Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman. Karina Kaiser
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»Ja, sie ist unsere Tochter gewesen. Aber das ist lange her. Jenny hat sich gegen unsere Familie entschieden, und seit dieser Zeit war sie nicht mehr unsere Tochter.«
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, gestand Denise.
»Das glaube ich Ihnen. Es ist eine lange und traurige Geschichte, die sich allerdings in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt. Wir haben zwei Töchter, Linda und ihre um vier Jahre jüngere Schwester Jenny. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir beide Kinder gleichermaßen geliebt haben. Während Linda sich sehr gut entwickelte, hat Jenny uns hingegen viele Sorgen bereitet. Sie war eigenwillig und stur. Trotzdem hat sie ihr Abitur geschafft und ein Studium begonnen. Aber sie hielt nur zwei Semester durch. Dann lernte sie bei einem Kirmesbesuch eine italienischen Schausteller kennen und hat sich in diesen Mann verliebt. Als wir ihr diese Verbindung untersagten, ist sie mit ihm praktisch durchgebrannt und von einem Kirmesplatz zum nächsten gereist. Ein halbes Jahr lang haben wir noch versucht, Jenny zur Vernunft zu bringen. Sie sollte nach Hause kommen und ihr Studium wiederaufnehmen. Das hat sie abgelehnt, und wir hatten keine andere Möglichkeit, als unsere Tochter aufzugeben. Seit mehr als acht Jahren haben wir nichts mehr von ihr gehört und auch keinen Wert mehr darauf gelegt.«
Denise fühlte Zorn in sich aufsteigen. Wie konnten Eltern ihr eigenes Kind verstoßen, nur weil sie mit der Wahl des Schwiegersohnes und der Weltanschauung nicht einverstanden waren? Doch hier ging es nicht um das Verhältnis, das die Ellingers zu ihrer Tochter Jenny gehabt hatten, und auch nicht darum, ihnen vorzuhalten, wie egoistisch und engstirnig ihre Einstellung war. Allein Romina und deren Zukunft standen im Vordergrund.
»Das Zerwürfnis zwischen Ihnen und Ihrer Tochter tut mir aufrichtig leid. Es ist immer schade, wenn eine Familie zerfällt. Aber hier gibt es ein kleines Mädchen, das seine Eltern verloren hat und trotz der ungünstigen familiären Verhältnisse Ihre Enkeltochter ist. Romina ist sieben Jahre alt und hat keinerlei Schuld auf sich geladen. Offensichtlich weiß sie bis jetzt nicht, dass sie Großeltern hat. Vielleicht wären Sie zumindest bereit …!«
»Nein, ich bin zu gar nichts bereit«, unterbrach Thorsten. »Wenn dieses Kind nicht weiß, dass es Großeltern hat, sollte das auch so bleiben. Unsere Tochter Jenny existiert für uns schon lange nicht mehr. Erst durch die Polizei haben wir jetzt erfahren, dass sie diesen Alessandro Castello wohl tatsächlich geheiratet und seinen Namen getragen hat. Mehr brauchen wir über Jenny nicht zu erfahren, und dieses Kind, dass sie mit einem italienischen Kirmesbudenbesitzer in die Welt gesetzt hat, geht uns nichts an. Mit einem Kind aus solchen Verhältnissen wollen wir nichts zu tun haben. Ich nehme an, dass sich das Jugendamt um das Waisenkind kümmern und für seine Unterbringung sorgen wird.«
»Selbstverständlich ist für Romina gesorgt«, bestätigte Denise. »Sie kann hier bei uns in Sophienlust bleiben und behütet aufwachsen. Aber der Kontakt zu Verwandten ist für Kinder, die ein so schweres Schicksal erlebt haben, trotzdem sehr wichtig. Wollen Sie ein unschuldiges kleines Mädchen wirklich für das büßen lassen, was Ihnen Ihre Tochter angetan hat? Ich kann mich gerne in ein paar Tagen noch einmal bei Ihnen melden, wenn Sie in Ruhe über die Situation nachgedacht und vielleicht auch mit Ihrer Frau darüber gesprochen haben.«
»Meine Frau und ich sind einer Meinung, daran wird sich auch nichts ändern«, erwiderte Thorsten frostig. »Ein erneuter Anruf würde zu nichts führen. Wir haben kein Enkelkind, jedenfalls keins, das wir in irgendeiner Form akzeptieren könnten. Ich bin mit den gesetzlichen Regelungen auf diesem Gebiet nicht vertraut. Möglicherweise kann man uns für den Unterhalt dieses Mädchens zur Verantwortung ziehen. Wenn das der Fall ist, können wir uns leider nicht dagegen wehren. Falls man Unterhaltszahlungen von uns verlangt, werden wir wahrscheinlich automatisch informiert. Ich denke nicht, dass wir dann einen Rechtsstreit führen werden. Das tun wir aber nur deshalb nicht, weil es uns zu lästig ist und weil wir durch Unterhaltsleistungen nicht spürbar ärmer werden. Kontakte zu dieser Tochter eines italienischen Taugenichts lehnen wir jedoch kategorisch ab. Mehr kann ich dazu nicht sagen, und ich möchte diesbezüglich auch nicht noch einmal behelligt werden.«
Denise sah ein, dass sie auf verlorenem Posten stand. Sie hätte mit Engelszungen auf Thorsten Ellinger einreden können, und doch wäre es unmöglich gewesen, etwas zu erreichen. Die Ellingers verabscheuten ihre Tochter und alles, was mit ihr zu tun hatte, abgrundtief. Das schwere Schicksal eines kleinen Mädchens berührte sie in keiner Weise. Mitgefühl war für diese Menschen ein Fremdwort. Deshalb verabschiedete Denise sich und legte auf.
