Wien. Ludwig Hirschfeld

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Wien - Ludwig Hirschfeld

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vorwurfsvoll überlegen: »Aber, gnä Herr, bei den Wetter werdns Ihna doch nix zruckgeben lassen«, auch wenn der Abend mild und klar ist wie eine Mondnacht in Amalfi. Oder er wird Sie in seine Privatbiographie einweihen und Ihnen mitteilen, dass er von Kaffee allein nicht leben könne und das Viertel Wein im Preise angezogen habe. Bestehen Sie trotz allem auf dem genauen Fahrpreis, so wird der Chauffeur doch einen Teilsieg erringen, indem ihm bestimmt drei, vier Nickelstücke zum Herausgeben fehlen. Mit Recht nennt man den Chauffeur in der neueren Amtssprache »Kraftkutscher«, denn er ist immer der Stärkere. Sicher ist sicher – lassen Sie den Hotelportier den Fahrpreis bezahlen.

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       Das Trinkgeldspalier

      Weil wir gerade von den Autotaxis sprechen, möchte ich Sie gleich auf eine neue Einrichtung aufmerksam machen: den Auto-Ruf. So nennt sich eine Gesellschaft, die auf den wichtigsten Autostandplätzen Telephone errichtet hat. Dadurch kann man jetzt ein Auto telephonisch bestellen, wofür dem Chauffeur 30 Groschen separat zu bezahlen sind. Die Nummern dieser Autorufsprechstellen finden Sie im Wiener Telephonbuch auf Seite III. Wenn Sie abends eingeladen sind, ist es schon eine große Annehmlichkeit, binnen fünf Minuten ein Taxi vor das Haustor zu zitieren. Und man geht auch leichteren Herzens in eine Abendgesellschaft, wenn man weiß, dass man jederzeit abfahren kann …

      ISS GUT UND BLEIB SCHLANK – WENN DU KANNST

      Der Sacher. – Die Schöner. – Kursalon. – Die verdeutschte Speisekarte. – Trinkgelder. – Das Bierbeisl.

      Das ist ein sehr gewöhnliches Kapitel, bei dem nicht viel literarische Ehren zu holen sind: das Essen … davon sprechen bekanntlich gebildete und feinsinnige Leute nicht. Aber kann ein Fremder den ganzen Tag gebildet und feinsinnig sein? Kann er ununterbrochen Kirchenfenster und Barockportale bewundern, bis er die Genickstarre kriegt und ihm die Redensarten ausgehen? Und vor allem: Wie soll er diese Bildungsstrapazen aushalten, wenn er den Leib nicht entsprechend stärkt? Außerdem ist das richtige, verständnisvolle Essen und Trinken in einer fremden Stadt ein viel schwierigeres Problem als das Kunstwandern durch Kirchen und Museen. Alles, was man dort gesehen haben muss, hat im Reisehandbuch seinen Stern, seinen Doppelstern. Man weiß also, bevor man noch hingesehen hat: Aha, das ist eine Sehenswürdigkeit, darüber werden zu Hause Onkel Fritz und Tante Ida von mir Rechenschaft fordern. Aber die Sterne der Gasthauswelt, die kann man nicht aus dem Baedeker erfahren. Er ist ja auch hier gewissenhaft wie immer und zählt die erstklassigen und die guten Lokale auf, aber für eine so feuchte Angelegenheit viel zu trocken. Restaurants, Gasthäuser sind keine Sehenswürdigkeiten, sondern Essenswürdigkeiten, und die kann man nur nach eigenem Geschmack herausfinden. Gut essen und trinken ist auch eine Kunst, und eine solche Kochkunstwanderung wird Ihnen gerade in Wien viel mehr von der »Landesart und Sitte« erzählen als sämtliche Kirchenfenster und Barockportale. Mit einem Wort: Lassen wir die Bildung und die Feinsinnigkeit einmal beiseite und sprechen wir ruhig vom Essen.

      Wo soll man diese Kochkunstwanderung beginnen? Natürlich, da entsteht zwischen Ihnen sofort wieder eine eheliche Differenz. Ängstlich und korrekt, wie Männer meistens sind, verweist er auf die Inschrift im Hotelzimmer: »Falls die Hauptmahlzeiten nicht im Hotelrestaurant genommen werden, erhöht sich der Zimmerpreis um 25 Prozent.« Unserer reizenden Gnädigen ist das aber ganz egal, denn erstens weiß sie gar nicht genau, wie viel 25 Prozent sind und überhaupt erklärt sie dezidiert: »Ich will nicht immer in dem langweiligen Hotelrestaurant speisen. Das ist in der ganzen Welt dasselbe. Ich möchte in ein mondänes Lokal gehen, wo man Leute sieht.«

