Das Ende. Mats Strandberg
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»Ich hab etwas zu viel getrunken«, gestehe ich. »Sorry.«
Stina schnaubt laut auf und macht eine resignierte Geste in Richtung Judette. Aber ich sehe ihr an, wie froh sie über die Gelegenheit ist, gemeinsame Front gegen mich machen zu können. Ich erweise ihr sogar einen Dienst, anstrengend wie ich bin.
Die beiden sind seit einem halben Jahr geschieden. Stina hat im Frühjahr endlich ihren Ehering abgenommen, aber ich weiß, dass sie ihn noch immer im Portemonnaie bei sich trägt. Sie hat mir zwar geraten, Tilda endlich ziehen zu lassen, aber im Grunde ist sie genauso armselig dran wie ich.
»Du kannst nicht einfach jede Nacht unterwegs sein«, sagt Judette.
»Aber was spielt das denn noch für ’ne Rolle?«
»Es spielt eine verdammt große Rolle!«, brüllt Stina und schlägt aufgebracht mit der Handfläche auf die Sofalehne, sodass der Staub aus dem Polster aufwirbelt und im Sonnenlicht, das durchs Fenster kommt, zu glitzern beginnt.
»Und warum?«, frage ich. »Es ist ja nicht grad so, dass ich mir meine Zukunft verbauen könnte.«
»Du weißt genau, was in der Stadt neuerdings alles passiert«, kontert Judette.
»Ich bin ja vorsichtig.«
Stina wird puterrot vor Wut.
»Vielleicht versetzt du dich mal in unsere Lage«, schnaubt sie. »Du weißt ganz genau, dass wir nicht wieder zusammengezogen sind, weil eine von uns jetzt die Ersatzmutter spielen wollte. Aber jetzt sehen wir dich immer seltener.«
»Ich hab euch nie gebeten, meinetwegen wieder zusammenzuziehen.«
Sobald ich die Worte ausgesprochen habe, bereue ich sie auch schon. Denn ich kann die beiden verstehen. Aber sie mich offenbar nicht.
Sie kapieren nicht, dass ich sie eigentlich vermisse und wirklich gern mit ihnen reden würde. Aber ich halte es in dieser künstlichen Stimmung, die sie zu Hause geschaffen haben, einfach nicht aus. Wir können überhaupt nicht mehr normal miteinander reden, weil alles immer gleich so innig sein muss. Wir müssen jede Erinnerung von allen Seiten ausleuchten, einander tiefgründige Fragen stellen und noch lauter wichtige Dinge von uns geben, bevor wir sterben werden. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Sie verlangen Übermenschliches von mir.
»Jedenfalls wird damit jetzt Schluss sein«, sagt Stina mit unerwartet ruhiger Stimme. »Emma kommt nämlich bereits in ein paar Tagen zu uns.«
Emma. Meine Schwester, die seit der Sache mit dem Kometen nicht mehr zurechnungsfähig ist.
»Micke besucht derweil seine Eltern in Överkalix«, fährt Stina fort. »Sie benötigt jetzt jede Hilfe, die sie kriegen kann. Und außerdem braucht sie Ruhe.«
Ich nicke und schaue weg. Dabei bleibt mein Blick an der dunkelgrauen Wand in der Küche hängen, die ich mit angestrichen habe. Einige Tage, nachdem wir vom Kometen erfahren hatten. Damals saß ich genau hier und schaute auf die Wand. Sie roch noch nach frischer Malerfarbe und ich dachte, wie unnötig, sie zu streichen, wo wir doch schon bald nicht mehr da sind. In dem Augenblick hatte ich es zum ersten Mal wirklich begriffen. Damals bin ich in Tränen ausgebrochen und jetzt auch wieder.
»Alles wird gut werden«, sagt Stina sanft.
»Und bitte wie?«, frage ich und wische die Tränen weg.
Sie wirkt enttäuscht. Irgendwie enttäusche ich derzeit offenbar alle.
»Ich meine, dass es gut ist, wenn Emma für eine Weile nach Hause kommt. Wir sollten diese Zeit sinnvoll nutzen.«
»Also denk bitte daran«, sagt Judette.
