu mir auf meinem Oberarm. Es klingt, als wäre sie eingeschlafen. Mein Blick gleitet über die Regale mit den Pokalen und die an die Wand gepinnten Medaillen mit den bunten Bändern. Und bleibt schließlich an einem Ausschnitt aus der Lokalzeitung mit einer Bildunterschrift hängen, die sie als »vielversprechendes Talent« beschreibt. Auf dem Foto trägt Tilda noch ihre Badekappe und lacht.
Tilda nennt diese Wand ihre Inspirationswand. Dort hängen noch mehr Fotos von landesweiten Wettbewerben sowie von Trainingslagern in Dänemark, Italien und den Niederlanden. Auf den meisten der älteren Bilder ist auch eine frühere Freundin zu sehen, Lucinda. Mein Blick bleibt an einem Foto von der Lucia-Prozession im vergangenen Winter hängen. Die gesamte Schwimmhalle einschließlich des Beckens ist abgedunkelt und Tilda trägt eine Lichterkrone auf dem Kopf. Die Flammen der Kerzen spiegeln sich auf der Wasseroberfläche wider. Sie strahlt in die Kamera, um sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer das Gewand ist, das im Wasser um ihren Körper wogt. Sie lässt sich niemals anmerken, wie viel sie für dieses Leben opfert und wie viel Fleiß dahintersteckt. Ich kenne niemanden, der so zielstrebig ist wie Tilda. Sie kennt ihren Weg genau. Ich hingegen habe in der Schule zwar gute Noten, weiß aber noch immer nicht, was ich mal werden will. Die Fülle an Möglichkeiten lähmt mich geradezu. Wie soll ich denn schon jetzt wissen, was ich in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren machen will?
Doch nun muss ich mich nicht mehr entscheiden.
Meine Haut fängt wieder an zu kribbeln.
Denk nicht dran.
Ich drehe mich auf die Seite und schlinge meinen freien Arm um Tildas Körper. Hebe leicht den Kopf, um sie auf die Wange zu küssen. Jetzt merke ich, dass sie nicht schläft. Sie schaut zum Laptop auf ihrem Bett hoch. In einer Ecke des Bildschirms poppen immer neue Nachrichten auf. Alle wollen wissen, wo sie gerade ist. Und ob sie es schon gehört hat. Im Fernsehen werden gerade Bilder aus einem ländlichen Gebiet in Indien gezeigt, auf denen weinende Frauen ihre Arme gen Himmel recken.
Ich schließe die Augen.
»Ich liebe dich«, sage ich.
»Ich dich auch«, entgegnet Tilda, ohne sich umzudrehen.
DAS ENDE
NOCH VIER WOCHEN UND FÜNF TAGE
NAME: LUCINDA TellUs# 0 392 811 002 POST 0001
Ich weiß nichts über dich, der du diesen Post liest. Und damit meine ich, wirklich rein gar nichts.
Vielleicht bist du ein ähnliches Lebewesen wie ich. Aber vielleicht auch irgendein ganz anderes Geschöpf, das ich mir nicht mal vorstellen kann.
In Filmen und Fernsehserien tragen Außerirdische fast immer menschliche Züge. Als würden sie von uns abstammen und sich kaum von uns unterscheiden. Sie haben kleine Körper mit großen Köpfen darauf, eine Echsenhaut oder auch ein zusätzliches Augenpaar auf der Stirn. Erkennst du dich irgendwie wieder? Und kann man euch überhaupt noch »Außerirdische« nennen, wenn die Erde gar nicht mehr existiert?
Am wahrscheinlichsten ist es natürlich, dass es dich gar nicht gibt. Und falls doch, wie solltest du mich dann verstehen? Die Tell-Us-App verfügt über einen Sprachschlüssel, eine Art digitalen Rosettastein mit mehreren Hundert menschlichen Sprachen darauf. Damit kannst du hoffentlich lesen, was wir schreiben, da er alle Sprachdateien in Texte umwandelt, bevor sie ins All gesendet werden. Aber wirst du auch die Bedeutung hinter den Worten verstehen?