      Wie wäre es mit einem Kompromiss: Das erste Mal essen wir im Hotelrestaurant, das genügt vollkommen. Die Warnungstafel im Zimmer? Aber was. Kundmachungen sind bei uns immer strenger textiert, als sie gemeint sind. Außerdem sind die Restaurants der erstklassigen Hotels wirklich sehr hübsch und elegant. Große, festlich beleuchtete Speisesäle, und in den meisten isst man sein Abendbrot nicht unter Tränen, sondern unter den Klängen einer Jazzband. Ja, wir haben uns in den letzten Jahren gewaltig herausgemacht und seitdem es uns sanierungswürdig schlecht geht, sind wir sehr mondän, elegant und luxuriös geworden. Die ältesten, konservativsten und feudalsten Lokale haben daran glauben müssen, haben sich auf Souper dansant und Barstimmung umgestellt. Pessimisten erblicken darin ein Zeichen des Verfalls. Aber auch der Verfall hat bei uns immer eine gewisse animierte Stimmung und selbst wenn wir auf dem berühmten Vulkan tanzen, geschieht es bestimmt im Shimmyschritt …

      Sogar beim Sacher können Sie jetzt ein Wiener Schnitzel mit Charlestongarnierung essen. Sie wissen doch, was der Sacher ist? Kein Hotel, kein Restaurant, sondern ein altösterreichischer Begriff, wie der Vater Radetzky, in dessen Lager bekanntlich einmal Österreich war. Dieses habsburgisch-aristokratische Österreich ist früher bei Sacher abgestiegen, hat dort im distinguierten Speisesaal soupiert oder in den Separees, die eine bevorzugte Lage hatten: an der Augustinerstraße gerade hinter der Hofoper und dem Hofopernballett. Hier hat nicht nur der selige jungwiener Jüngling Anatol seine besten erotischen Jahre verbracht, hier hat sich auch mancher Erzherzog höchsteigenhändig um das Wohl des Volkes bemüht … Hier geruhten Fürsten, Grafen und Exzellenzen sich herabzulassen und hier fing nicht nur der Mensch, sondern auch das Ballettmädel prinzipiell mindestens etwa mit einem Baron an … Dieses Hotel war aber auch das Absteigequartier des alten Österreich-Ungarn und seiner Politik. Hier hat nicht nur der Oberkellner, sondern leider auch unsere Diplomatie schwere Rechenfehler begangen, hier wurde ebenso wahllos konferiert und regiert, wie geliebt. Aber es war alles nicht viel wert und nicht von Dauer, die Politik wie die Liebe bei Sacher. In diesem Separeelager war einmal Österreich …

      Man sagt immer »der Sacher«, aber eigentlich sollte man sagen: die Sacher. Nämlich Frau Anna Sacher, die dieses Hotel und sein Restaurant seit Jahrzehnten repräsentiert und leitet. Auch eine altösterreichische Originalfigur, eine Gestalt aus der Zeit der Fürstin Pauline Metternich. Die Frau Sacher ist keine gewöhnliche Wirtin, sie ist eine patrizische Dame mit einem Häubchen und einer weißen Schürze. Und dabei doch eine richtige Wirtin, die ihr Handwerk versteht, aber auch ihre Gäste. Zwischen ihr und ihren vornehmen Stammgästen besteht eine gewisse, intime, herzliche Vertraulichkeit, aber nur von Seiten der Frau Sacher, die immer Distanz zu wahren weiß. Und sie weiß auch genau, wem sie die Hand zu reichen hat, ein Händedruck, der hier zugleich eine Legitimation ist, eine Anweisung auf besonders aufmerksame Bedienung, auf einen besonders guten Platz. Dieses Sacher-Zeremoniell gilt auch in der Republik unverändert weiter und trotz aller Jazzkonzession an die heutige Zeit versteht die Frau Sacher keinen Spaß, auch dann nicht, wenn eine einzelne Dame sich den Spaß machen will, hier allein zu essen. Einzelnen Damen und mögen sie noch so einwandfrei sein, wird hier und in einigen anderen konservativen Lokalen nicht serviert. Frau Sacher lässt sich lieber wegen Ehrenbeleidigung klagen und verurteilen, als dass sie da nachgibt. Sonst ist die Frau Sacher eine charmante, gescheite Wienerin, aber dass eine Dame sich abends allein zu Tisch setzt, das geht über ihre Souperbegriffe. Und darüber entrüstet sie sich immer wieder: teils aus einer gestrigen Moral heraus, teils deshalb, weil eine Dame in Herrengesellschaft erfahrungsgemäß viel mehr konsumiert. Und eine Dame, die anständig isst und trinkt, die ist wirklich anständig …

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      Übrigens ist der Sacher absolut kein Wurzlokal. Jetzt können Sie als gewöhnlicher, anständiger Mensch oder als gut angezogener Hochstapler hierherkommen und sich ein Menü um 8 Schilling geben lassen, das wirklich sehens- und essenswert ist. 3 Schilling Trinkgeld, 1 Schilling Garderobe, 5 Schilling für die Musik, macht für ein Ehepaar etwa 30 Schilling. Für das Geld sehen Sie noch gratis die Überbleibsel des gestrigen Österreich, einen Kinsky, Schönborn, Sternberg oder Salm, die scheinbar nichts davon spüren, dass der Adel in der Republik Österreich abgeschafft ist, dass sie nur mehr Fürsten und Grafen in der Klammer sind, die alle noch genauso anmaßend distinguiert aussehen wie einst, als noch eine hohe, schlanke Figur ein Verdienst um den Staat war und die unverändert fesch-leger über die Tontschi und die

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