Den Feigen tritt jeder Lump!. Frank Winter

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Den Feigen tritt jeder Lump! - Frank Winter

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dem Sekretär liegt der Rest der Post. Dieses Schreiben ist uns besonders ans Herz gelegt worden!«

      Er sah sich den absenderlosen Brief an. In krakeligen Lettern war sein Name aufgemalt.

      »Überreicht von einem Herrn mit wirrem Haarkranz und steinernem Blick …«

      Heckers Freund Struve war sechs Jahre älter und hatte auch Juristerei studiert. Seiner kritischen Publikationen wegen setzten die Zensoren ihm beständig zu.

      »Dieser … Herr platzte ins Essen. Natürlich bat man ihn zu Tisch, doch weder Fisch noch Fleisch akzeptierte er, geschweige denn ein Glas Wein. Kein Wunder, dass er heiser klingt wie ein Rabe. Nein, oh nein, er wolle doch nur das Kuvert abgeben!«

      »Überzeugter Abstinenzler und Vegetarier. Daran ist leider nicht zu rütteln«, erklärte Hecker.

      »Prinzipien in Ehren. Zur Geselligkeit tragen sie jedoch nicht bei. Wortkarg, das Wasserglas wie eine Standarte umklammernd, jagte er den Kindern Angst ein. Warum nimmt ein Mann, der sich so unwohl fühlt, überhaupt Platz?«

      »Vielleicht hatte er Durst? Gustav ist ein wenig schrullig, ja, doch wenn man sich an seine Art gewöhnt hat, alles halb so schlimm.«

      »Wie lange dauert es bitte, bis dieser Zustand eintritt?«

      »Jahre mitunter.«

      Weil Struve seine Nachricht selbst zugestellt hatte, konnte er auf die Sicherheit ein Liedchen pfeifen. Ein Briefgeheimnis gab es weder im badischen Großherzogtum noch in den anderen Fürstendespotien. Großherzog Ludwig unterhielt eigene Kabinettstunichgute, die den lieben langen Tag Briefe öffneten, wieder verschlossen und weitersendeten, als ob es das Normalste der Welt wäre! In anderen Ländern war es nicht besser und die Zusammenarbeit mit Louis Philippes Polizei gestaltete sich glanzvoll: Für die Reise nach Algerien benötigte er eine Genehmigung der Marseiller Beamten, die sonderlich auftraten. Als er später seine Reisedokumente untersuchte, entdeckte er zwei winzige Buchstaben: f.o. für »fait opposition«, macht Opposition. Unglaublich war, dass die meisten Bürger es guthießen, getreu dem dummen Ausspruch, ein rechtschaffener Bürger habe nichts zu befürchten. Demokraten schlugen die Inquisition jedoch mit ihren eigenen Waffen. Der Staatspost setzten sie Volkspost entgegen, überbrachten viele Briefe etappenweise selbst, mitunter in der Kutsche eines Fürsten. Er wählte eine Gänsekielfeder, die sich, ungleich den neumodischen Metallfedern, beständig ausbessern ließ. Viel hatte er Struve nicht zu berichten. Ein kleiner Bogen im Registerformat würde genügen, und schwarze Tinte, die sich vom weißen Grund am besten abhob. Hecker wusste, wie empfindlich der Mann auf vermeintliche Zurücksetzungen reagierte, und entschuldigte sich für die lange Wartezeit, er sei in der Tat erst zu dieser Stunde aus Algerien zurückgekehrt. Struve wollte wissen, was er von einer außerparlamentarischen Versammlung in Offenburg hielt. Dort könnte man in einem Gasthof die weitere Marschrichtung festlegen. Hecker nickte beim Lesen. Südbaden war näher als Nordafrika und er musste Josefine und die Kinder nicht lange alleine lassen. Seine Antwort verfasste er vage, sodass nur Struve sie verstehen konnte. Er las den Text durch und trocknete ihn mit rotem Löschpapier. Aus einem Döschen zog er Katzenhaare, die er in kleine Teile spaltete und zwischen den Fingern in das Schreiben rieseln ließ wie Salz in eine Suppe. Öffneten die Spitzel den Brief, fielen die Härchen zu Boden und der vorgesehene Empfänger wusste, dass kontrolliert worden war. Struve würde sich bald melden. In Demokratiefragen waren sie beide ruhelos. All die Regeln, Protokolle und Zeremonien im Karlsruher Parlament hatten ihn fast wahnsinnig werden lassen! Vertröstete man sie weiterhin, würde er sich auf radikale Wege begeben und Abgeordnetengestalten wie Mathy und Bassermann einen demokratischen Marsch blasen!