NAME: LUCINDA TellUs# 0 392 811 002 POST 0002
In Göteborg ist es heute Nacht zu einem Aufruhr gekommen. Es begann mit einer spontanen Demonstration, bei der mehrere Tausend Menschen auf die Straße gingen, um gegen das System der Rationierung zu protestieren, nach dem gebürtige Schweden mehr bekommen sollen als »die anderen«. Auch die Ministerpräsidentin hat sich geäußert und erneut versucht uns daran zu erinnern, dass wir hier in Schweden noch Glück haben. Es ist Sommer, sodass genügend Obst und Gemüse vorhanden ist, und es gibt zudem so viel Schlachtvieh, dass das Fleisch für mehrere Jahre reichen würde. »Aber es ist trotzdem ungerecht«, meint eine Demonstrantin, die im Fernsehstudio sitzt. »Ich habe mein ganzes Leben lang Steuern gezahlt und müsste allein schon deshalb mehr kriegen als die anderen.« Damit meint sie alle Menschen, die nicht hier geboren sind. Am liebsten würde ich ihr zurufen, dass unsere Gesellschaft nur dank »der anderen« noch so gut funktioniert. Diese Leute stellen nämlich den Großteil all jener, die noch freiwillig arbeiten, obwohl keine Löhne mehr bezahlt werden. Sie sind diejenigen, die die Menschen in den Zügen und die Lebensmittel in den Lkws befördern und die dafür sorgen, dass wir frisches Wasser aus dem Wasserhahn und Strom aus den Leitungen haben. Und zwar nicht, weil sie Heilige wären, sondern weil ihre Angehörigen nicht in Schweden leben. Zum Glück versuchen sie, ihrem Leben noch einen Sinn zu geben, anstatt allein zu Hause herumzusitzen und auf das Ende zu warten.
Wenn du dir unseren Planeten angeschaut hättest, wie er jetzt aussieht, hättest du keine voneinander abgegrenzten Länder erkennen können. Die Grenzen sind nie real gewesen, sondern existieren nur auf den Landkarten als von Menschen eingezeichnete Linien. Doch manche haben ihr Selbstverständnis von der Tatsache abgeleitet, auf welcher Seite der Linie sie gelandet sind. Eigentlich hatte ich angenommen, dass dies jetzt nicht mehr so wichtig wäre. Doch für viele wurde es umso wichtiger und die schreien es am lautesten heraus. (Dazu sind sie noch Idioten. Was oftmals miteinander einhergeht.)
Dies ist vielleicht eine gute Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass es auch ganz fantastische Menschen gibt. Bestimmt werde ich es immer mal wieder vergessen zu erwähnen. Aber ich sollte zumindest mich selbst öfter daran erinnern. Denn Katastrophen haben schon immer entweder unsere besten oder schlechtesten Eigenschaften zutage gefördert. Und die allermeisten Menschen versuchen einfach, ihr Leben so gut wie möglich zu leben.
Was ist also aus meinem Leben geworden, seit ich das letzte Mal von mir hören ließ? Was habe ich getan, um mich als Mensch weiterzuentwickeln, und was, um anderen zu helfen? Eigentlich habe ich fast nur geschlafen und mir auf dem Handy Fotos von alten Freunden angeschaut.
Heute Nacht haben sie in der Schwimmhalle gefeiert. Sie wirken mit ihren verschwitzten, sonnengebräunten Gesichtern alle so viel jünger, als ich mich fühle, und ihre Augen leuchten regelrecht. Auf der Wasseroberfläche schwimmen überall Plastikflaschen und Zigarettenkippen herum. Leute, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie rauchen würden, posieren plötzlich mit Glimmstängeln im Mundwinkel. Aber warum auch nicht? Schließlich besteht keine Gefahr mehr, dass sie noch an Krebs sterben könnten.
Tilda ist auf fast allen Fotos zu sehen. Sie hat noch immer dieselben breiten Schultern und kräftigen Arme. Ihre Rückenmuskeln zeichnen sich deutlich ab. Ich kann kaum glauben, dass mein Körper einmal genauso durchtrainiert war wie ihrer. Ansonsten hat sie sich ziemlich verändert. Die Tilda, die ich kannte, hätte kaum je Alkohol getrunken und definitiv keine Zigaretten geraucht. Wir sind auch nie auf Partys gegangen, weil wir selbst an den Wochenenden früh aufstehen und zum Schwimmtraining mussten. Mein Vater hat mir erzählt, dass sich ihre Eltern im vergangenen Sommer getrennt haben.