Den Feigen tritt jeder Lump!. Frank Winter
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Читать онлайн книгу Den Feigen tritt jeder Lump! - Frank Winter страница 7
»Wir werden ihn schwer zu Ende gehen können!«, widersprach Hecker.
»Aber weshalb denn nicht?«
»Im kriechenden Tempo dauert es noch hundert Jahre bis zur Demokratie!«
»Schwätzer von Gottes Gnaden residieren da drinnen«, sagte Fickler. »Ohne drastische Taten kein Erfolg!«
»Was soll das bedeuten?«, fragte Itzstein.
Hecker legte ihm den Arm auf die Schulter. »Die glorreiche Verfassung führte man bereits vor dreißig Jahren ein! Es mag Kollegen wie Nebenius inbrünstige Freude bereiten, sich auf ihren Lorbeeren auszustrecken, doch liberale Abgeordnete müssen voranschreiten.«
»Eben«, sagte Fickler, »ausgemistet wird der Augiasstall!«
Hinter einem Baum notierte Abgeordneter Karl Mathy die umstürzlerischen Worte. Als die Stephanskirche zum Vier-Uhr-Gebet läutete, nickte er und schlenderte davon.
Frankfurt am Main, März 1848
Seit der Französischen Revolution wurde überall nach Friedrich Hecker verlangt. Reden, Zusammenkünfte und die zu beantwortenden Briefe hatten seine Maschine überdreht. In Mannheim forderte man Pressefreiheit. Einundfünfzig südwestdeutsche Liberale trafen sich in Heidelberg und in Offenburg kam es zu einer zweiten, noch größeren Versammlung. Itzstein hatte sämtliche Mitglieder der deutschen Ständeversammlungen und weitere fortschrittliche Zeitgenossen zum Vorparlament in Frankfurt am Main eingeladen. Hecker bemühte sich, seinen Kollegen die Bedeutung der Permanenz einzubläuen. »Unsere Versammlung muss beharrlich tagen, bis die Nationalversammlung, das ständige Parlament, zusammentritt. Trennen wir uns, verschwindet die einzige legale Handhabe der Demokraten und die Sache der Freiheit wird um mindestens fünfzig Jahre zurückgeworfen!« Bei der Sitzung beschloss man lediglich die Wahl eines Fünfzigerausschusses, der Wahlen zur Nationalversammlung vorbereiten und überwachen sollte. Hecker erhielt 171 von 516 Stimmen und nahm den 51. Platz ein. Struve war der 62. Frankfurt verließen beide ohne Illusionen.
»Was soll man von einer Versammlung erwarten, die dem royalistischen Heinrich von Gagern hysterisch Beifall klatscht«, fragte Hecker während der Zugfahrt nach Mannheim. Er hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße hochgelegt.
Struve atmete schleppend, damit sein Freund die ungeheure Belästigung unterließ, war doch die rauchende Lok widerlich genug!
»Klägliche Idee, dieser Fünfzigerausschuss!«, schimpfte Hecker. »Warum nicht noch ein Hunderterausschuss im Rücken?«
»Mit dem Zwischenruf, der Bundestag sei eine Leiche, hat er Monarchist Gagern enerviert.«
»Ein kleines Wunder, dass Langnase uns nicht wegen Majestätsbeleidigung in den Kerker werfen ließ. So wie er glotzte.«
»Spion, Spion«, sagte Struve unvermittelt.
»Wo denn?«
»Vor dem Abteil. Auf und ab gehend.«
»Na, wenn schon!«
»Vielleicht wäre es nicht unklug, etwas Obst zu verzehren«, meinte er und stierte auf Heckers Strümpfe. »Wegen der Gesundheit.«
»Gustavs berühmte Gedankensprünge! Nur zu, Freund!«
Struve seufzte, fischte zwei Äpfel aus der alten, schwarzen Aktenmappe und schälte sie altväterlich. Seiner Gesundheit zuliebe war er gezwungen gewesen, auf zahlreiche Mahlzeiten zu verzichten. »Alles zu fett und zuckrig in diesem Frankfurt!« Pedantisch reihte er die Schnitze auf dem Taschentuch.
