England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage
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Die englische Reaktion auf die SI bestand in einer Zeitschrift, Heatwave, deren erste Ausgabe (Juli 1966) Material von den Amsterdamer Provos und aus amerikanischen anarchistischen Veröffentlichungen wie dem Rebel Worker enthielt und das alles zu einer Collage verarbeitete. Die programmatischen Bestandteile handelten von britischer Popkultur: John O’Connor schrieb eine Kritik über den ersten »Teen Take-Over«-Roman, Only Lovers Left Alive von Dave Wallis, der die nahe Zukunft beschreibt, in der »die Erwachsenen mit ›Drückeberger‹-Pillen Selbstmord begingen und die Teenager die Macht übernahmen.«
In Die Saat der Zerstörung legte Charles Radcliffe die Grundlagen für die kommenden zwanzig Jahre subkultureller Theorie. Radcliffe griff sechs »inoffizielle Jugendbewegungen« – die »Teddy Boys«, »The Ton-up Kids« (Biker), die »Raver« etc. – heraus, die gleichermaßen Symptom und Kritik des Nachkriegskapitalismus sind. »Die Tatsachen künden davon«, schlussfolgerte er, »dass die revoltierende Jugend eine bleibende Wirkung auf diese Gesellschaft hat, da sie deren Voraussetzungen und ihren Status hinterfragt und bereit ist, den eigenen Abscheu auf die Straße zu kotzen. Sie hat ihre ersten unsicheren politischen Gesten mit einer Unmittelbarkeit vorgebracht, die Revolutionäre nicht bestreiten, sondern beneiden sollten.«
Die zweite Ausgabe von Heatwave reproduzierte Material der SI, das Radcliffe, Mit-Herausgeber Christopher Gray, Timothy Clark und Donald Nicholson-Smith in der zweiten Jahreshälfte 1966 zusammengetragen hatten. SI-Texte wurden verbreitet: »Ten Days that shook the University wurde großzügig unter den Studenten, die sich für aktuelle radikale Aktivitäten interessierten, verteilt«, erzählt Paul Sieveking, ein Student in Cambridge, der die erste Übersetzung von Raoul Vaneigems Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen ins Englische anfertigte. »Es war eine Entdeckung: es verschaffte einem einen gewissen Vorteil vor Leuten, die nichts davon wussten. Danach kam Vaneigems Basisbanalitäten heraus, in einem dunkelblauen Umschlag, das von einem komischen Typen verkauft wurde, Martin Housden, der damit durchs Land reiste. Heatwave war nicht besonders weit verbreitet, nur in London, würde ich sagen. Man konnte dieses Zeug im Wooden Shoe Bookshop in der Old Compton Street und anarchistischen Stützpunkten wie Freedom bekommen. Der Keller von Better Books war vollgestopft mit Samisdats, Phrasendreschereien und Manifesten. Der ursprüngliche Einfluss der SI lag weniger auf der urbanistischen Seite: Ich glaube der Begriff war ›hermetischer Terrorismus‹.«
Im Dezember 1967 fielen Gray, Radcliffe, Clark und Nicholson-Smith der Dynamik der SI zum Opfer: Ausschluss »wegen irrer Exzesse«. »Man hielt ihre Unterstützung dieser ziemlich nebulösen Straßengang Motherfuckers für einigermaßen unkritisch«, sagt Sieveking.
»Vaneigem ging rüber in die Vereinigten Staaten und traf einen Typen namens Hoffman, der auf Tarot-Karten stand. Als sich Gray und Smith weigerten, abzuschwören, wurden sie ausgeschlossen.«
In Großbritannien gründeten einige Ex-Situationisten eine SI/Motherfucker-Mutation King Mob und erklärten sich selbst und ihre Politik in ihrer Zeitschrift King Mob Echo. Auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe im April 1968 war ein maskierter blouson noir mit einem Molotow-Cocktail und einem Zitat von Marx zu sehen: »Ich bin nichts, und ich müsste alles sein«, während sich im Innenteil Aphorismen fanden, die Marx, Hegel und Emerson auf »poetische« Weise verbanden: »Meine Utopie«, wurde deklamiert, »ist eine Umwelt, die so gut funktioniert, dass man darin durchdrehen kann.«
Der Name King Mob stammte aus Christopher Hibberts Buch von 1958, damals das einzig verfügbare über die Gordon Riots im Juni 1780, die John Nicholson den »großen Freiheitsaufstand« nannte, der eine anarchische Woche lang dauerte und der französischen Revolution wenige Jahre später ähnelte. Indem sie diesen unbekannten Moment in der britischen Geschichte bejubelten, versuchte die Gruppe ein ungeordnetes, anarchisches Großbritannien ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken, das bislang ignoriert worden war. Es war der Versuch, das unzufriedene Grollen, das noch vor den Ereignissen des folgenden Monats immer lauter wurde, in einen spezifisch britischen Zusammenhang zu stellen.
