Wohnt Gott im Gehirn?. Hans Goller

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Wohnt Gott im Gehirn? - Hans Goller

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blind darauf programmiert, die Moleküle zu erhalten, die als Gene bekannt sind.“ (zit. nach Alper, 2008, 230) Alper fragt, ob irgendetwas zu gewinnen sei durch ein Leben der bewussten Verleugnung unserer wahren Umstände. Liege es nicht in unserem besten Interesse, die Realität unserer Situation anzuerkennen? (vgl. Alper 2008, Book II, 19)

      Nehmen wir an, es gibt keinen Gott und alle unsere Vorstellungen von ihm sind nur kognitive Phantome, die in unser Gehirn eingebaut wurden. Wäre in einer gottlosen Welt jeder Sinn notwendigerweise verloren? Wohin könnten wir uns wenden, um einen Sinn für unser Leben zu finden? Ist es möglich, Sinn auf eine neue Weise zu entdecken und ihn dazu zu nutzen, um unsere Existenz zu verbessern? Was wäre durch eine wissenschaftliche Interpretation des Glaubens und der Religion zu gewinnen? Um diese Fragen beantworten zu können, meint Alper, müssen wir uns zuerst darüber klar werden, was wir gewinnen wollen und welches Ziel wir im Leben erreichen möchten. Gibt es ein universelles Lebensziel, und wenn ja, kann dieses unabhängig von der Existenz Gottes erreicht werden? Alper beruft sich auf die Aussage des griechischen Philosophen Aristoteles, dass jeder Mensch nach dem höchstmöglichen Glück im Leben strebt. Dieses Prinzip habe seine Gültigkeit, und zwar unabhängig davon, ob es Gott gibt oder nicht. Ohne Gott sei folglich nicht alles verloren. Ziel alles menschlichen Handelns sei es, das höchstmögliche Glück zu erreichen und Leid und Schmerz zu minimieren. Wie könnten wir dieses Ziel in einem gottlosen Universum erreichen? Der Schlüssel zum Glück liege im Erwerb von Wissen. Darin würden alle Philosophen übereinstimmen. Selbsterkenntnis sei die höchste Form des Wissens. Verstünden wir beispielsweise die neurobiologischen Grundlagen destruktiver Tendenzen besser, dann könnten wir ihre Energien in konstruktivere Bahnen lenken. Vor allem sollten wir uns bemühen, die neurobiologische Grundlage der Spiritualität zu verstehen. Kein Merkmal sei perfekt, auch nicht die religiöse Funktion. Negative Folgen der Religion seien z. B. Menschenopfer, Rassenhass, Kinderopfer, Kannibalismus und religiöse Kriege. Kinderopfer und Kannibalismus seien in den gegenwärtigen Hauptreligionen und ihren Riten nicht mehr zu finden. Jeder Religion wohne aber die Ablehnung anderer Religionen inne. Wenn mein Gott der wahre Gott ist – wie kann es dann der deine sein? Jedes Glaubenssystem empfinde andere Glaubenssysteme als Bedrohung. Wenn wir begriffen, dass unsere religiös bedingte Angst und Antipathie nur die Wirkung eines angeborenen Impulses sind, dann könnten wir diesen Impuls, der zu so vielen religiösen Kriegen geführt hat, zügeln. Es sei „hoch an der Zeit, Spiritualität und Religiosität den Philosophen, Metaphysikern und Theologen aus der Hand zu nehmen und diese Phänomene zu biologisieren“ (Alper 2008, 239). Es gehe nicht darum, Spiritualität auszurotten, sondern sie aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten. Der religiöse Impuls besitze eine wichtige Funktion für uns, sonst hätte die Natur ihn nicht selektiert. Er helfe uns, die Angst zu vermindern und unsere Gesundheit zu verbessern; doch seine Exzesse stellen eine Bedrohung dar.

      Nehmen wir an, wir seien bloße Körperwesen, Zufallskombinationen von Molekülen, ohne jeden Zweck und ohne jede Bedeutung, und der Tod sei in der Tat das Ende unseres Bewusstseins. In welcher Form auch immer die Materie, aus der wir zur Zeit bestehen, nach unserem Tod im unermesslichen All verstreut sein wird, ob als Erde, als Gas oder als kosmischer Staub: Sie wird niemals mehr in einer Beziehung zu dem stehen, was oder wer wir heute sind. Wir werden niemals in genau der gleichen Molekülzusammensetzung existieren. Folglich werden wir auch nie mehr die gleichen bewussten Erfahrungen machen. Wenn die Teile nicht mehr funktionieren, dann funktioniert auch das Ganze nicht länger. Der Tod, ob wir das glauben oder nicht, ist höchstwahrscheinlich das Ende unserer persönlichen Identität, und zwar für immer. Es gebe für uns nur zwei Möglichkeiten: entweder alles zu tun, um das Leben zu erhalten, oder es zu zerstören. Wir haben die Mittel, das Leben zu zerstören. Haben wir auch die Kraft, es zu erhalten? Es gebe bereits den Vorschlag, man möge den „göttlichen Teil“ des Gehirns chirurgisch entfernen, um die negativen Folgen der Religion zu beseitigen – eine Methode, die den Namen „Godectomy“ trägt (Alper 2008, 246). Vielleicht stehen uns eines Tages sogar Medikamente zur Verfügung, um die exzessiven religiösen Impulse chemisch zu bändigen. Alper meint allerdings, Diplomatie, Geduld und Vernunft seien wohl die besten Mittel, um dieses Problem zu lösen.

      Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, so Alper, verfügen wir über eine rationale Erklärung des Glaubens an Gott. Unsere alten religiösen und metaphysischen Paradigmen können wir berechtigterweise als illusionäre Hindernisse auf dem Weg zu mehr Fortschritt und Wohlstand über Bord werfen. Wir sollten uns als das akzeptieren, was wir sind, und das Beste daraus machen. Es gebe keinen Gott, keine Seele und kein Leben nach dem Tod. Vielleicht hilft uns diese Erkenntnis, die Prioritäten vom Jenseits auf das Diesseits, auf das Hier und Jetzt, zu verlagern, zukünftige Kriege zu vermeiden, Schmerz und Leid zu lindern und die Chance zu erhöhen, für alle das größtmögliche Glück zu erreichen. Dies erhofft Alper sich mehr als alles andere von einer neurobiologischen Interpretation der Spiritualität und des Glaubens an Gott (vgl. Alper 2008, Book II, 20).

      Hier, resümiert Alper, endet meine lebenslange Suche nach Gott. Obwohl ich für die Möglichkeit offen bleibe, dass es eine transzendente Wirklichkeit gibt, vertraue ich in der Zwischenzeit auf die Lösung, die ich für mich gefunden habe. Ich hätte es vorgezogen, wenn ich auf meiner Suche einen Beweis für die Existenz Gottes, für einen transzendenten Bereich, in dem mein bewusstes Ich ewig leben würde, gefunden hätte. Natürlich hätte ich die Unsterblichkeit dem unausweichlichen Tod vorgezogen. Doch wie sicher bin ich? Möchte ich tatsächlich unsterblich sein? Was würde es bedeuten, ewig zu leben? Es wäre wie ein Rennen ohne Ende, wie ein Kampf ohne Gewinner und Verlierer, Existenz bloß um der Existenz willen. Vielleicht ist es besser so: lieber schnell und hell verbrennen als für immer dahindämmern.

      Also, was nun? Ich weiß, ich bin dazu bestimmt, alt zu werden, zu sterben, alles zu verlieren, was ich je besaß und liebte, auch mich selbst. Manchmal frage ich mich, wozu überhaupt weiterleben, warum nicht einfach Schluss machen, hier und jetzt.

      Wenn es mir nicht gut geht, tröste ich mich mit dem Gedanken: Wenn es tatsächlich keinen Gott, keine Seele und auch kein Leben nach dem Tod gibt, dann habe ich die ganze Ewigkeit dafür, nicht zu existieren und die Launen dieses Lebens nicht ertragen zu müssen. Mit solchen Überlegungen im Hinterkopf sage ich mir: Warum nicht das Beste aus den flüchtigen Erfahrungen machen, die wir Leben nennen, solange es mir noch zur Verfügung steht? Vielleicht ist die bloße Tatsache, dass wir überhaupt in der Lage sind, etwas zu erleben, Grund genug zum Feiern. Wie viele andere Kombinationen von Materie können das? Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass wir bloß geistlose Atome sind, die im Leeren herumschwirren, so sind wir immerhin die höchste, die komplexeste Form der Materie, ihre Crème de la Crème. Welche anderen Atomverbindungen besitzen die Fähigkeit zu lieben, zu lachen, zu fragen, Kunst zu bewundern, Literatur und Musik zu schaffen, über die eigene Existenz nachzudenken, zu hoffen und zu träumen? Selbst wenn das, was wir Glück nennen, nur neurophysiologische Prozesse sind: Erleben wir Glück deshalb weniger intensiv? Ob ich sterblich, unsterblich, ein geistiges Wesen oder eine geistlose organische Maschine bin: Sind das nicht meine Erlebnisse? Übrigens: Die bloße Tatsache, dass ich niemals weiß was die nächsten Augenblicke bringen werden, bedeutet, dass mein Leben, so mechanisch es auch sein mag, immer ein staunenswertes und schönes Geheimnis bleibt (vgl. Alper 2008, Epilogue).

      Für Alper sind religiöse Erfahrungen ihrer Natur nach rein biologische Vorgänge, die sich mit den Begriffen der Neurobiologie erklären lassen. Sie sind die Folge der Art und Weise, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet. Alper vergleicht das religiöse Bewusstsein mit einer „Linse“, die unsere Sicht der Wirklichkeit trübt und uns spirituelle Phänomene wahrnehmen lässt, die es gar nicht gibt. Es sei hoch an der Zeit, Spiritualität und Religiosität den Theologen, Philosophen und Metaphysikern aus der Hand zu nehmen und diese Phänomene zu biologisieren.

      Gegen Alpers Thesen lassen sich mehrere Fragen und Einwände erheben: Ist seine eingeschränkte biologische

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