Insel der Ponygirls. Tomàs de Torres

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Insel der Ponygirls - Tomàs de Torres

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zuckte sie mit den Schultern. »Auf Hiva gibt es weder Geld- noch Gefängnisstrafen. Geld gibt es ohnehin keines, und jemanden für lange Zeit in einen kleinen Raum zu sperren betrachten wir als unmenschlich. Dann lieber für ein paar Stunden am Pranger stehen oder einen Tag in der Box sitzen. Das ist für die Betreffende nicht nur unbequem, sondern auch peinlich. Alle sehen deine Demütigung.«

      »Und aus welchen Gründen werden solche Strafen verhängt?«

      »Es gibt zum einen Vergehen gegen das Gemeinwohl. Die Strafen dafür verhängt der Rat der Männer, zum Beispiel wenn eine Frau nicht die ihr zugewiesene Arbeit macht. Und dann gibt es natürlich die häusliche Züchtigung, die manchmal auch öffentlich durchgeführt wird.«

      »Wer entscheidet darüber?«

      »Der Ehemann oder – wenn er nicht hier oder die Frau unverheiratet ist – der nächste männliche Erziehungsberechtigte. Das kann der Bruder der Frau sein, ihr Schwager, ihr Vater, wer auch immer. Findet sich kein männlicher Verwandter, entscheidet der Bürgermeister.«

      Luke legte eine Hand auf Gamalehs Rücken und schob sie in Richtung der Treppe. Unten blickte er noch einmal zurück. »Was ist die härteste Strafe, die verhängt wird?«

      Ein Schatten flog über Gamalehs Gesicht. »Die härteste Strafe«, flüsterte sie, »ist die Verbannung von Hiva. Aber die wurde in all den Jahren nur zweimal verhängt.«

      Er packte ihre Hand. »Was heißt ›in all den Jahren‹? Kannst du mir etwas über die Geschichte dieser Insel erzählen?«

      »Irina kann das. Irina weiß alles.«

      »Können wir sie besuchen?«

      »Ein andermal. Sie wohnt weit entfernt.« Gamaleh sah sich demonstrativ um. Der Platz lag jetzt vollständig im Schatten. Enttäuschung lag in ihrer Stimme, als sie fortfuhr: »Es ist zu spät für eine weitere Besichtigung. Na ja, morgen ist ja auch noch ein Tag. Ich begleite dich zurück ins Gästehaus. Aber diesmal wirst du vorausgehen!«

      Luke war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als dass er sich auf eine Diskussion über diesen Punkt eingelassen hätte.

      Als sie das motelähnliche Blockhaus erreichten, fragte er im Plauderton, als ob er keine bestimmte Absicht verfolgte: »Wo geht es eigentlich zum Hafen?«

      Gamaleh deutete die Straße hinunter, am Stall vorbei. »Dieser Weg führt den ganzen Kraterinnenrand entlang. Nach etwa zwei Kilometern gibt es eine Abzweigung, aber sie ist leicht zu verfehlen.« Sie wandte sich wieder ihm zu. »Soll ich dich jetzt rasieren?«

      »Morgen früh genügt.«

      »Was ist mit Abendessen? Soll ich etwas bringen?«

      Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.« So gern er noch mehr Zeit mit Gamaleh verbracht hätte, es gab etwas, das im Moment wichtiger war und wofür er das restliche Tageslicht benötigte.

      »Dann bis morgen früh«, sagte Gamaleh, senkte den Kopf und führte die Hände zur Stirn. »Wir sehen uns.«

      »Wir sehen uns – ich freue mich darauf!«

      Sein Blick folgte ihrem nackten Körper, bis dieser um die nächste Biegung in Richtung Dorfmitte verschwunden war.

       8

      Als Gamaleh außer Sicht war, blickte Luke sich nach allen Richtungen um.

       Niemand da! Ich muss mich beeilen. Wenn die Sonne untergeht, wird es rasch stockfinster. Der Mond kommt zwar bald heraus, aber diesen Dschungel, der den Eingang zum Tunnel umgibt, kann sein Licht wohl kaum durchdringen.