»Was sind das nur für Menschen?«, fragte Nick erschüttert und schüttelte verständnislos den Kopf. »Niemand hat erwartet, dass die Ellingers Romina mit offenen Armen empfangen und augenblicklich in ihre Herzen schließen würden. Aber dieses Verhalten ist unglaublich. Derartiges habe ich noch nie erlebt.«
»Ich schon«, entgegnete Denise lächelnd. »Allerdings muss ich gestehen, dass es höchst selten vorgekommen ist, und das ist auch gut so. Wenn alle Menschen so wären, würden wir in einer Welt leben, deren Härte und Kälte niemand ertragen könnte. Zum Glück scheint Romina nichts von der Existenz ihrer Großeltern zu wissen. Deshalb kann sie unter deren Abneigung nicht noch zusätzlich leiden.«
»Das wäre wirklich schlimm. Ich glaube, wir sollten ihr gar nicht erzählen, dass es da noch Verwandte gibt. Es ist für sie besser, wenn sie es nicht erfährt. Oder sind wir etwa gesetzlich verpflichtet, sie darüber in Kenntnis zu setzen? Das kann nicht hilfreich für sie sein.«
»Die verwandtschaftlichen Verhältnisse müssen dokumentiert werden. Das ist allein schon deshalb nötig, weil Romina gegenüber ihren Großeltern einen Erbanspruch hat. Aber bis dieser Erbfall eintritt, wird noch eine Menge Zeit verstreichen.« Denise seufzte. »Vermutlich ist sie bis dahin erwachsen. Vorläufig braucht Romina nichts zu erfahren. Du hast ganz recht. Das ist besser für sie. Die Kleine hat es schwer genug, auch wenn sie sich inzwischen bei uns schon prima eingelebt hat. Sie soll nicht unnötig belastet werden. Also erwähne das Gespräch mit den Großeltern auch den anderen Kindern gegenüber nicht. Sie könnten sich unbeabsichtigt verplappern.«
»Kein Wort kommt über meine Lippen«, versprach Nick. »Darauf kannst du dich verlassen.«
Noch immer war Nick völlig fassungslos. Thorsten Ellingers harte Worte klangen noch in ihm nach. Dieser Mann hatte es nicht einmal für nötig befunden, auch nur einmal den Namen seiner Enkeltochter zu erwähnen. Durch die Abneigung gegenüber seiner Tochter schien er auch die Enkelin regelrecht zu hassen, obwohl er sie überhaupt nicht kannte.
Nick fragte sich, wie seine Eltern wohl reagieren würden, wenn er eine Beziehung mit einer italienischen Schaustellerin eingehen würde. Natürlich plante er nichts dergleichen. Es war nur diese interessante Frage, die ihm durch den Kopf ging. Vermutlich würden sie nicht sofort begeistert sein, aber doch eingehend prüfen, ob er mit dieser Frau glücklich werden könnte. Wenn ihnen dann klar wurde, dass aufrichtige Liebe von beiden Seiten im Spiel war, würden sie seine Entscheidung akzeptieren. Statt ihn aus der Familie zu verbannen, würden sie ihm und seiner großen Liebe alles Glück dieser Welt wünschen, und ein Enkelkind wäre ihnen jederzeit willkommen.
Arme kleine Romina, dachte Nick. Das Schicksal hatte ihr die Eltern genommen. Trotzdem hatte sie noch Familienangehörige.
Doch von denen durfte sie nicht erfahren. Vielleicht war das in jeder Hinsicht besser so. In Nick kochte der Zorn. Eine so nette Enkeltochter wie Romina hatten die Ellingers überhaupt nicht verdient!
*
Thorsten und Barbara Ellinger hatten ihre Tochter Linda und ihren Schwiegersohn über den Tod von Jenny und Alessandro Castello informiert. Die beiden jungen Leute waren erschüttert und machten sich gleich auf den Weg zu den Ellingers. Sie wohnten etwa sechzig Kilometer weit entfernt.