»Gute Frucht?«
»Bitte was?«, brabbelte Struve.
»Nicht so wichtig. Die Versammlung, bestimmt vertritt er einen dezidierten Standpunkt?«
Struve zeigte auf vollen Mund, kaute wie für Publikum zu Ende, bevor er antwortete. »Erst wird großspurig auf Redefreiheit gepocht. Dann kommt Bassermann daher und beschimpft einen rohrspatzmäßig, weil man die Monarchie abschaffen möchte. Wie soll sich alles zum Guten wenden ohne frei gewähltes Parlament und föderative Bundesverfassung?«
»Ding der Unmöglichkeit. Nicht verwunderlich also, dass man uns beide aus dem Ausschuss wählte. Monarchistische Großschwätzer, die es vorziehen, Verfassungsfragen totzupalavern, bleiben lieber unter sich.«
»Zwei Tage für die Katz!«
»Unserem Ziel nicht einen Schritt nähergekommen!«
Hecker, in Wollhose und Arbeitshemd, hackte Holz. Der monotone Ablauf hatte ihn gerade erst auf andere Gedanken gebracht, als ein Bote auf das Anwesen trat. Er wolle nicht molestieren, sagte das schmächtige Kerlchen scheu, bringe dieses Schreiben für Doktor Friedrich Hecker.
»Her damit! Oder sollen wir den Brief gewaltsam eintreiben?«
»Bitte nicht, nein und auf keinen Fall!«, antwortete der Mann, streckte ihm demütig das Kuvert entgegen und flüchtete.
»Trinkgeld gespart!« Die Nachricht stammte von einem Freund aus Karlsruhe. »Mathy lässt Fickler im Bahnhof als Umstürzler festnehmen!«, prangte wie eine Zeitungsüberschrift in großen Blockbuchstaben darüber. Sein Freund saß bereits im Zug, als Mathy Bahnbeamte aufforderte, ihn zu arretieren. Die Staatsdiener lehnten es ab, ihm ohne schriftlichen Befehl unter die Arme zu greifen. Mathy herrschte einige Soldaten an, den angeblichen Landesverräter aus dem Abteil zu zerren. Gegen trainierte Körper waren Ficklers Fausthiebe vergeblich, ebenso wie seine Immunität. Fickler hatte Mathy sehr oft finanziell unter die Arme gegriffen und auch seine Wahl zum Abgeordneten unterstützt! »Dieser Judas«, fluchte Hecker, faltete den Brief zusammen und ging ins Haus. »Gefahr für Leib und Leben«, sagte er zu Josefine und drückte ihr den Brief in die Hand.
»Um Gottes willen, Fritz!«
»Herrgott können wir aus dem Spiel lassen! Jetzt sollen zweifelsohne Struves und unser Kopf rollen. Eine rechtswidrige Aktion wird auf die nächste folgen!«
Den wichtigsten Brief, an Struve, schrieb er zuerst. Ihm musste er nicht viel erklären. Als er seine Unterschrift auf den weißen Bogen setzte, klopfte jemand schüchtern an der Tür, was er ignorierte. Arthur versuchte es ein zweites Mal. Hecker sagte laut »herein«, sah über die Schulter und fragte seinen Ältesten, warum er ihn störe.
»Mutter lässt fragen, wann sie das Abendessen servieren kann.«
»Wenn wir es nur wüssten.«
Sein Sohn, zu jung, um die Antwort zu verstehen, rührte sich nicht von der Stelle.
»In einer Stunde! Was denn noch, Arthur?«
Der Junge machte große Augen, spürte, dass etwas nicht stimmte, verschwand aber folgsam.
Vor Tagesanbruch erhob er sich, küsste seine schlafenden Kinder auf die Stirn und schloss leise die Tür. Der Abschied fiel ihm schwerer als erwartet. Er drückte Josefine an sich und griff nach dem Bündel, das bereits neben der Haustür lag.
»Noch