Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman. Karina Kaiser
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An diesem Abend hatten sich Pünktchen und Martin Felder zu den kleineren Kindern gesellt und betrachteten gemeinsam mit ihnen den Sternenhimmel.
»Wohnen eigentlich alle Eltern die gestorben sind, auf demselben Stern?«, wollte Romina wissen.
»Das weiß ich nicht so genau«, erwiderte Heidi und zog die Schultern hoch. »Aber die Eltern aller Kinder von Sophienlust wohnen dort. Das ist sicher.«
»Haben die denn dort genug Platz? So sehr groß sieht dieser Stern nicht aus. Das heißt, alle Sterne sehen nur aus wie kleine Punkte. Ein paar sind wirklich schön und sehr hell, aber eben nicht groß.«
»Das scheint nur so, weil die Sterne so furchtbar weit weg sind«, erklärte Pünktchen. »Jeder dieser Sterne ist mindestens so groß wie unsere Erde. Die meisten sind noch viel größer. Ihr habt das doch bestimmt auch schon oft festgestellt. Je weiter etwas entfernt ist, umso kleiner erscheint es. Erst wenn man näher herankommt sieht man, dass diese Dinge gar nicht so klein sind, wie sie vorher ausgesehen haben. Und diese Sterne sind alle unvorstellbar weit weg.«
»Ich weiß, wie ist das«, meldete Kim sich zu Wort. »Ich mal war mit Tante Isi auf Flughafen. Wir haben abgeholt Onkel Alexander. Wenn wir hier sehen Flugzeuge am Himmel, sie sehen aus ganz klein. Sind wie kleines Spielzeug. Aber auf Flughafen ich dann habe gesehen Flugzeuge auf Boden, direkt draußen vor Fenster. Waren ganz riesig. Ich ja auch bin gekommen mit Flugzeug nach Deutschland. Aber ich nicht mehr weiß, wie war das. Ich vergessen habe, wie groß sind Flugzeuge. Erst mit Tante Isi auf Flughafen ich habe richtig gemerkt, dass die sind riesig.«
Kim versuchte, mit seinen Armen eine gewaltige Spanne anzudeuten, und Martin bestätigte ihn. »Das ist richtig. In der Luft kann man die Größe von Flugzeugen nicht einschätzen. Erst wenn sie am Boden sind, kann man das richtig erkennen. So ist es mit den Sternen auch. Das heißt, sie bleiben immer weit weg. Auf der Erde hätten sie gar keinen Platz.«
Romina machte sich große Gedanken um ihre Eltern. »Wie können sich unsere Eltern denn miteinander unterhalten? Kims Eltern kommen aus Vietnam und sprechen eine andere Sprache. Sie können doch gar nicht verstehen, wenn meine oder Heidis Eltern ihnen etwas sagen wollen.«
»Doch, das können sie«, widersprach Pünktchen. »Weißt du, auf diesem Stern ist alles anders als auf der Erde. Sprachprobleme gibt es dort nicht. Jeder versteht die Sprache des anderen automatisch. Das braucht er gar nicht erst zu lernen.«
»Ist schön auf Stern«, meinte Kim seufzend. »Als ich bin gekommen nach Deutschland, ich musste ganz viel lernen. Zuerst ich habe verstanden gar nichts und sprechen ich konnte die komische Sprache auch nicht. Schade, dass auf Erde nicht ist so einfach wie auf Stern.«
»Da sagst du ein wahres Wort«, erklärte Martin im Brustton der Überzeugung. »Wenn das hier so einfach wäre, hätten wir keine Probleme mehr mit englischen Vokabeln. Wir könnten automatisch jede Sprache und würden nur noch Einser in der Schule schreiben. Das wäre eine tolle Sache, die uns das Leben viel leichter machen würde. Wir bräuchten nie wieder Vokabeln zu büffeln und Grammatik auch nicht.«
»Dann können Kims Eltern meinen Papa sogar verstehen, wenn er Italienisch spricht«, resümierte Romina. »Deutsch kann er auch sehr gut, aber manchmal spricht er gerne Italienisch, besonders, wenn er gerade einmal aufgeregt ist oder ganz schnell etwas erklären möchte.«
»Ja, alle verstehen ihn auch, wenn er Italienisch spricht«, bestätigte Pünktchen und blickte in den Nachthimmel. Gemeinsam betrachteten die Kinder schweigend den ausgewählten Stern.
Martin und Pünktchen wussten natürlich längst, dass verstorbene Eltern nicht auf einem Stern lebten. Aber sie hüteten sich, den jüngeren Kindern diese zauberhafte Vorstellung zu nehmen, die ihnen Trost bereitete und eine Menge Kraft geben konnte.
