Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
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Glauben Sie mir: Bei einer Fuhre Leon Weizen muß man sich nicht mal die Welt schöntrinken. Da ist sie’s. Und die Pilgerfahrt nach Dorst verschieben wir auf ein andermal.
Eins für die Chefin
Von Dieter Steinmann
In einem Dorfgasthaus in der südwestlichen Pfalz, nahe der Grenze zum Elsaß, wirkte bis in die achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts eine Wirtin, die für ihr eisernes Regiment über sämtliche Belange der Wirtsstube weithin bekannt war. Nervensägen, Schreihälse, Streithammel oder anderweitig störende Zecher wurden von ihr stets knapp, deutlich und bisweilen auch barsch zur Ordnung gerufen. Keimende Ausschreitungen erstickte sie allein durch Blicke, selbst allzu engagiertes Einschütten und Besoffenwerden wußte die ledig durchs Leben gehende Prinzipalin, damals stramm in der Blüte ihrer schon reiferen Jugend stehend, ohne große Umstände in geregelte Bahnen zu lenken.
Trotz ihrer also gewissermaßen Strenge und Herbergsmutterhaftigkeit stand Wirtsfrau Waltraud, allgemein Truda genannt, just bei ihren Stammgästen in generell hohem Ansehen, denn sie hatte über die Prägnanz ihrer unmittelbaren Ansprache ans Trinkpublikum hinaus etliche weitere drollige Schnurrigkeiten an sich. In den Legendenschatz der Hackmesserseite, so heißt die Gegend im Volksmund, ging etwa ihr sprachlicher Umgang mit ihrem Haushund ein, einem gerne gemütlich und vorbildlich kameradschaftlich in der Gaststube aufhältigen Quasischäferhund, der als einziges Lebewesen hier das Privileg auskosten durfte, all ihre Befehle, Appelle und Anraunzereien komplett zu ignorieren: »Nimm dich in acht, ja, ja, ei, mein Guterle, jawohl, ein Schatz is’ er, ja, wo is’ er denn, ja, da is’ er ja, gell, so ist’s gut, Platz!«
Nur nebenbei: In Würdigung ihres so häufig geschnarrten wie seitens des Hundes glatt ignorierten Befehls »Platz!« waren Rüpel unter den Gästen irgendwann auf den Witz gekommen, es wäre doch toll, dem Hund einen Sprengstoffeinlauf anzutun und diese Füllung mit einer Zündkapsel rektal zu verschließen, um ihn dann genau beim Wort »Platz!« per Fernsteuerung explodieren zu lassen, das würde garantiert bombig reinhauen, da würde die Wirtin Augen machen. Der Sowieso, beruflich Detonator im Steinbruch, würde das mit links hinkriegen. Klar, daß niemand im Ernst an einen solchen Frevel dachte.
Gleichermaßen zur Belustigung führte immer wieder aufs neue die hingegen reale Spitzennummer des erweiterten beruflichen Verfahrens- und Attitüdenrepertoires der Wirtin selbst: ihre vollendet bühnenreif ausgetüftelte Etikette, fast Subversion, dank deren subtilst ausbalancierten Einsatzes sie in der Organisation der eigenen Getränkezufuhr Habitus und Handfertigkeit nahe an die Sphären der Telekinese heranzuverfeinern wußte. Kenner der Szenerie kannten alle Details der Prozedur: So gut wie jeden Abend war irgendwann zu beobachten, daß die Chefin sich betont beiläufig daran machte, ein Bierchen zu zapfen, das niemand bestellt hatte. Fast ohne hinzusehen füllte sie schrittweise das Glas, eine mittlere Größe, wischte zwischendurch demonstrativ mal eine Teilfläche ihrer mächtigen Theke trocken, schob Flaschen, Gläser und Krüge hin und her, sudelte ohne tatsächliche Veranlassung behend im Spülwasser herum, kontrollierte wie nebenbei das Radiogerät auf Plausibilität des Programms und Wohlklang des Tons und ließ dann wieder fix eine Strecke Bier ins Glas zischen. War das Glas endlich gefüllt, mußte es ein, zwei Minuten neben dem Zapfaltar stehen, während die Gastronomin nun nochmals emsiger, fuchtelig choreographiert fast wie das Gefuddel eines Zauberkünstlers, der Hasen in nicht existente Zylinder zu stopfen trachtet, sozusagen freischaffend mit Salzstangenpäckchen, Kümmerling-Phiolen oder eingeschweißten Miniaturwürsten hantierte, was augenblicklich den ansonsten dösenden Hund alarmierte, dessen in Sachen Beute allerdings zweckloses Antreten die Unübersichtlichkeit des Vorgangsgefüges zusätzlich vertiefte. Und, schwupp, blitzschnell hatte sie in einer scheinbar anderweitig motivierten Drehung ihres Körpers das Glas aufs Fensterbrett der Durchreiche zur Küche gestellt – um aber endlich, eine nochmals spannende Minute später, selbst grandios unauffällig, wie ein Windhauch durch die Tapetentür in ihre Küche zu wechseln. Hier ging sogleich Licht an, und schemenhaft fuhrwerkte die Bierkonspirativlerin drei-, viermal am milchglasbewehrten Durchreicheschiebefensterchen vorbei, das dann plötzlich um eine Handbreit geöffnet stand.
