Das Ende. Mats Strandberg

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Das Ende - Mats Strandberg

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Tilda ist. Außer was auf den Fotos zu sehen ist, weiß ich eigentlich gar nichts mehr über ihr Leben.

      Sie war meine beste Freundin. Meine wichtigsten Erinnerungen haben alle mit ihr zu tun und ich kann nicht erklären, wer ich bin, ohne von Tilda zu erzählen.

      Wir haben uns so oft in diesem Becken aufgehalten, dass ich jeden einzelnen kleinen Riss im Fliesenboden und jedes Astloch oben an der Holzdecke beschreiben kann. Ich weiß noch genau, wie das Chlor mir in den Augen brannte, meine Haut aufweichte und unsere Badeanzüge ausleierte. Es fraß sich in alles hinein. Wir absolvierten sieben, acht oder gar neun Trainingseinheiten pro Woche plus mindestens einen Wettkampf. Oft hatte ich es als stinklangweilig und monoton empfunden. Und es zugleich geliebt. Ich lebte für die kleinen Momente der Euphorie. Wie den Adrenalinkick kurz vorm Start eines Wettkampfes oder die wenigen Augenblicke im Training, in denen die Bewegungen des Körpers perfekt mit der Atmung harmonierten. Ich fühlte mich im Wasser wohler als an Land. Eingehüllt. Leicht. Frei. Es war geradezu magisch.

      Die Schwimmhalle war unser gemeinsamer Lieblingsort. Ohne sie hätte ich nie angefangen zu schwimmen oder gar ein Sportgymnasium besucht. Sie war es auch, die mich besser machte. Unser Trainer Tommy hatte immer gesagt, dass wir beim Schwimmen ausschließlich gegen uns selbst antreten, aber ich schwamm gegen Tilda. Dass ich nie annähernd so gut wurde wie sie, hatte mir nichts ausgemacht. Niemand konnte ihr das Wasser reichen, aber Elin, Amanda und ich kämpften um einen würdigen zweiten Platz. Tilda besaß das, was Tommy »ein Sieger-Gen« nannte. Sie verfolgte einen Plan; erst zu den schwedischen Jugendmeisterschaften, dann in die Nationalmannschaft und schließlich zu den Olympischen Spielen. Ihr Plan war nicht gerade realistisch und die Chancen ziemlich gering. Und die Aussicht auf genügend Sponsorenverträge, um davon leben zu können, noch kleiner. Dennoch habe ich nie daran gezweifelt, dass sie es schaffen würde.

      Aber warum erzähle ich dir das alles? Weißt du überhaupt, was ein Wettkampf ist? Eine Schwimmhalle? Ich nehme an, dass du zumindest Wasser kennst.

      Von meinem Fenster aus kann ich das Dach von Tildas Haus sehen. Als wir klein waren und uns zum Spielen verabredet hatten, nahmen wir immer die Abkürzung durch die Gärten.

      Zuletzt habe ich sie vor einer Woche gesehen. Ich hatte frühmorgens beschlossen, zum ersten Mal seit Langem wieder in die Innenstadt zu gehen. Ich dachte, dass um diese Uhrzeit kein Risiko bestünde, irgendjemandem zu begegnen, doch als ich mich dem Marktplatz näherte, hörte ich auf einmal laute Bässe und Gegröle. Eine Gruppe torkelnder Mädels bog Arm in Arm um die Ecke. Sie johlten zu einem alten Song aus ihrem Smartphone mit, der plötzlich wieder zum Hit geworden war, Save The World. Dann entdeckte ich Tilda, die gerade mit einem Typen, den ich noch nie gesehen hatte, an einem offenen Fenster herumknutschte. Ihr Haar, um das ich sie schon beneidet hatte, als ich selbst noch welches hatte, schimmerte in der Morgensonne fast rötlich. Sie war perfekt geschminkt und ich fragte mich, wo sie es gelernt hatte. Wir hatten uns fast nie geschminkt.

      Auch Elin und Amanda waren dort. Ich zog mich rasch zurück, bevor mich jemand von ihnen entdecken konnte.

      Seitdem bin ich nicht mehr in der Stadt gewesen.

      Was bedeutet es eigentlich für dich, wenn man siebzehn ist? Ist das jung oder eher alt? Kannst du dir vorstellen, wie es ist, noch jung zu sein, aber sich schon alt zu fühlen? Also ich meine, verbraucht? Verstehst du, was ich meine, wenn ich sage, dass ich jetzt schon so lange zurückgezogen lebe, dass ich keine Ahnung mehr habe, wie ich es anstellen soll, mich wieder zu zeigen?

