Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Poesie des Biers - Jürgen Roth страница 29
Günters Geschichte geht so: Er war aus schierer Freude am Nach-Dänemark-Fahren mit einer Freundin für ein paar Urlaubstage nach Kopenhagen gereist, und die beiden fanden dort auch gleich alles recht gemütlich und wohleingerichtet vor und machten sich schöne Tage. Günter zählte damals nicht zu jenen, die man lange nötigen muß, bis sie zu einem Gläschen Bier greifen. So lag es nicht fern, das in Kopenhagen ansässige Stammhaus der Carlsberg-Brauerei zu besichtigen, eine Bierfabrik von Weltrang, die überdies schon damals im Ruf stand, Stunde um Stunde anschauliche Besichtigungstouren durchs Haus anzubieten, als deren jeweils krönender Abschluß großzügig arrangierte Verkostungen galten.
Und so war es dann auch. Mit Bussen wurden die Besucher übers Gelände kutschiert. Station für Station der Bierherstellung war in allen Weltsprachen Wissenswertes zu erfahren, und zu guter Letzt versammelten sie die Biertouristen in einer Halle, in der auf langen Tischen artig arrangiert die Produkte des Hauses samt passenden Gläsern bereitstanden. Erst hier fiel Günter ein etwa dreißigjähriger Mann auf, der bisher eher matt die Tour absolviert hatte, der sich, von Schauplatz zu Schauplatz der Besichtigung, nur betont zögerlich von seinem Sitz im Bus erhoben hatte und selbst angesichts aufsehenerregender Aspekte der Braukunst und -technik nicht durch Zwischenfragen, Applauskundgebungen oder simuliertes Interesse aufgefallen war. Dieser bislang so zurückhaltende Mann entwickelte augenblicklich bei Betreten der Verkostungshalle eine enorme Beweglichkeit, indem er nun höchst konzentriert von Tisch zu Tisch eilte, um sehr zügig, aber ohne allzu verräterische Hast ein Fläschchen ums andere fix zu leeren.
Günter schilderte mir das Tun dieses engagierten Herrn in schönster Detailgenauigkeit: Stets im Takt aufgesetzter Gelassenheit, »so, als ob nichts sei«, spähte der Vielfachprobierer im Raum umher, machte wie mit Adleraugen sämtliche ungeleerten Probesortimente aus und stellte sie, um die Tischreihen mäandernd, ohne weitere Umstände sicher. Da Günter und seine Begleiterin sich sehr über dieses Schauspiel amüsierten, den Schluckspecht offen bewunderten, blieb diesem ihre Aufmerksamkeit nicht verborgen, und als er sich beim Abgrasen letzter nicht wahrgenommener Freibiere ihnen kurz näherte, flüsterte er ihnen kumpaneiselig zu: »Come on, next bus, next tour …«, winkte dabei so zierlich verschwörerisch, wie sein Zustand ihm übers eilige Bierschnappen hinaus noch koordinierte Gesten erlaubte, und zeigte auf die Reihe der draußen vor der Tür schon wieder neue Besichtigungsgäste aufnehmenden Carlsberg-Rundfahrtbusse.
Günter und seine Begleiterin verständigten sich kurz und folgten dem nun deutlich Wankenden, der wie selbstverständlich einen Bus erklomm, sich seufzend in einen Sitz fallen ließ und dann mit momentan letzter Kraft seiner Freude Ausdruck gab, Günter und die Seine bei sich zu wissen.
Genau so, wie man es ahnen möchte, kam es dann. Drei weitere komplette Touren lang begleiteten die beiden den, wie sie bald bruchstückhaft erfuhren, Engländer, der seinerseits als Tourist in Kopenhagen weilte und seit etlichen Tagen, vom Vormittag bis zur letzten Führung ab 16 Uhr, keine einzige Rundfahrt durch die Welt der Carlsberg-Biere verpaßt hatte. Mit nicht nachlassendem Tempo sauste er, Klimax des Unternehmens, jeweils zum Ausklang einer Fahrt in die Trinkhalle und dort von Tisch zu Tisch, nun nicht, ohne seine neuen Freunde und Begleiter herzlich zu ermuntern, sie mögen doch zugreifen, schnell, so billig wie hier würde das Bier nie wieder, und dafür sei er gut, der Däne, daß man ihm sein Bier wegtrinke, zu viel mehr tauge er eh nicht, das sei ja bekannt.
Den dringlichen Rat dieses durstigen Repetitionisten, morgen vormittag gleich wieder mit dabeizusein, schlug Günter höflich und mit dem Hinweis auf weitere Sehenswürdigkeiten Kopenhagens aus, was den Biertouristen vordergründig belustigte, in Wirklichkeit jedoch, so meint der Augenzeuge, mit der ganzen großen unauslotbaren Rätselhaftigkeit des Existentiellen an sich konfrontierte. Deutsche halt, Hunnen!
