Vom Imperiengeschäft. Berthold Seliger

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Vom Imperiengeschäft - Berthold Seliger

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      Doch Walt bleibt stur: »Ich habe nicht so hart dafür gearbeitet, um das alles zu verschleudern. Wir haben gelitten und geblutet, buchstäblich, für dieses Geschäft.«

      Jesse fragt Walt: »Wenn es hart auf hart kommt, sind wir dann lieber im Meth-Geschäft oder lieber im Geld-Ge­schäft?« Wollen wir lieber mafiöse Drogenhändler oder lieber korrupte und dubiose Bänker sein?

      Und dann bleibt diese Folge von Breaking Bad förmlich stehen, der Stillstand währt nur wenige Sekunden und doch eine Ewigkeit, bevor wir von Walt, dem gefürchteten und bewunderten »Heisenberg«, erfahren, worum sich alles, wirklich alles dreht. Wir hören die Gralserzählung des 21. Jahrhunderts:

      »Hast du schon einmal von einer Firma namens Gray Matter Technologies gehört? Ich habe diese Firma noch als Student zusammen mit Freunden gegründet, von mir stammt sogar der Name der Firma. Damals war es zunächst ein Kleinstunternehmen, wir hatten ein paar Patente angemeldet, aber nichts Weltbewegendes. Natürlich wußten wir alle um das Potential der Firma. Ja, wir wollten die Welt im Sturm erobern ... Und dann hat ... also ... irgendwas ist zwischen uns dreien passiert. Ich gehe jetzt nicht ins Detail. Aber aus persönlichen Gründen entschloß ich mich, die Firma zu verlassen, und verkaufte meinen Anteil an meine beiden Partner. Ich wählte einen Buyout. Für 5000 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt war das ein Haufen Geld für mich. Jetzt rate mal, was dieses Unternehmen heute wert ist.«

      Jesse: »Millionen?«

      Walt: »Milliarden! Und es wächst weiter: 2,6 Milliarden, Stand vom letzten Freitag, ich sehe jede Woche nach. Und ich habe meinen Anteil verkauft, mein Potential, für 5000 Dollar. Ich habe das Geburtsrecht meiner Kinder für ein paar Monatsmieten verkauft.«

      Jesse: »Aber das ist doch überhaupt nicht das gleiche.«

      Walt: »Jesse, du hast mich gefragt, ob ich im Meth-Geschäft oder im Geld-Geschäft wäre. Weder noch. Ich bin im Imperiengeschäft!« Und Walt führt bedeutungsvoll das Whiskyglas zum Mund.1

      Die Fernsehserie Breaking Bad von Vince Gilligan kann man als Beschreibung der dunklen Seite des Kapitalismus verstehen, eines neoliberalen Kapitalismus in einer aus den Fugen geratenen Welt. Der kapitalistische Realismus zeigt sich auf mehreren Ebenen: Der Chemielehrer Walter White ist schon von Haus aus nicht in der Lage, mit seinem Lehrergehalt seiner Familie das Leben zu bieten, das ihm als biederer amerikanischer Bürger vorschwebt, zumal sein Sohn an Cerebralparese leidet und die Therapie hohe Kosten verursacht. So ist er gezwungen, einem Zweitjob in einer Autowaschanlage nachzugehen.

      Auch hierzulande besteht eine ständig wachsende Gruppe des »Prekariats« aus arbeitenden Vätern, die zwischen 25 und 54 Jahre alt sind und denen es auch bei regelmäßiger Erwerbsarbeit nicht gelingt, »gemeinsam mit der Partnerin die Familie sicher zu versorgen«, wie es in einer aktuellen Studie heißt.2

      Walter White kollabiert kurz nach seinem 50. Geburtstag bei der Arbeit in ebendieser Autowaschanlage, und im Krankenhaus erhält er die Diagnose: Lungenkrebs, sehr ge­ringe Heilungschancen. Neben der existentiellen Bedrohung durch diese Krankheit an sich verschärft die neue Lebenssituation noch einmal die soziale Problematik seines Daseins: In den USA existiert bekanntlich nur eine marginale Krankenversicherung, und White kann die immensen, privat aufzubringenden Kosten der Chemotherapie von über 90 000 Dollar nicht aufbringen. Gleichzeitig will er seine Familie finanziell absichern, falls er bald sterben wird. Er berechnet die dafür benötigte Summe mit 737 000 Dollar. Geld, das er mit der Herstellung von Drogen, von besonders reinem und deshalb begehrtem Methamphetamin zu verdienen beabsichtigt.

