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Gemüt. Großherzog, Hofkamarilla und Beamte hassten ihren wüsten Anarchisten Fickler, Herausgeber der »Konstanzer Seeblätter« und Verfechter demokratischer Republik.

      »Wird man hier auf die Versammlung der süddeutschen Schützenvereine treffen?«, fragte er.

      »Die Letzten werden die Ersten sein! Im Angesicht gedrückter Stimmung vor Ort ist es aber wohl umgekehrt«, antwortete Hecker.

      »Die Ersten werden die Letzten sein? Zum Teufel, was soll das denn bedeuten? Uns hat sowieso der olle Struve eingeladen. Wie fühlt er sich denn?«

      »Gestern wollte er den Kopf einer Magd vermessen.«

      »Um Gottes willen! Wem soll das helfen?«

      »Fortführung seiner phrenologischen Studien. Wissenschaftler ruhen nie, pflegt er zu sagen.«

      »Kam er weiter bei ihr? Schöner Schädel?«

      »Die Frau wollte ihm mit dem Nudelholz die Leviten lesen, und wäre der Wirt nicht dazwischengegangen, hätte ihm das Sitzen für eine Weile große Mühe bereitet.«

      »Solange sie nur auf den Allerwertesten zielte!«

      »Manch einer hält große Stücke auf die Schädelkunde.«

      »Aber er doch nicht?«, spottete Fickler.

      »Nein, zu trivial erscheint uns diese sogenannte Lehre.«

      »Gustavs Ansicht zu der Magd, ohne Messung?«

      »Wir wollen den Mann nicht reizen. Neben einem Pulverfass zündet man sich keine Zigarre an.«

      »Gott sei Dank alles beim Alten«, sagte Fickler und entkorkte einen Flachmann. Während der Versammlung würde Hecker ihn bremsen müssen, notfalls mit der Pistole. Mehr als einmal hatte der Konstanzer die Republik ausrufen wollen. Aber militärisch waren die Demokraten unterlegen. Ohne Waffen und gelernte Soldaten war an eine Erhebung nicht zu denken.

      »Schnaps hilft am besten gegen Durst«, erklärte Fickler. »Wie auch ein Glas saftiges Bier!«

      »So früh bitte keinen Alkohol.«

      »Herr Doktor muss gläubig geworden sein. Oder der Umgang mit dem Adventskollegen färbt ab!«

      »Adventskollege?«

      »Advokat, Advent! Das macht keinen Unterschied. Solange die Sonne jeden Morgen aufgeht.«

      »Wahrscheinlich könnte ein Gläsle Wein nicht schaden, am besonderen Tag, als Frühschoppen sozusagen? Struve verwaltet derweil die Liste. Trotz aller Schrullen ist er ein pflichttreuer Mann.«

      »Schnell dem Schriftführer schönen Tag wünschen«, verkündete Fickler und wischte sich Bierschaum vom Mund. »Joseph Fickler, Abgeordneter im badischen Parlament und Herausgeber der ›Konstanzer Seeblätter‹.«

      Struve lächelte mehr sauer als süß und blickte von seiner Liste kaum auf. Vom Alkoholdunst, der ihm entgegenwehte, war er nicht angetan. Um ein Uhr waren fast zweihundert Männer versammelt und Hecker eröffnete die Versammlung. Struve, erster Redner, trat hinter das Pult, erbat sich Ruhe und redete sehr monoton, worauf die gute Stimmung verschwand. Hecker überlegte, wie seine Schädelforscherkollegen ihn einschätzten. Fickler stellte Fragen und Struve ließ ihn gewähren. Auf das Missverhältnis zwischen Arbeit und Kapital zu sprechen kommend, duldete dieser aber keinerlei Einwand mehr: »Dringend muss ein Ausgleich zwischen beiden geschaffen werden! Die einen schuften und andere verprassen!« Struve schüttelte den Kopf und verschwand in der Menge. Hecker war der Meinung, dass Applaus angebracht sei, ging nach vorne und machte es vor, bevor er anhob: »Meine Freunde, hart sind die Entbehrungen des Volkes, vor allem auf dem Land. Dem steht ungesunder Luxus von 38 Fürstenhäusern gegenüber. Wer dieses Missverhältnis auch nur erwähnt, landet hinter Gittern! Die deutschen Lande müssen dieselben Rechte bekommen wie Amerika: Pressefreiheit, Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, Vereidigung des Militärs auf eine Verfassung sowie ordentliche Geschworenengerichte. Dreizehn Forderungen sind es, nicht mehr, nicht weniger! Fickler wird sie in seinen ›Seeblättern‹ und Struve im ›Deutschen Zuschauer‹ publizieren. Wir beschreiten unseren außerparlamentarischen Weg weiter und verbreiten demokratische Gedanken wie ein Feuer!«