Seit jenen besonnten Stunden des immer wieder aufs neue Durch-die-Carlsberg-Hallen-Zirkulierens kommt Günter von Freital nicht ohne Grinsen an Carlsberg-Bierkästen oder Werbeschildern dieser Marke vorbei. Leute, die sehr entschieden mit dem Bier auf du und du stehen, kennt er etliche; nie allerdings war ihm die Gesellschaft eines hingerisseneren Schluckspechts vergönnt als damals unter dem Dach der dänischen Brauer.
Aufklärung à la Albion
Der Mann hat eine Mission, eine milde. Lucas Goebel hat in Weihenstephan Brauwesen studiert, einige Jahre bei verschiedenen Fachzeitschriften gearbeitet und dann die Nase voll gehabt – vom Verlautbarungsgeschnatter der Verbandsfabulanten, der Lobbyisten und der Lobredner in ureigener, das heißt in deutscher Sache.
Die meisten deutschen Brauer halten sich wenn nicht für die Erfinder des Biers, so aber mindestens für die Gralshüter in Sachen Bierqualität und -geschmack. Dafür spricht die Tradition im Lande der »Bierphilisterei« (Nietzsche) und der allgemeinen geistigen »Bierwirtsphysiognomie« (Schopenhauer). Wer erfand das Pilsner? Ein deutscher (bayerischer) Brauer! Wer erließ das Reinheitsgebot? Die deutschen (bayerischen) Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen es! Und die anderen? Jenseits der (deutschen) Reichsgrenzen? Pfuscher! Giftmischer! Ver- und Aufschneider! Bier? Nur von hier!
Kaum ein anderer (Selbst-)Betrug ist dreister und zählebiger verwurzelt in einer Nation, von der Schopenhauer sagte, sie sei »von allen die dümmste«, als derjenige des protektionistischen Reinheitsgebotshokuspokus, mit dem die Einzigartigkeit des deutschen Biers alleweil schwellbrustartig begründet und ausgeplörrt wird. Große deutsche Braumeistergenies werfen ungebrochen den Bierwanst in die Waagschale des Weltbiermarktes, schreien herum, deutsches Bier, das sei Pläsier, und machen im gleichen brackigen Atemzug alles schlecht, was schmeckt, weil es einen Geschmack hat, der sich vom zu Tode geschniegelten deutschen Supermarktschwedentrunk unterscheidet.
Lucas Goebel, ein freundlicher, zurückhaltender und doch begeisterungsfähiger Mann, hat von dem Getöse genug und veranstaltet auf eigene Kosten Bierproben, in deren zirka zweistündigem Verlauf er die Tester behutsam an die Grundlagen der organoleptischen und sensorischen Erkundung des unermeßlichen Kontinents Bier heranführt. Seine »Reise in eine unbekannte Welt« beginnt mit gutem Grund mit hiesigen, meist bekannten Produkten, um überhaupt erst einmal sorten- und markentypische Differenzen zu erschmecken, etwa zwischen barock-vollen, aromagehopften und flach-zackigen, bittergehopften Bieren, zwischen den Buketts obergäriger Bräus und den körperlichen Eigentümlichkeiten von in der Regel nicht allzu hochvergorenen Exportbieren. In aufsteigender Linie schreitet man auf der Tucholsky-Treppe Schlürfen–Schlucken–(Weg-)Schütten vom mit allem Recht der Welt an den Anfang gesetzten Alkoholfreien der beliebten hessischen Eisvogelbrauerei bis zum Weizen-Doppelbock fort. Umflort dann die Zunge ein lieblicher Reigen elysischer Himbeer- und Bananenaromen, so werden die Exerzitien zum Beschluß durch den Verzehr eines ausländischen Gebräus gekrönt, das die Pforten zu einem Reich unerhörter Schmackussensationen öffnet. »Aaaaah«, seufzt Goebel zufrieden, »richtig durchatmen und den Strauß schmecken!«
Je fuller, desto doller! Just an jenem Tag, als Goebel kürzlich das adorable Fuller’s Extra Special Bitter aus London kredenzte, war zuvor auf der A 7 ein Biersattelschlepper umgekippt. Abertausende Flaschen Warsteiner zerbarsten wie von höherer Hand verfügt. »Deutschland ist ein armes Land an Hefe«, beschied Goebel später, »man will keine Geschmacksvielfalt zulassen.«
Möglicherweise hat Lucas Goebel eine »Vision« (Willy Bierbrandt) – die vernünftige Vision, wenigstens einigen wenigen deutschen Biertrinkern ohne bierologisches Expertengehabe die Augen und Münder zu öffnen für Bräus, die jenseits des Eisernen Biervorhangs darauf warten, mit Neugier, Freude und dem mehr oder minder festen Willen zur mehr oder minder bravourösen Berauschung umgesäbelt zu werden. Schon Belgien wäre ja nicht allzuweit, jenes kluge Land und Hefeparadies der wilden Gärung, in dem laut FAZ-Korrespondent