      Offenburg, September 1847

      Hecker saß spätabends im Gasthofzimmer und schrieb Briefe. Struve verstand seine vielen Verpflichtungen – Frau, drei kleine Kinder, Anwaltskanzlei und Volksvertreter – nicht, stellte sich alles holzschnittartig vor, kannte nur die Sache, für die zu kämpfen war und der man alles unterordnen musste. Sie hatten gemeinsam ihr Abendessen zu sich genommen. Struve redete ohne Unterlass, einen dicken Stapel Papier vor sich. Sein Bart wurde von Pellkartoffelresten und »bitte absolut frischem« Kräuterquark beehrt. Hecker aß ein Kotelett mit breiten Nudeln und trank den örtlichen Rotwein. Vegetarismus akzeptierte er nicht, wimmelten doch in Kraut und Grünem ebenfalls Tausende lustiger, kleiner Wesen. Selbst die Luft war reich an Lebenskeimen. Sollte man deswegen das Atmen unterlassen?

      »Natürlich, wer alles auf die leichte Schulter nimmt, lebt länger! Das ist begreiflich«, sagte Struve und schnupperte. »Ein Mief in dieser Räumlichkeit! Rauch, Alkohol und mittelmäßiges Essen! Kaum auszuhalten.«

      Hecker kratzte sich den Bart, doch Struve verstand nicht, dass er Kartoffelsplitter meinte. »Auch wenn nicht alle Gäste erscheinen, geht unsere Welt kaum zugrunde, Gustav. Entscheidend ist, dass wir etwas unternehmen, und Fickler wird auf jeden Fall anreisen.«

      »Was bedeutet zugrunde gehen?«, fragte Struve, immer ums Prinzip streitend.

      »Bitte nicht zappeln wie das Kind vor der Bescherung! Unsere Versammlung ist nur ein Steinchen in der Mauer.«

      »Lose Steinchen können Mauern zu Fall bringen!«

      »Fabelhaft, bloß keinen Gemeinplatz auslassen! Nein, simple Ansprachen müssen niemandem den Schlaf rauben!«

      »Schon gut!« Struve griff mit gestreckten Armen nach seinem Konvolut. »Ohnehin haben wir Wichtigeres zu tun. Die dreizehn Forderungen überarbeiten sich nicht von alleine! Herr Wirt, eine unsägliche Luft! So kann es nicht weitergehen.«

      Hecker nahm tags darauf am langen Eichentisch Platz, gegenüber von Struve, und streckte die Beine von sich. Sein Freund sagte kein Wort, nicht einmal guten Morgen, aß wenig, trank nur Wasser – »handwarm bitte« – aus einer Karaffe, die der Gasthofbesitzer noch gebracht hatte.

      »Gut geschlafen, Gustav?«

      Struve antwortete nicht.

      Hecker bestellte Kaffee und schmierte sich ein Butterbrot mit Erdbeermarmelade. »Unser Befinden heute?«

      »Danke der Nachfrage! Manch einer arbeitete die halbe Nacht hindurch!«

      »Sehr tüchtig und auch bewundernswert.«

      »Ach?«, sagte Struve zänkisch.

      »Freilich, und nun nehmen wir ein ordentliches Frühstück zu uns.«

      Struve sprang in die Höhe und auf den Boden schepperte sein Stuhl. Der Wirt kam gerannt und sah ihn bang an, hatte geahnt, dass abgestandenes Wasser ein böses Omen sein musste. Struve baute sich bedrohlich auf und tippte ihm den Zeigefinger auf die Brust. Weil ihn als kleiner Bub einmal eine Wespe gestochen hatte, bekam er Fracksausen.

      »Ein Stehpult muss her! Wie oft noch sollen wir darum bitten? Ist das ein Gasthof oder nicht?«

      »Zur Stunde ist kein, äh, Stehtisch da.«

      »So geht es nicht! Ein Wirt hat Pflichten seinen Gästen gegenüber. Stehpult heißt es!«

      »Aber natürlich«, antwortete der Mann und zeigte in Richtung Küche. »Drum hat man auch den Ochsen geschlachtet für das Bankett. Wer weiß, vielleicht taucht im Laufe des Tages noch so ein Stehdings auf, und nun muss die eigens für den Herrn gekochte Sondersuppe abgeschmeckt werden. Fleischbrühe ohne Fleisch. Man will es doch allen Gästen recht machen, gell?«

      Struve stöhnte, setzte sich im Nebenraum an den puppenkleinen Tisch und kontrollierte wieder die Namensliste. Hecker konnte es nicht

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