Während ich dies schreibe, läuft in einem anderen Fenster auf meinem Bildschirm gerade eine Livesendung. Der amerikanische Präsident hält eine Rede. (Ich bringe nicht mal seinen Namen über die Lippen, so sehr hasse ich ihn. Aber du wirst von anderen noch genug über ihn erfahren.) Er sitzt mit gefalteten Händen an seinem Schreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses und ist etwas zu stark geschminkt. Im Hintergrund sieht man die amerikanische Flagge. Seine Eröffnungsreplik lautete »My fellow Americans«. Ich kann dir das zwar alles berichten, aber was sagt es dir? Wie soll ich erklären, dass ich selbst noch immer kaum glauben kann, was gerade passiert? Bislang habe ich dieses Szenario immer nur mit Tausenden Filmen und Fernsehserien in Verbindung gebracht. Auch wenn darin die Präsidenten mehr Stil haben und eher würdevoll und beschwichtigend auftreten. All das, was der echte Präsident nicht tut. (Die Filmszenen handeln häufig von Außerirdischen, die gekommen sind, um Manhattan in die Luft zu sprengen, und dann besiegt werden. Tut mir leid, aber wir sind immer davon ausgegangen, dass ihr uns kolonisieren, versklaven oder gar ausrotten wollt. Höchstwahrscheinlich, weil einige Teile der Menschheit genau das mit anderen Menschen gemacht haben. Ich weiß nicht, ob ihr euch mit Psychologie befasst, aber bei uns nennt man das »Projektion«.)
Der Präsident erklärt in seiner Rede alles, was jeder, der einigermaßen gescheit ist, längst begriffen hat. Die letzten Berechnungen sind abgeschlossen. Jetzt herrscht kein Zweifel mehr. In gut einem Monat ist es tatsächlich vorbei. Man hat uns sogar schon eine Uhrzeit genannt. Am sechzehnten September morgens um vier Uhr zwölf mitteleuropäischer Zeit tritt der Komet Foxworth in die Erdatmosphäre ein. Dabei erwärmt sich die Luft zehnmal stärker als die Oberfläche der Sonne. Alles, was sich in der Bahn des Kometen befindet, wird bereits vernichtet sein, noch bevor er vor der Nordwestküste Afrikas in der Nähe der Kanarischen Inseln einschlägt. Die Atmosphäre wird brennen und der Himmel von einem grellen Licht erleuchtet sein, das stärker ist, als wir es je gesehen haben. Die Schockwelle erreicht uns lautlos, da sie sich schneller als mit Schallgeschwindigkeit bewegt. Nur wenige Minuten nach dem Einschlag werden die Meere verdampft und die Gebirge verglüht sein. Vier Milliarden Jahre Evolution sind auf einen Schlag dahin. Und wir können nichts dagegen tun.
So formuliert es der Präsident natürlich nicht. Er nennt keine Details zu der Frage, wie wir sterben werden, und bestätigt auch nicht die Annahme, dass sich die Erdkruste so stark wölben wird, dass wir bis ins All hinausgeschleudert werden. Stattdessen empfiehlt er »stay at home, be with your loved ones«, und ich frage mich, wie es sich wohl für all diejenigen anfühlt, die keine Angehörigen haben.
Wir wissen seit gut zwei Monaten, dass der Komet auf uns zugerast kommt. Genauer gesagt, seit dem siebenundzwanzigsten Mai. Seitdem ist die Welt aus den Fugen geraten. Alles, was wir bislang immer als gegeben hinnahmen, ist innerhalb weniger Tage wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Die Berufstätigen gingen plötzlich nicht mehr zur Arbeit. Alle Schulen schlossen. Die Börse kollabierte. Nach nur wenigen Tagen kam es zum Handelsstopp und das Geld wurde wertlos. Die Leute, die gerade im Ausland unterwegs waren, prügelten sich um die freien Sitzplätze in den letzten Fliegern nach Hause. Und die Straßen wurden vom erlahmenden Verkehr verstopft.
In der ersten Zeit war das Chaos am größten. Neue Kriege brachen wie aus dem Nichts aus, während alte schwelende Konflikte über Nacht von selbst abkühlten. Keiner wusste mehr, was zählte. Am allerschlimmsten aber war es in den Gebieten, in denen am wenigsten Gleichberechtigung herrscht. Die unterdrückten Massen hatten nichts mehr zu verlieren und gingen auf die Barrikaden. Sie besetzten die Paläste der Reichen und plünderten die Luxusgeschäfte. In anderen Ländern fiel es den Einwohnern hingegen leichter, zusammenzuhalten.
Hier in Schweden haben wir inzwischen zu einer gewissen Normalität zurückgefunden. Auch wenn natürlich nichts mehr wie zuvor ist, funktioniert bei uns noch erstaunlich viel.
Natürlich glauben nicht alle daran, dass Foxworth die Erde treffen wird. Einer von diesen Kometenleugnern wird gerade in der Nachrichtensendung interviewt. Er legt dasselbe impulsiv-sarkastische Gehabe an den Tag, das sie sich alle zu eigen gemacht haben. Eine voreilige Hab-ich-doch-gesagt-Haltung. Und in gewisser Weise verstehe