Bei abnehmendem Mond. Jörg M. Pönnighaus
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»Es war Gottes Wille«, sagte sie leise.
Und vergib uns unsere Schuld
[13. August 2006]
Sie brachten ihn um Mitternacht. Er hatte einen Leistenbruch, der sich nicht mehr reponieren ließ, so sehr ich mich auch bemühte, eine eingeklemmte Hernie. Augustin hieß er.
»Und wie lange haben Sie diese Schwellung schon?«
»Seit drei Tagen.«
»Und warum sind Sie nicht sofort gekommen.«
»Ich habe erst Geld finden müssen für den Bus und für hier.«
»Aber jeder weiß doch, dass wir Notfälle behandeln, ohne erst nach Geld zu fragen!«
Ich operierte Augustin sofort. Mtandi gab die Narkose, Lenna assistierte mir. Der eingeklemmte Darm sah nicht gut aus, stellenweise war er schwärzlich. Sollte ich eine Laparotomie machen und das eingeklemmte Stück resezieren? Und eine End-zu-End Anastomosen machen? Es ist nicht so einfach, um Mitternacht die richtige Entscheidung zu treffen. Es fehlt der Enthusiasmus für eine große Operation. Vielleicht würde sich der Darm ja erholen, auch wenn er nicht gut aussah. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, bis zum Morgen mit der Operation zu warten. Drei Tage oder drei Tage und acht Stunden, wo wäre der Unterschied gewesen? Aber die Gedanken mahlen langsam um Mitternacht, man handelt, ohne Alternativen richtig durchdenken zu können. Ich jedenfalls. Und ich verschloss die Leiste wieder, nachdem ich den Darm zurück in den Bauch verlagert hatte. Vielleicht würde er sich ja erholen.
Augustin kam aus Itete. Itete liegt am Rande vom Einzugsgebiet vom Lugala Krankenhaus auf dem Weg nach Ifakara. Es ist ein großes Dorf. Bruder Samuel wohnt dort. Er war einst clinical officer und gründete dann einen kleinen Franziskaner Orden in Itete. Und begann ein Waisenhaus zu betreiben für die Kinder verstorbener AIDS-Patienten. SolidarMed, diese schweizer Hilfsorganisation, die jetzt auch uns die Behandlung von AIDS-Patienten ermöglicht, liebt ihn. Was immer er beantragt, sie schieben es ihm vorne und hinten rein, Erweiterungsbauten für sein Waisenhaus, einen Schweinestall, eine Solarpumpe, Computer, einen Aufenthalt in der Schweiz.
Ein Kind in Itete soll gesagt haben, wenn doch nur seine Eltern auch bald stürben, damit es auch in dieses Waisenhaus ziehen könne!
»Ich habe Bruder Samuel nur einmal besucht, aber ich teile diese Begeisterung von SolidarMed für Bruder Samuel einfach nicht«, sagte ich neulich zu Thomas Gass von SolidarMed, als der mich kürzlich für drei Tage besuchte.
»Ich auch nicht. Aber wenn die vom Vorstand den Bruder Samuel besucht haben, sind sie immer ganz hin und weg. Als scheine ihm die Sonne aus dem Arsch. Bruder Samuel ist halt ein Politiker, wie er im Buche steht und weiß, wie man Leuten Honig um den Bart schmiert. Aber ich muss da jetzt einfach mal auf die Bremse treten. Ich habe dieses Mal bemerkt, dass er da nebenbei ohne jede Genehmigung einen Gesundheitsposten betreibt. In dem den ganzen Tag nur ein Laienbruder sitzt. Wenn das auffällt, wird auch SolidarMed damit hineingezogen werden, denn wir unterstützen ihn ja. Und die Gesetze sind da eindeutig. Das geht nicht so weiter. Diesen illegalen Gesundheitsposten muss er schließen und zwar sofort.«
»Hm.«
»Und Tom und Petra (das Architektenehepaar aus Ifakara), haben mir erzählt, dass die Waisenkinder mit den Brüdern in einem Bett schlafen müssen, weil nicht genug Betten da seien. Das finde ich auch nicht so gut.«
Na ja, am nächsten Tag ging es Augustin leidlich.
Und am übernächsten Morgen ging es Augustin immer noch leidlich. Vielleicht war es ja doch richtig gewesen, den Darm einfach nur zu reponieren. Und nicht gleich eine Resektion zu machen.