      Bereits die Grundkonstellation der prekären Existenz von in seriösen Jobs arbeitenden Menschen beleuchtet die Lebensbedingungen im kapitalistischen Realismus. Gleichzeitig zeigt uns Breaking Bad beispielhaft verschiedene Stadien und Formen dieses Wirtschaftssystems: Die Ideologie der Start-Ups etwa, der »ausgelagerten Testbienchen« (Diet­mar Dath), also kleiner Firmen mit Ideen und Patenten, von denen einige aus unterschiedlichsten Gründen groß werden und ihre Gründer, so sie denn nicht vorher die Segel gestrichen haben, reich machen. Microsoft wurde bekanntlich 1975 von Bill Gates, Paul Allen und Monte Davidoff gegründet. Die drei Microsoft-Gründer hatten die Programmiersprache Altair BASIC 2.0 für den Computer Altair 8800 des Unternehmens MITS (Micro Instrumentation Telemetry Systems) entwickelt, mit dem sie einen Distribu­tionsvertrag abschlossen, der ihnen neben einer Einmalzahlung von 3000 Dollar auch unterschiedlich hohe Umsatzbeteiligungen garantierte, wenn die Computerkäufer die von Microsoft entwickelte Software mit- oder nachbestellten. Der Firmensitz von Microsoft wie auch von MITS war ursprünglich Albuquerque, also just die Stadt, in der auch Breaking Bad spielt. Gates und Allen schlossen untereinander einen Vertrag, der die Aufgabenverteilung und die Gewinnausschüttungen innerhalb ihres jungen Unternehmens regelte. Der dritte Partner, Monte Davidoff, wurde mit einmalig 2400 Dollar ausbezahlt. Walt White in Breaking Bad erhält nach seinem Burnout etwas mehr – 5.000 Dollar –, was damals »ein Haufen Geld« für ihn war. Mittlerweile allerdings ist die Firma, die White mit gegründet hat, mehr als 2,6 Milliarden Dollar wert (und Microsofts Marktwert beträgt im Mai 2018 750,6 Milliarden Dollar).3 Oder denken wir an Apple, den heute mit 926,9 Milliarden Dollar nach Marktwert größten Weltkonzern, der 1976, also ein Jahr nach Microsoft, von Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne mit einem Startkapital von 1300 Dollar gegründet wurde. Mitgründer Wayne, der sich um die juristischen Formalitäten der Firmengründung gekümmert und das erste Logo der neuen Firma gezeichnet hatte (Isaac Newton unter einem Apfelbaum, an dem ein einzelner Apfel hängt), verließ Apple nach kurzer Zeit. Er verkaufte seine Firmenanteile für insgesamt 2300 Dollar. Es handelt sich hier offensichtlich um eine der substantiellen Narrationen von Firmengründungen im digitalen Zeitalter.

      Vor allem aber diskutiert Breaking Bad eine Existenzform des modernen Kapitalismus, die durch den gnadenlosen Neoliberalismus, wie wir ihn seit den siebziger Jahren erleben müssen, und die Digitalisierung erst ermöglicht wurde: das Imperiengeschäft. Man macht einen Laden nicht mehr auf, um einen Laden zu besitzen und ihn erfolgreich zu führen. Man gründet keine Firma mehr, um ein Produkt zu entwickeln und erfolgreich zu verkaufen. Nein, man macht heutzutage einen Laden auf, um einen zweiten aufzumachen, einen dritten, solange, bis man den örtlichen und den regionalen Markt beherrscht, dann den nationalen und schließlich den Weltmarkt. Es geht darum, ein Imperium zu errichten, ganz egal mit welchem Produkt (und es muß nicht einmal ein Produkt sein, im digitalen Kapitalismus betreiben die erfolgreichsten Unternehmen ja häufig nur Plattformen), und ganz egal in welchem Sektor. Die Frage, die Jesse stellt: »Sind wir lieber im Drogen- oder im Geldgeschäft?«, ist die falsche Frage, denn darauf kommt es nicht an. »I’m in the empire business!«, macht Walter White klar. Es kommt auf Größe, auf Markt- und letztlich auf Weltbeherrschung, auf Dominanz und auf Profit an, egal, ob man dies mit Drogen oder mit Bankgeschäften erreicht.

      Oder mit Konzerten. Der Rapper Gucci Mane, der »Trap-Gott«, der die Karrieren von Weltstars wie Travis Scott, Young Thug und Migos befördert hat, erklärt in seiner Autobiographie,4 daß das Geschäft mit Musik letztlich so läuft wie das Geschäft mit Drogen – und mit beidem hat Gucci Mane seine einschlägigen Erfahrungen, als Drogenhändler, der im Knast saß, ebenso wie als erfolgreicher Musiker, der zum Millionär wurde. In beiden Fällen »streckte« er sein Produkt – als Musiker, indem er jeden Monat ein Mixtape veröffentlicht und alte Hits neu aufkocht, mit neuen Musikern, anderen Rappern. Und sowohl als Drogenhändler wie auch als Musiker weiß Gucci Mane, worauf es ankommt: auf die Vertriebswege. Wer über die Distributionskanäle verfügt, der hat die Macht. Der kann den Markt mit seinen Produkten fluten.5

      * Beispielsweise hat Microsoft 1991 laut einem US-Kartellverfahren eine Version von Windows 3.1 auf den Markt gebracht, die eine vorgetäuschte Fehlermeldung anzeigte, wenn Windows 3.1 auf einem Betriebssystem des Konkurrenten Digital Research installiert wurde. Microsoft verglich sich gegen eine Abfindung von mehr als 200 Millio­nen Dollar – vermutlich ein eher kleines Schmerzensgeld,

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