Es schadete nicht, wenn es da ein Märchen gab, an dem sie sich festhalten konnten. Wie wichtig dieser Halt für die Kinder war, stellten Martin und Pünktchen in diesem Augenblick ganz deutlich fest. Es lag ein Lächeln auf Rominas Gesicht, als sie zaghaft die Hand hob und ihren auf dem Stern wohnenden Eltern zuwinkte.
»Hallo, Mama und Papa. Ihr könnt mich bestimmt sehen, auch wenn ich euch nicht sehen kann. Ich bin jetzt in Sophienlust. Die Eltern der anderen Kinder haben euch bestimmt schon von dem Kinderheim erzählt. Es ist schön hier. Fabio und ich dürfen für immer bleiben. Das hat Tante Isi mir versprochen. Ihr braucht euch also keine Sorgen um mich zu machen, und hoffentlich seid ihr mir nicht böse, weil ich aus dem Fenster geklettert bin und doch bei Vanessa übernachtet habe. Ich weiß, dass ich das nicht tun durfte. Aber ich weiß auch, wie lieb ihr mich habt. Ich habe ja schon oft etwas angestellt, und ihr seid mir eigentlich nie richtig böse gewesen, wenn ich mich entschuldigt habe. Also, es tut mir leid, dass ich ausgerissen und zu Vanessa gegangen bin. Damit ist alles wieder in Ordnung, nicht wahr?«
Pünktchen und Martin wechselten einen vielsagenden Blick, der von den kleineren Kindern unbemerkt blieb. Rominas Entschuldigung rührte sie ebenso wie der feste Glaube des kleinen Mädchens, dass die Eltern nun nicht mehr böse waren. Gleichzeitig mussten die beiden auch daran denken, was passiert wäre, wenn Romina sich nicht ungehorsam gezeigt hätte. Dann wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht in Sophienlust. Dann wäre alles anders und noch weitaus schlimmer gekommen.
*
Mit der Unterstützung der Behörden war es für Denise kein Problem gewesen, Rominas Angehörige ausfindig zu machen.
Etwa zweihundert Kilometer entfernt lebten ihre Großeltern. Barbara und Thorsten Ellinger besaßen dort ein recht bekanntes Hotel. Denise erfuhr, dass die beiden Leute über den Tod ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes bereits informiert waren. Allerdings war vorläufig versäumt worden, sie davon zu unterrichten, dass Romina den Brand überlebt hatte. Diese gute Botschaft wollte Denise den Großeltern nun selbst überbringen.
Bevor sie sich auf den doch recht weiten Weg machen, entschied sie, die Ellingers zunächst telefonisch zu unterrichten. Zwar wunderte sie sich ein wenig darüber, dass Romina bisher nie von Oma und Opa gesprochen hatte, doch das führte sie auf die Schocksituation zurück, unter der das Kind noch immer stand.
Nick war anwesend, als seine Mutter die Nummer der Ellingers wählte. Er wollte gerne Zeuge des Gespräches sein und freute sich schon darauf, dass ihnen eine freudige Nachricht überbracht werden konnte.
Thorsten Ellinger, der mit seiner Frau gerade über die Neugestaltung der Hotelhalle sprach, meldete sich bereits nach dem ersten Klingeln. Verwirrt schüttelte er den Kopf, als Denise sich vorstellte und erklärte, dass sie vom Kinderheim Sophienlust aus anriefe.
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie leid mir der Tod Ihrer Tochter und Ihres Schwiegersohnes tut«, erklärte sie. »Es ist ein schreckliches Unglück gewesen, das Sie sehr belasten muss. Aber ich habe auch eine gute Nachricht. Sie wissen es noch nicht, aber Ihre Enkeltochter Romina hat überlebt. Sie ist unverletzt und befindet sich mit ihrem Hund Fabio hier bei uns.«
Thorsten hatte den Lautsprecher des Telefons eingeschaltet, damit seine Frau mithören konnte. Barbaras Gesicht war nun ebenso erstaunt wie das ihres Mannes. Sie zog die Schultern hoch und schüttelte ratlos den Kopf.
»Entschuldigen Sie, Frau von Schoenecker, aber das muss ein Irrtum sein«, bemerkte Thorsten. »Die Sache mit dem Brand stimmt. Die Polizei hat uns darüber informiert. Aber es gibt keine Enkeltochter. Jedenfalls haben wir keine Ahnung von der Existenz eines Kindes.«
Jetzt war das Erstaunen