Kurz darauf dann verschwand, wie von heiliger Elevation bewegt, das Glas nach innen, und gleich anschließend stand die nun sichtlich Erfrischte und Entspannte wieder hinter ihrer Theke, zupfte in ihrer ganzen kategorischen Chefinnengrandezza die Falten und Rüschen ihrer prächtigen Kittelschürze auf Zack und zeigte sich zu hundert Prozent gewiß, daß niemand auch nur das Geringste von ihren Manövern mitbekommen hatte.
Feine Gesittung bewiesen ebenso Frau Trudas Gäste, mehrheitlich Vertreter einer eher säkularisiertrustikalen Lebensart, indem sie ihre Wirtin unbedingt im Glauben ans Gelingen ihrer Trickserei ließen und sich so Abend für Abend ihr kleines Kammertheater sicherten.
PS: Mir war es einmal vergönnt, sie für den Lidschlag eines fast wie zenbuddhistisch vernagelten Augenblicks ansatzweise aus ihrer Contenance aufzuscheuchen. Auf ihre Frage »Pils oder Export?« hin bat ich sie, eh nur selten anwesender und keineswegs für voll genommener Zaungast an ihren Tischen, um »ein Schöppchen Clausthaler-Radler bittschön«. Es ist nicht bekannt, daß sie je eine Bestellung mit mehr Verachtung in Blick und Haltung erledigte als diese.
Das Zelt der Zerberusse
Ich hatte immer wieder einmal etwas gehört vom sogenannten englischen Humor, von dessen Schärfe, dessen Schwärze, von dessen respektheischender Selbstbezüglichkeitsneigung, also von der Fähigkeit des Engländers, sich selbst auf den Arm, auf die Schippe zu nehmen. Auch hatte ich wiederholt davon gehört, daß sich der sehr spezielle und bewunderte englische Humor hervorragend mit den zivilisatorischen Errungen- und herausragenden Eigenschaften dieses einst mächtigen kolonialistischen Inselvolkes vertrage, ja, daß sich beide, Humor und Zivilisation, wohl gegenseitig bedingten und womöglich der Humor des Engländers sogar darin gründe oder darauf zurückzuführen sei, daß der Engländer – statt über kulinarischen Geschmack und erfreuliches Wetter – über beste Manieren verfüge, an der Bushaltestelle genauso wie auf dem Sportplatz.
Der Engländer, hatte ich immer wieder gehört, verfüge zwar nicht über den Esprit seines Erzfeindes, des Franzosen, aber er verfüge doch über ein erstaunliches Quantum an sublimer Geisteshaltung, die ein Muster an Zivilisiertheit sei und ihren schönsten Ausdruck finde in seinem Humor und so weiter. Demgegenüber präge den Humor des Deutschen dessen herrisches Wesen, das Ungeschlachte, Unterwerfende, Ungeschliffene. Der deutsche Humor, hatte ich gehört und hörte ich immer wieder, sei eine Katastrophe und ein einziges Desaster, ein Ausbund an protziger Proletenhaftigkeit und selbstgefälliger Kunstunfertigkeit, ein einziges Dokument der niederträchtigen Gesinnung und völligen Unfähigkeit in Sachen Witz, Geist und Komik. Die Deutschen, hörte ich, machten Witze, wie sie Fußball spielten: brachial, plump, niederwalzend.
Das glaubte ich gern, und Beweise lagen ja bald, für mich sozusagen, auch reichlich vor, Mike Krüger oder Ingrid Steeger einerseits, Monty Python’s Flying Circus andererseits, um nur ein Beispiel zu geben. Den Witzkrieg, das war klar, und es war vor allem auch für mich klar, es war für mich sozusagen glasklar, den Witzkrieg, den Humorkrieg hatten die Engländer gewonnen, auch in dieser Höhe verdient. Mit 394:5.
Zwar hatte ich 1987, als ich im belgischen Ausland wohnte, mit anhören und mit ansehen müssen, wie ein Arbeitskollege meines Vaters, ein Engländer, vor unserem Fernseher, in dem ein wichtiges Europapokalfinale zwischen dem FC Porto und Bayern München gezeigt wurde, immer wieder sehr witzige Bemerkungen über Augenthalers Fernschüsse machte und sehr komische Grimassen zog, wenn die drückend überlegenen Deutschen mal wieder eine Hundertprozentige versiebt