King Mob waren nicht die einzigen – eine weitere Pro-Situ-Gruppe, der Kim Philby Dining Club, wurde im Oktober 1968 in Cambridge gegründet –, sie waren Teil eines Prozesses. Wie es der Kopf von King Mob, Christopher Gray, ausdrückte: »Der Geist ist wichtiger als die Fakten.« Das Ausmaß von McLarens Beteiligung an King Mob wurde in späteren Pro-Situ-Flugschriften debattiert: Christopher Gray erinnert sich an McLaren als »einen großäugigen Kunststudenten, der nicht besonders involviert war.«
Die einzige Aktion, an der McLaren beteiligt war, fand im Dezember 1968 statt, als fünfundzwanzig Leute von King Mob, einer davon als Nikolaus verkleidet, in die Spielzeugabteilung bei Selfridges platzten und vorbeilaufenden Kindern und deren verdutzten Eltern Spielzeug schenkten. Diese Aktion wurde begleitet von einer anonymen Flugschrift: »Weihnachten: Es sollte toll werden, aber es ist schrecklich«, lautete die Überschrift. »Nieder mit dem Betrug. Zündet die Oxford Street an, tanzt um das Feuer.«
McLaren war einer der fünfundzwanzig: »Wir verteilten das Spielzeug und die Kinder rannten davon. Die Kaufhausdetektive und die Polizisten stürzten sich auf uns. Ich rannte in den Fahrstuhl. Da war nur ich und eine alte Dame: die Türen öffneten sich und ich sah die ganzen Polizisten. Ich schnappte mir die alte Dame und tat so, als würde ich ihr helfen. Sobald wir aus dem Kaufhaus raus waren, machte ich mich aus dem Staub.«
Malcolm beobachtete genau. King Mob hatte ebensoviel mit angloamerikanischer Poprevolte zu tun wie mit französischer Theorie und versuchte, Kontakte mit »Straftätern« zwischen »fünfzehn und fünfundzwanzig oder mit Verrückten« herzustellen. Fußball-Hooligans waren für King Mob die »Avantgarde der britischen Arbeiterklasse«. Es gab Graffiti-Feldzüge in und um Notting Hill Gate herum, wo Slogans wie »Die Straße des Exzesses führt zum Palace of Willesden« einen geheimnisvollen, flüchtigen Monolog führten. Auf der Suche nach utopischen Metaphern fetischisierte King Mob sowohl revolutionäre Gewalt als auch Popkultur. Man feierte Valerie Solanas, Autorin des präfeministischen Traktats Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer (SCUM Manifest), die 1968 auf Andy Warhol schoss und damit Theorie in Praxis umsetzte.
Aus der Verklammerung von revolutionärer Rhetorik und Popkultur entstand wenig. Das lag zum einen an den revolutionären Prioritäten – terroristische Gruppen wie die Weathermen in den USA, Baader/Meinhof in Deutschland und die Angry Brigade im Vereinigten Königreich bewegten sich auf einen bewaffneten Kampf zu – und zum anderen an der Marginalität von Gruppen wie King Mob. Ende der 60er Jahre war Popkultur monolithisch. Die Beatles und die Rolling Stones mit ihren unkonventionellen, wenn nicht gar revolutionären, Haltungen und zweideutigen Äußerungen über die Ereignisse von 1968, wurden von multinationalen Unternehmen finanziert.
Von den Popradikalen stellte sich damals niemand diesem zentralen Widerspruch, dass ihre radikalen Ausdrucksformen von einer mächtigen anglo-amerikanischen Musikindustrie transportiert wurden, die es sich in den späten 60er Jahren leisten konnte, Schwierigkeiten mit enormen Honorarvorschüssen zu ersticken. Niemand verfügte über eine Sprache, um diese Kritik zu formulieren, abgesehen von obskuren Veröffentlichungen wie Raoul Vaneigems Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen. »Der Begriff des ›Teenagers‹«, schrieb er, »führt bereits auf den Weg dazu, den Käufer dem gekauften Produkt anzugleichen.«