      Er traute dem Frieden nicht. Bob war freundlich, aber unverbindlich, und Gamaleh war schlichtweg wundervoll, doch in seiner Laufbahn als Officer der U. S. Customs and Border Protection, der Zoll- und Grenzschutzbehörde der Vereinigten Staaten, hatte Luke gelernt, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten – umso mehr, wenn er – wie jetzt – die Lage nicht völlig überblicken konnte. Zur Hochzeit seiner Tochter würden Gäste erwartet, hatte Bob gesagt, und Luke nahm an, dass es sich dabei hauptsächlich um Männer handelte, die die Gelegenheit zu einem Familienbesuch wahrnahmen. Was geschah, wenn sie zu dem Schluss kamen, er stelle ein Sicherheitsrisiko für die Insel dar?

      Die Wahrscheinlichkeit, dass man zu drastischen Mitteln greifen würde, schätzte Luke zwar als gering ein, doch bestand immerhin die Möglichkeit, dass man versuchen würde, ihn festzusetzen. Für diesen Fall musste er sich einen Fluchtweg schaffen; und den ersten Schritt dazu bildete die Überprüfung, ob sein Boot noch vorhanden und startbereit war. »Wir haben vollgetankt«, hatte Bob gesagt, aber Luke überzeugte sich lieber selbst.

      Die Straße führte am Stall vorbei und durch einen Dschungel von Kletterpflanzen umrankter Baumriesen. Grün war natürlich die vorherrschende Farbe, doch Luke sah auch Bäume, die gelbe und purpurne Blüten trugen.

      Er hatte höchstens 500 Meter zurückgelegt, als sich der Dschungel auf der rechten Seite lichtete und einem großen Wasserbecken Platz machte. Luke schätzte seine Ausmaße auf 20 Meter in der Breite und 50 in der Länge, sein hinterer Teil reichte in den künstlich ausgehöhlten Berghang hinein.

      Er trat an das von einer brusthohen Mauer umgebene Becken heran. Es schien nicht zum Schwimmen gedacht, denn es gab keine Stufen oder Leitern, die ins Wasser führten. Es musste sich um das Wasserreservoir der Insel handeln. Als er weiterging, entdeckte er mehrere kleinere Becken, die mit Treppen und Sprungbrettern ausgerüstet waren.

      Wenn es schon keine Duschen gibt, dachte er befriedigt, kann man wenigstens doch baden! Er bedauerte, im Moment keine Zeit dafür zu haben, nahm sich aber fest vor, das dringend nötige Bad am nächsten Morgen nachzuholen.

      Und dann entdeckte er doch noch Duschen; allerdings waren sie nicht ebenerdig, sondern in einer breiten Vertiefung angebracht, die über eine Rampe und eine Treppe zugänglich war.

       Natürlich! Wenn es keinen Strom gibt, gibt es auch keine Pumpen. Die Zuleitungen zu den Duschen müssen sich unterhalb des Niveaus des Vorratsbeckens befinden. Einfach, aber effektiv und wahrscheinlich sogar wartungsfrei.

      Nach einem letzten, bedauernden Blick ging er weiter. Die Helligkeit nahm nun rasch ab, und er befürchtete, die Abzweigung zum Tunnel zu verpassen.

      Doch wider Erwarten fand er sie ohne Probleme, obwohl er nur eine verschwommene Erinnerung an seinen Abstieg vom Tunnelausgang hatte. Der Pfad führte zwischen den rötlichen Stämmen von Kastanien, deren Stützwurzeln wie der Faltenwurf eines Rocks aussahen, und den glatten Säulen von Gummibäumen hindurch. Sie trugen, 30 Meter über Luke, einen nahtlosen grünen Baldachin. Die weißen Blüten von wildem Ingwer verströmten ihren aromatischen Duft. Die menschliche Zivilisation schien so weit entfernt zu sein wie ein anderer Planet.

      Bald stieg der Pfad an und schlängelte sich die Kraterwand entlang. Als der Himmel eine tief dunkelblaue Färbung angenommen hatte und die ersten Sterne durch aufziehende Wolkenschleier flimmerten, erreichte Luke die Eisentür. Schwer atmend blieb er stehen. Sein Hemd war durchgeschwitzt, Schweißtropfen rannen an der Innenseite seiner Beine hinunter, und sein Herz raste, als ob er die zwei Kilometer gerannt wäre. Er musste erkennen, dass er noch nicht völlig wiederhergestellt war.

      Er gönnte sich zwei Minuten Pause, dann öffnete er die ins Gestein eingelassene Tür. Kaum hatte er die Plattform betreten, die das obere Ende der Wendeltreppe bildete, flammte Licht auf.

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