Am dritten Tag nachmittags bemerkte ich, dass Augustin eine Peritonitis entwickelt hatte. Scheiße. Ich ließ ihn zum OP schieben. Wieder gab Mtandi die Narkose, wieder assistierte mir Lenna. Ich machte einen Längsschnitt. Das eingeklemmte Darmstück war fleckförmig vollständig schwarz. Und auch wenn sich eine längere Strecke erholt hatte, musste ich doch den ganzen Abschnitt resezieren, um die End-zu-End Anastomose an wirklich gesundem Darm anlegen zu können. Aber es war noch kein Eiter im Bauch, es würde noch alles gut gehen. Denn ich bin gut darin, End-zu-End Anastomosen anzulegen. Eine Reihe Einzelknopfnähte, eine fortlaufende Naht. In welcher Reihenfolge spielt keine Rolle. Mal mache ich es so, mal so. Unser PDS Nahtmaterial eignet sich vorzüglich dafür. Und wir haben es in allen Stärken.
Ich ging zufrieden nach Hause, die Naht sah bestens aus, in einer Woche würde der Patient wieder zurück nach Itete gehen können.
Kaum daheim angekommen, wurde ich wieder zum Krankenhaus gerufen. Augustin war tot, auf dem Weg vom OP zur Station hatte er einen Herzstillstand gehabt. Und Mtandi weiß in solchen Situationen ja einfach nicht, was er machen sollte. Er eiert dann einfach nur rum. Wie oft habe ich ihm schon erklärt, dass es keinen Sinn macht, jemanden zu beatmen, der einen Herzstillstand hat. Das man da vordringlich Herzmassage machen muss, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten und um das Herz wieder anzuwerfen. Und ihn nebenbei beatmen muss. Aber das begreift er einfach nicht mehr.
Auch dieses Mal war Mtandi immer noch dabei, den längst toten Augustin zu beatmen.
Ich kam zu spät.
Polyphem
[14. August 2006]
Ich ging noch auf der Entbindungsabteilung vorbei, einfach so, um zu sehen, ob alles ruhig war oder ob ich gerufen werden würde. Es war später Nachmittag. Serapia und Asha hatten Dienst. Es gab eine Neuaufnahme, die ich noch nicht gesehen hatte. Fatuma hieß die Frau. Aus Nawigo. Nawigo, das kleine Dorf zwischen Lugala und Malinyi, so man den direkten Pfad durch die Felder geht.
Es war Fatumas erste Schwangerschaft. Ein Meter dreiundfünfzig groß. Kindliche Herzfrequenz 134. Keine Wehen. Sie habe zuhause mal für eine kurze Zeit Wehen gehabt. Sie war gekommen, weil sie im rechten Oberbauch Schmerzen hatte. Nichts Besonderes, schien mir, aber ich wollte trotzdem einen Blick auf sie werfen.
Mir fiel auf, dass der Bauch sich an einer Stelle vorwölbte und ich die Füße oder irgendetwas Kindliches jedenfalls durch die Bauchdecke tasten konnte. Als wäre der Uterus geplatzt. Aber wie konnte das sein, wenn Fatuma noch keine richtigen Wehen gehabt hatte? Und außerdem reißt ein Uterus im unteren Segment ein und nicht am oberen Ende!
»Ich schaue wohl besser im Ultraschall nach, was da los ist.«
Asha brachte mir die Frau zum Ultraschallzimmer. Sie hatte Fatuma aufgenommen. Und war der Uterus nun geplatzt oder war er nicht geplatzt? Sicher war die Gebärmutter an einer Stelle ganz ganz dünn; aber ob sie geplatzt war? Ich konnte mich nicht entscheiden. Und wo war das Herz? Ich fand es nicht. Ich suchte und suchte und suchte, aber ich fand einfach kein schlagendes Herz.
»Wo haben Sie es gehört?«
»Dort«, Asha zeigte mir eine Stelle links neben dem Nabel.
Ich suchte noch einmal, ich fand kein schlagendes Herz.
»Bewegt sich Ihr Kind?«
»Ja.«
»Hm.« Während der Untersuchung hatte es sich jedenfalls kein bisschen bewegt. Der Kopfdurchmesser war 90 mm.
Ich sagte zu Asha, sie solle Fatuma wieder