Red House. Andreas Bahlmann

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Red House - Andreas Bahlmann

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Mylla milde, freundlich, gutmütig und Nichtraucherin. Sie empfahl meinen Eltern sogar irgendwann einen anderen Klavierlehrer, weil sie ihm nicht das zeigen konnte, was er gerne lernen wollte.

      Aus meinem kleinen, heulenden Bruder ist schließlich ein professioneller, richtig guter Jazz-Pianist geworden. Herr Mylla war als der ehemalige Leiter des damaligen jugoslawischen, staatlichen Rundfunkorchesters als Lehrkraft zur Musikschule gekommen, und er brachte diese kompromisslose, staatsautoritäre Prägung auch direkt in die Unterrichtsstunden mit ein.

      Musikalisch gesehen war er wirklich ein harter Hund, menschlich betrachtet sowieso.

      Wie oft stand er hinter mir, verdrehte meine Ellenbogen nach außen, damit die Handrücken-Knöchel der kleinen Finger mit denen der Zeigefinger eine Ebene bildeten, während ich diese doofen Klavieretüden spielte. Ich spielte und lernte Stücke von Strawinsky, Bartok, Mozart, Bach, Beethoven und anderen der großen, klassischen Komponisten, aber diese Musik interessierte mich überhaupt nicht, bis heute noch nicht. Es gibt jedoch einige klassische Melodien, die finde ich richtig, so richtig gut.

      Für den Besuch einer ganzen Orchester-Aufführung, beispielsweise im Theater, reicht es aber wiederum nicht, auch bis heute nicht.

      Ich nahm später, viele Jahre später wieder Klavierunterricht, gab es aber fluchtartig schnell wieder auf, weil ich das Gefühl hatte, mein Kopf würde zerplatzen, so sehr dröhnte es in mir …

      Ich wollte damals nur diese verdammten drei Jahre hinter mich bringen, um mir die Uhr zu verdienen und endlich Gitarre zu lernen. Mein Klavier-Aufgabenheft musste ich jede Woche von meinen Eltern unterschreiben lassen, damit sie die Aufgaben, Noten und Beurteilungen, die mir Herr Mylla nach jeder Klavierstunde schriftlich gab, auch lasen.

      Ich habe eines dieser Hefte zufällig später wiederentdeckt, … mannomann …, waren da viele Fünfen und Faulheits-Bemerkungen drin, aber ich musste auch so einen Mist spielen, der mich, neben dem Klavier, ebenfalls nicht die Bohne interessierte oder vielleicht einen Hauch ansprach.

      Ich erinnere mich besonders an einen Tag, ich war noch keine zehn Jahre alt.

      Herr Mylla war noch nicht anwesend, als ich zur Klavierstunde erschien und ich hatte die seltene Gelegenheit, alleine am Klavier einige, für mich mich neue Akkorde und Melodien auszuprobieren. Es waren Blues-Akkorde und Blues-Melodien, die ich gedankenversunken in meinem sich leise entwickelnden, inneren, musikalischen Gehör, vor mich hinklimperte und ausprobierte.

      Bei uns zu Hause hatte sich bis dahin nie die Gelegenheit geboten oder ergeben, einfach mal 'n bisschen rum zu probieren, weil entweder sofort meine Brüder dazwischenhauten oder sonst wie nervten oder einfach Kinder aus der Nachbarschaft zum Spielen da waren. Das besaß immer und unbedingte Priorität. Wir mussten schließlich ständig das Waffenarsenal unserer Bande perfektionieren, im Kampf gegen das ständige, unbefugte Betreten unseres Territoriums oder sogar Angriffe feindlicher Kinder-Banden anderer Straßen! Die Gefangenen wurden als »feindliche Spione« immer in der Gartenlaube, am Birnbaum oder im Schuppen gefesselt und »gemartert«.

      Befreiungsversuche waren chancenlos, denn wir schoben äußerst aufmerksam Wache und verfügten über gut ausgebildete Kundschafter in unseren Reihen. Wenn Erwachsenenbesuch da war, dauerte es nie lange bis zur überflüssigsten aller denkbaren Aufforderungen:

      »Gottfried, spiel doch mal was vor … Herr oder Frau Müller (oder so) möchten doch so gerne mal hören, wie schön du Klavier spielen kannst …« Das war grauenhaft!

      Ich machte zu Hause meistens einen ziemlich großen Bogen um das Klavier herum, allerdings musste ich manchmal »zwangsüben«, um mich verabreden oder draußen spielen zu können. Bei Erwachsenenbesuch blieb mir oft entweder verstecken oder die schnelle, leise und unbemerkte Flucht als letzter, rettender Ausweg.

