Die Poesie des Biers. Jürgen Roth

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Die Poesie des Biers - Jürgen Roth

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Sonntagsblatt aus Priestermunde die sonntägliche Frohbotschaft, »daß das Lachen zur Natur des Menschen gehört. Und es ist eine Botschaft, daß hinter allem das unendliche Lachen des Schöpfers steht.«

      Nun mag das Lachen laut Freud »die sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen sein« oder zur Kompensation des Triebverzichts dienen; daß indes Gott den lieben langen Tag und bis in alle Hegelsche Unendlichkeit nichts anderes tut, als zu gakkern und herumzuwiehern, konnte nur ein schlechter Scherz sein. Allein, das Sonntagsblatt, ich traute meinen Augen kaum, feierte nicht bloß den, was es alles gibt, kürzlich stattgehabten »sechsten ökumenischen Wortgottesdienst der Karnevalisten« in der Würzburger Augustinerkirche (wäre’s wenigstens der Münchner Augustinerkeller gewesen), sondern führte zudem aus: »Außerdem hat Fasching einen christlichen Hintergrund, es steckt ein tiefer Sinn dahinter.«

      Es ist wohl eher der, so Michail Bachtin, plane weltliche Unsinn der Maskerade und der diffus erotischen Exaltation; was Pater Adalbert Müller faschingsenerviert nicht daran hinderte, folgenden Predigtwitz zu reißen: »Herr Pater, ich habe Ihre Predigt gehört, sagte mir jemand. Meine letzte? fragte ich. Hoffentlich, war die Antwort.«

      Zum Schießen, fürwahr. »Der Witz gefiel den Mitgliedern der mehr als zwanzig Faschingsgesellschaften«, erläuterte das Sonntagsblatt und fuhr fort: »Der Prior selbst kann lachen«, ja, dito »dem evangelischen Pfarrer Peter Laudi […] machte der Gottesdienst Spaß«, einen Heidenspaß.

      Welch gottverlassenes, kurios katastrophales Treiben. »Ihr Narren seid ein frommer Haufen, ihr seid fröhlich, frei und flott. Es geht euch gar nicht um das Saufen, im Grunde geht es euch um Gott«, schäkerte Laudi. »Am Ende gab’s Applaus«, und »dann zogen Pfarrer, Prinzenpaar und Faschingsnarren zur Musik des Spielmannszuges der Ranzengarde ins Bürgerspital – feiern!«

      Offenbar goes heute weiß Gott anything. »Der Witz«, heißt es bei Jean Paul ahnungsvoll, »ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut«, die klerikale Pappnase, die die Karnevalsschafe humorökumenisch eint und »zu Frohheit und Scherz« (Witzprofessor Kuno Fischer) animiert.

      Angesichts solch trostloser Umtriebe las ich doch lieber und wahrlich vergnügter in der BamS von ebendiesem 3. Februar, daß die Karnevalsmaske Marke »Edmund Stoiber« der H. Krautwurst GmbH bei 19,25 Euro Erstehungskosten immerhin auch das giftigste sämtlicher handelsüblicher Gummigesichter ist und es während einer »Ausgasungsmessung« auf »21 flüchtige organische Verbindungen« brachte – Verbindungen, die verträglicher, quasi organischer sein dürften als diejenigen zwischen Karneval und Kirche, zwischen beinharter Komik und verweichlichtem Katholizismus, jenseits der Wirklichkeitswelt des Bieres.

      Paradigmenwechsel in Jesbach

      Co-Autor: Michael Tetzlaff

      Jesbach im Mai 2003. Ein Dorf in Lethargie. Die Sonne scheint. Vögel singen. Langeweile pur. Das ist die Wirklichkeit im Schwalm-Knüll-Kreis. Und nicht nur dort. Deutschland darbt vor Ödnis.

      Ein Hund schlummert mitten auf der Hauptstraße von Jesbach. Plötzlich stellt er die Lauscher auf. In Zeitlupentempo. In der Biegung vor dem Ortseingang tauchen surrend drei schwarze Stretchlimousinen auf. Der Hund erhebt sich und trottet hinüber zum Trottoir.

      Auf dem Dorfplatz stoppen die drei Wagen, direkt vor der frisch renovierten lutheranischen Kirche. Niemand hat die Limousinen jemals hier gesehen. Und niemand sieht sie in diesem Augenblick. Ganz Jesbach döst.

      Aus jedem Wagen steigen drei unansehnliche Menschen. Die weißen Anzughosen liegen auf den weißen Slippern auf, die Sonne spiegelt sich in den dunklen Brillen, die Gelfrisuren glänzen. Sie schleichen um ihre Limos und bleiben am Kofferraum stehen. Jeder holt einen silbernen Koffer heraus. Sie machen sich auf zum Wirtshaus Am Dorfplatz.