      Karlsruhe, Dezember 1847

      Hecker marschierte vor dem Karlsruher Schloss auf und ab. Er hatte sich zu einer neuen Kandidatur bereit erklärt und war in die zweite badische Kammer gewählt worden. Vor einer Woche trat der Landtag zusammen. Am Empfang des Großherzogs nahm er nicht teil. Katzbuckeln vor dem Diktator stieß ihn ab! Viele Badener hielten seine Legitimation für unangreifbar. Man müsse nur das prachtvolle, Versailles so ähnliche Schloss betrachten, um die Verdienste des Mannes anzuerkennen, bekam er in der Stadt zu hören von Narren, die in Abhängigkeit vom Pseudo-Sonnenkönig lebten. Als ob Herr Faulpelz selbst Steine geklopft hätte! Seine zahlreichen Untertanen schufteten von morgens bis abends, um die hohen Abgaben zu erbringen. Zwei Wachen, gezwängt in schmale, spitze Häuschen, beobachteten ihn. Für Leopold arbeiteten über sechshundert Menschen: Palastsoldaten, Diener, Mägde, Hofräte, Kämmerer, Mundschänke, Zeremonienmeister, Hofjägermeister, vor dem Schloss, im Spiegelsaal und Marmorsaal mit hunderttausend Büchern und in zahlreichen anderen Räumen. Hinter dem Prunkschloss mündeten Alleen in die umliegenden Ortschaften, angelegt, um Jagdgründe zu erschließen. Markgraf Karl Wilhelms erstes Schloss in Durlach, zwischen Turmberg und Sümpfen gelegen, bot wenig Gelegenheit zur Jagd, und dann missgönnten die Bürger ihm auch noch Freudenmädchen! Es war nicht leicht, ein Diktator zu sein! In zwanzig Minuten würde Badens zweite Kammer zusammentreten, um ihre Antwort auf die Thronrede des Großherzogs zu diskutieren. In der ersten Kammer saßen für immer und ewig Prinzen, die Häupter der sogenannten standesherrlichen Familien, katholischer Landesbischof, protestantischer Prälat, acht Abgeordnete des gutsherrlichsten Adels, zwei Abgeordnete der Universitäten und acht vom Großherzog ernannte Mitglieder. Die zweite Kammer bestand aus 22 Abgeordneten der Städte und 41 Abgeordneten der Ämter. Zweijährlich fand ein Landtag statt. In der Zwischenzeit tagte ein Ausschuss beider Kammern. Ohne Bewilligung der Stände der ersten Kammer durften aber weder eine Steuer aufgelegt noch Gesetze verabschiedet werden. Hecker ließ das Schloss hinter sich und ging über den kopfsteingepflasterten Marktplatz. Bei der Pyramide über Karl Wilhelms Gruft schnitt er eine Grimasse. Angeblich war Markgräfchen hier nach dem Verdauungsschlaf die Idee zur Stadtgründung gekommen. Ein Untertan, der ebenfalls über den Platz schlenderte, hielt den Fremden für nicht richtig im Oberstübchen. Kurz vor dem Ettlinger Tor seinerseits den Kopf schüttelnd wegen des allzu pompösen Tempeldaches, bog Hecker rechts ab und ging noch dreihundert Meter geradeaus. Trotz schlechten Wetters standen einige Abgeordnete vor dem Parlamentsgebäude und plauderten. Im Haus befanden sich neben den Sitzungssälen erster und zweiter Kammer Büros der Kommissionen sowie Wohnungen von Präsidenten und Archivaren. Es kam ihm wie eine verschämte Burg vor, in der man dürftige, der Monarchie entrissene Demokratiefetzen verwahrte. Ein weißhaariger Herr winkte ihm zu. Adam Itzstein, liberaler Politiker, gehörte zu den wenigen Menschen, die ihn beruhigen konnten. Seit Jahren lud er liberale Politiker in sein Haus ein. Gemeinsam betraten sie den Sitzungssaal: hohe, mit grünem Tuch bezogene Wände, überlange Fenster, amphitheatralisch angeordnete Bänke und eine Galerie, die auf römischen Säulen ruhte. Ebenso gut hätte man sich vis-à-vis in der katholischen Kirche treffen können!

      »Grandiose Architektur, nicht wahr?«, rief eine vertraute Stimme. Er drehte sich um und Fickler klopfte ihm Gorillapranken auf die Brust. »Spannende Sitzung, aufreibender Tag!«

      Hecker winkte ab. »Dankadresse der zweiten Kammer der Ständeversammlung an seine königliche Hoheit, den Großherzog, auf seine Thronrede? Bereits die Wortwahl verleitet zum Schnarchen!«

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