      Eine totale Klavier-Verweigerung ging einerseits nicht wegen des so sehr gewünschten Gitarren-Unterrichts und andererseits spürte ich ja diese unbändige Gier nach dieser anderen, so unglaublich anders klingenden Musik in mir. Warum es also nicht am Klavier versuchen? Zu irgendwas musste das ungeliebte Instrument doch nütze sein. Und genau das probierte ich an jenem Tag, als ich gedankenversunken im Klassenzimmer dem Klavier ganz leise, so ganz andere Töne entlockte.

      »Red House« klopfte ganz vorsichtig instrumental in mir an, als ich plötzlich, jäh und gänzlich unvermittelt von hinten angebrüllt wurde. Ich spürte den Windzug sogar an meinem hochrasierten Hinterkopf. Tief erschrocken fuhr ich vom Hocker hoch, drehte mich um. Vor mir stand Herr Mylla, mit wutentbranntem Gesichtsausdruck und hochroten Kopf, noch im braunen, fellkragenbesetztem Mantel und blauen Schal um den Hals und schrie mich an. Er war völlig außer sich: »Ich dulde hier so etwas nicht! Was ist das? Das ist keine Musik! Das will ich hier nicht hören! …«

      Den Rest nahm ich schon gar nicht mehr wahr. Herr Mylla brüllte und tobte laut und dabei unkontrolliert Tröpfchen spuckend herum. Nachdem er mich so zusammengeschrien hatte, bog er mir wieder die Ellenbogen auseinander, während ich eingeschüchtert diese Scheiß-Klassik-Etüden spielen musste.

      Etwa fünfundzwanzig Jahre später begegnete ich Herrn Mylla zufällig in einem Herren-Friseursalon und er erkannte mich auch gleich wieder. Auf seine Frage, was denn aus mir geworden sei, entgegnete ich: »Musiker.«

      »Oh, das ist aber erfreulich! Was für Musik machen Sie denn?«

      Als ich ihm erklärte, dass ich Blues, Rock'n'Roll usw. spielte, wandte er sich brüsk mit einem verächtlich geschnauften: »… davon versteh ich nichts!« von mir ab und unser Wiedersehen nach all den Jahren, war schlagartig, nach einigen Sekunden beendet.

Kapitellogo

      Aus den anfänglich drei Jahren Klavierunterricht sollten insgesamt sieben Jahre werden. Jedes weitere Jahr war mit einer »Jahresprämie« in Höhe von fünfzig D-Mark durch meinen Opa erkauft worden. Die Hoffnung auf Gitarren-Unterricht hatte ich inzwischen aufgegeben, den Willen zum Gitarre spielen jedoch nicht. Ich begann, mein musikalisches Schicksal selbst in die Hände zu nehmen: mit dem Geld fürs Verteilen der Adressbücher, plus der jährlichen fünfzig D-Mark Klavier-Bestechungs-Geld, hatte ich mit dreizehn Jahren, beinahe vierzehn, genug Geld zusammen, um mir eine echte Westerngitarre zu kaufen. Mein Cousin besaß auch eine und ich liebte und liebe diesen brillanten Klang – damals und heute – sehr.

      Mit dem Klang der klassischen oder spanischen Gitarre mit ihren Nylon- oder Darmsaiten wurde ich nie so richtig warm, obwohl sie gut bespielbar sind. Endlich hielt ich also meine »Cimar«-Westerngitarre in meinen, für Gitarre ja eigentlich viel zu kleinen Händen, und ich übte und spielte eigentlich ständig auf ihr. Ich besorgte mir Liederbücher wie den »Student für Europa« und brachte mir damit Akkorde und Liedbegleitungen bei. Ich schaute viel den älteren Gitarrespielern auf die Finger und begriff nebenbei so auch, dass die Gitarre auch ein echter Türöffner zur Mädchenwelt war oder sein konnte, je nach Auswahl der vorgetragenen Lieder.

      Natürlich spielte auch eine gewisse Vortragsvirtuosität eine Rolle. Minutenlanges, quälendes, verzweifeltes Suchen nach dem richtigen Akkordgriff oder falsche Töne beim Singen der Melodie waren mit Sicherheit eher ein Mädchen-Tür-Zuknaller.

      Und es brachte ebenfalls auf keinen Fall den äußerst angenehmen, so manches Mal sehnlichst erwünschten, teilweise beabsichtigten oder zumindest erhofften Effekt, dass da mit verklärtem Blick, verträumt vor sich hinsummend, deine heimlich Angebetete, wie ein strahlender Engel der Liebe, inmitten einer um dich herumsitzenden Gruppe dahinschmolz, während du »Let it be« von den Beatles spielst und singst …

      Dazu taugten die Lieder der Beatles wirklich beinahe konkurrenzlos gut. Schnulzen wie »Angie«

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