      SIMON

      Der Film beginnt damit, dass ein Asteroid auf der Erde einschlägt und alle Dinosaurier tötet. Auf dem gesamten Planeten breitet sich ein Flammenmeer aus. Ein Kommentator erklärt, dass es jederzeit wieder passieren kann und es nur eine Frage der Zeit ist.

      Keiner sagt etwas. Außer der schwülstigen Musik ist nur das laute Knuspern von Salzgebäck zu hören. Hampus liegt vorm Fernseher und zerkaut Chips mit offenem Mund. Sein T-Shirt ist vorn etwas hochgerutscht und entblößt seinen Bauch, der im Sommer etwas rundlicher geworden ist. Früher gingen er und Sait jeden Tag gemeinsam ins Fitnessstudio und die beiden redeten fast ausschließlich über Proteinpulver und Muskeldefinition.

      Sait, der noch immer sein Sixpack hat. Sait, der Tilda auf den Hals geküsst hat.

      Sait, der zum Glück nicht hier ist. Aber Tilda ist auch nicht hier. Vielleicht sind die beiden ja gerade zusammen.

      Wir sind bei Hampus zu Hause und schauen uns Armageddon an, einen jener Filme, die sie versucht haben aus dem Netz zu nehmen. Allerdings ohne Erfolg.

      Jetzt, fünfundsechzig Millionen Jahre später, fährt die Kamera über die Skyline von New York. Die ersten Felsbrocken fallen wie Bomben vom Himmel und legen die Wolkenkratzer in Schutt und Asche. Hampus meint, das sei erst das Vorspiel. Keiner von uns lacht. Ich mache genau das, was ich immer gemacht habe, als ich klein war und meine Schwester Emma mich zwang, mit ihr Gruselfilme zu gucken, wenn sie abends auf mich aufpassen musste. Ich starre wie blind auf den Bildschirm, bis ich keine Bilder mehr erkenne, sondern nur noch wechselnde Farben und Formen sehe. Die Geräusche sind am schlimmsten, denn gegen die kann man sich nicht so leicht wehren, ohne dass es jemand merkt.

      Doch dann beginnt der eigentliche Film und als der Hauptdarsteller auf einer Bohrinsel inmitten aller möglichen explosiven Stoffe auf den Verlobten seiner Tochter schießt, müssen wir laut lachen.

      »Was’n Wichser«, meint Johannes.

      »Echt wahr, was geht den Alten denn ihr Sexleben an?«, stimmt Amanda zu. »Fuck, sie ist doch erwachsen.«

      Jetzt bekomme ich wieder etwas besser Luft. Man darf die Handlung einfach nicht ernst nehmen. Ich sinke tiefer in meinen Sessel.

      Wie sich zeigt, werden mehrere Ölbohrarbeiter in Rekordzeit zu Astronauten ausgebildet, um ins All zu fliegen. Dort sollen sie schließlich ein tiefes Loch in den Asteroiden bohren, um ihn zu sprengen. Für diese Aktion bleibt ihnen allerdings nur ein einziger Versuch.

      »Wäre es nicht viel leichter, wenn man richtige Astronauten beauftragt, um das Loch zu bohren?«, frage ich.

      Die anderen lachen. Kann es sein, dass sie genauso erleichtert klingen wie ich? Ich glaube schon.

      Ich kapiere einfach nicht, dass man diesem Film zu Beginn des Sommers eine Art Vorbildfunktion beigemessen hat. Damals meinten sie noch, wir sollten auch Atomwaffen hochschicken. Doch Foxworth ist zu groß dafür und außerdem war er schon zu nah an der Erde. Nicht mal wenn wir alle mit Atomwaffen bestückten Raketen weltweit aufgeboten hätten, hätte es funktioniert.

      »Hat er der Tussi etwa gerade ’nen Cracker in den Slip geschoben?«, fragt Amanda.

      »Glaub schon«, antwortet Johannes, lacht und zieht sie auf dem Sofa näher zu sich heran.

      Ich verspüre einen Anflug von Neid. Johannes hat wenigstens noch eine Freundin. Er gehört noch immer wie selbstverständlich dazu. Wir beide haben die anderen nämlich erst über Tilda und Amanda kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich ihnen in nüchternem Zustand begegne, frage ich mich unwillkürlich, ob sie mich wirklich noch dabeihaben wollen, jetzt da mit Tilda Schluss ist. Ich treffe mich nicht mal mehr allein mit Johannes, obwohl er mein bester Freund ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er mir bewusst aus dem Weg geht.

      Vielleicht bin ich ja so anstrengend, dass keiner mehr Lust auf mich hat.

      »Haben die etwa alle schon wieder vergessen, dass New York total zerstört wurde?«, merkt Ali an, und ich bin dankbar

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