      Am Stammtisch sitzen: Bauer Ewald, Horst K., Pfarrer Sommerauer, Brauer Karl, die Verkäuferin Käthe Z. und ein weiteres Dutzend Existenzen. Es ist ihnen anzusehen, die Idylle ist unerträglich. Zermürbt vom ewigen Glotzen auf den immergrünen Wald, suchen sie Zuflucht im Alkohol. Und das heißt hier: im Bier.

      »Dann wollen wir mal«, sagt einer der Männer in Weiß. Er öffnet seinen Koffer, holt eine Handvoll Spritzen und Kanülen heraus sowie ein paar Löffel, einen Bunsenbrenner, flüssige Zitrone und ein Päckchen Pulver. »Nun, liebe Leute, gebt fein acht, ich habe euch was mitgebracht.«

      Niemand staunt. Willig lassen sich die Jesbacher von den Fremden reihum die Oberarme abbinden und die Spritzen in die Venen hauen. Sogar ein Grinsen ist hie und da zu beobachten. Etwas, das in Jesbach schon lange nicht mehr zu sehen war.

      Drei Wochen später. »Mir fehlen die Worte«, ächzt Bürgermeister Frank D. (CDU). »Jahrzehntelange Aufbauarbeit wurde mit einem Stich zunichte gemacht.« Ganz anders äußert sich Bauer Ewald: »Das Bier hat mir schon lange nichts mehr gebracht. Da hab’ ich gedacht: Kosten kost’ ja nichts.« Selbst der Brauer hat umgesattelt. Die unglücklichen Versuche mit hochdosiertem Hanfbier gehören der Vergangenheit an. »Mein Heroinbier«, so Brauer Karl, »ist der Renner!«

      Das bestätigt auch Käthe Z. aus dem örtlichen Edeka mit Ringen unter den Augen und eingefallenen Wangen: »Der Heroinbierverkauf brummt. Die Binding kann mir seither gestohlen bleiben.« Auf dem Verkaufstresen steht ein großes Bonbonglas, randvoll mit szenetypischen Tütchen. »Das sind die Snacks für zwischendurch«, erklärt die Verkäuferin. Auch »für zwischendurch« hat sich Käthe Z. noch einen besonderen Leckerbissen einfallen lassen: süße Stückchen, die anstelle von Puderzucker mit feinstem Koks bestreut sind. »Die Leute rennen mir die Bude ein.«

      Seit dem Besuch der ominösen Männer »aus der Stadt« ist Jesbach nicht mehr wiederzuerkennen. Fröhlichkeit pur. »Es schmeckt eben«, sagt der siebzigjährige Horst K. »Die einzige, die den Zug verpaßt hat, ist meine Mutter Hildegund.« – »Mein Sohn Horst«, wimmert die Neunzigjährige, »war doch immer so ein lieber Junge, der am Tag seine zwei, drei Kästen Bier getrunken hat. Und jetzt das …«

      Andere ältere Semester sind aufgeschlossener. »Wenn du bloß an diesen gottverdammten Krampfadern leichter eine schöne Stelle finden würdest«, grummelt Metzger a. D. Wummer. Genauso euphorisch äußert sich Pfarrer Sommerauer über die Veränderungen unter seinen Schäfchen. »Dank Ecstasy müssen wir jetzt auch nicht mehr schlafen. Wir sind dem ewigen Leben schon sehr nahe«, predigt er und zieht sich die 5-mm-Kanüle aus der Halsschlagader. Ein weinroter Tropfen fällt auf die weiße Krause. »Mein persönliches Abendmahl«, schmunzelt er, »und zwar gleich schon mal vor dem Frühstück.«

      Jesbach im Juni 2003. Der Dorfbrunnen gleicht einem Steinbruch. Die Kirche ist mit Sprüchen wie »Laster statt Luther« übersät. Überall riecht es nach Erbrochenem und Kot. Katzen reißen sich die Pfoten an weggeworfenen One-Way-Spritzen auf. Intakte Fensterscheiben gibt es kaum noch. Die Jesbacher sind glücklich.

      Deutschland, schau auf dieses Dorf!

      Das lohnende Los

      Vergangenen Sonntag hat sich im Offstage, einer verhutzelten Kultkneipe im Herzen Kassels, ein neuer Verein gegründet. Nicht, daß der Brauch der innovativen Vereinsbildung im kulturellen und kulinarischen Zentrum Nordhessens, in dem die Parkscheibe und die Dickwurst erfunden wurden, eine besondere Tradition besäße; aber nun nahm sich ein Häuflein beherzter Damen und Mannsbilder ein wahres Herz und stampfte den »Los-Club e. V.« aus dem qualmenden Asphalt Kassels.

      Die acht gebürtigen Kasseler, Kasselaner oder Kasselenser zwischen einundzwanzig und achtundachtzig Jahren reagieren mit ihrem Engagement auf eine Kampagne, die der

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