German Cop. Dieter Jandt
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Nun stand Wagner also vor dem Tor und lugte darüber hinweg auf ein großes weißes Haus. In der oberen Etage brannte Licht, zwei Neonröhren an den Außenwändern bestrichen matt das Grundstück, auf dem in einer langen Reihe Palmen standen.
Was tun? Wagner ruckte vorsichtig am Tor, das über Rollen in einer Führung geöffnet werden konnte. Sogleich gab eine kleine Glocke Laut. Sie war am oberen Rand des Tores befestigt. Ein Hund kläffte hell. Wagner war einigermaßen beruhigt. Das konnte zumindest kein großes Tier sein. Wagner schob das Tor ganz langsam zur Seite, um möglichst nicht wieder die Glocke zu betätigen, und schob sich durch die Lücke. Er schaute den sandigen Weg entlang auf die beleuchtete Terrasse. Er sah lange Reihen leerer Flaschen an der Schuppenwand, und Wagner musste gleich wieder an die Armut vieler Familien im Norden und Nordosten des Landes denken, so wie Nok ihm das erzählt hatte: Familien, die nicht zurechtkamen, wo die Männer zu viel Alkohol tranken und die Töchter gezwungen waren, an der Sukhumvit Road in Bangkok Geld zu verdienen. Aber ärmlich sah das hier nicht aus.
Zwei Männer saßen an einem Kunststofftisch über Teller gebeugt, eine ältere Frau hockte auf einem niedrigen Schemel und machte sich mit einer Zange auf einem Grillrost zu schaffen. Daneben ruckte der braun-weiß gefleckte Hund an der Leine und bellte unablässig. Die drei auf der Terrasse drehten die Köpfe, während Wagner schnell durch den Garten näher kam, die Hände schon zum Gruß vor der Brust gefaltet und eine Verbeugung andeutend. So viel hatte er immerhin schon gelernt. Die beiden Männer schauten ihn verwundert an. Die Frau drehte Fleischstücke auf dem Grill und lächelte Wagner an. Wahrscheinlich amüsierte sie sich, weil der sich so linkisch verhielt, und Wagner hoffte, dass sie die Mutter der getrockneten Schweinefleischfasern, und damit auch zwingend Noks Mutter war.
»Nok?«, fragte er rundheraus. »Nok?«
Der jüngere der beiden Männer, die sich ähnlich sahen, schaute misstrauisch herüber. Er hielt die Hand mit den Essstäbchen über den Suppenteller, fischte nach ein paar Nudeln und führte sie lauernd an den Mund. Es war Ton. Er sagte etwas zu dem älteren, grauhaarigen Mann, dessen Gesicht sofort strenge Züge annahm. Die Frau am Grill stand auf, streifte die Hände an der Schürze ab und ging eilig ins Haus.
Wagner wurde unsicher, aber Ton bot Wagner einen Stuhl an und lud ihn zum Essen ein. Er füllte ihm aus einem großen Topf eine Nudelsuppe mit Garnelen in eine Schüssel, dunkel gebratenes Rindfleisch lag auf einem Teller und diverse kleine Schalen mit Chilisaucen standen auf dem Tisch, daneben Broccolistücke in Sojasauce.
»She is not here«, kam es nach Minuten des Essens und Schweigens. Ton pflückte mit den Essstäbchen geschickt kleine Fleischbällchen aus seiner Schüssel. »We don’t know where she is.«
Wagner nickte, während er sichtlich Mühe hatte, die Nudeln mit den Essstäbchen zu fassen.
»But we know who you are.«
Wagner versuchte es mit den Rindfleischstücken, die waren leichter zu greifen, sehr schmackhaft in der Würze, aber unendlich zäh. Er kaute heftig darauf herum. Ton stellte ihm ein Glas Bier hin, mit Eiswürfeln.
»This is her father. I’m her brother.«
»I love Nok«, kam es unvermittelt aus Wagners Mund, der eigentlich noch mit Rindfleisch beschäftigt war. Direkter konnte man kaum sein, oder tumber. Und das in Thailand, wo man erst einmal drumherum redete, und über Gefühle viel später, wenn überhaupt. Aber woher sollte Wagner das wissen? Er war ohnehin mit der Situation überfordert.
»Yes, but she is not here.«
Ton wechselte ein paar Worte mit seinem Vater, der daraufhin aufstand und sich mit einem kurzen Nicken verabschiedete. Wagner sah, wie er im Haus eine Treppe aus teurem Teakholz aufwärtsstieg. Der Mann war sicherlich siebzig Jahre alt, aber so, wie er die Stufen nahm, schien er kerngesund.
Die Mutter der getrockneten Schweinefleischfasern kam wieder aus dem Haus und lächelte Wagner schüchtern an. Sie hatte etwas sehr Liebliches an sich, stellte Wager einen kleinen Teller mit Garnelen-Stäbchen hin und dazu zwei kleine Schalen mit Sojasauce und grüner Meerrettichpaste. Sie nickte einladend und lachte, setzte sich zurück an den Grillrost und unterhielt sich mit ihrem Sohn.
Wagner begann sich wohlzufühlen. Er lauschte den Fröschen nach, die drüben rund um einen Teich quakten, und schaute den Geckos zu, die an der Hauswand unter einem der Neonlichter Mücken jagten, während Ton ihm jedes Mal Bier nachfüllte, kaum dass er einen Schluck getan hatte – auch eine thailändische Sitte. Wagner warf dem Hund, der hechelnd unter dem Tisch bettelte und die Vorderpfoten auf den Rand des Stuhles gestellt hatte, ein Fleischstück zu. Bahnte sich hier eine neue Freundschaft an, ausgerechnet mit einem Hund, einer Spezies, mit der Wagner eigentlich überhaupt nicht konnte? Oder war das eine Art Kompensation, eine Ersatzhandlung, ein Beweis seiner Liebe zu Nok?
Man trank, plänkelte auf Englisch Belangloses, redete über Fußball und über Deutschland als Weltmeister und Wagner musste erklären, wie teuer in Deutschland Autos waren, wie viel man für Strom zu zahlen hatte und wie viel er verdiente. Stunden später wies Ton Wagner ein Zimmer im Erdgeschoss zu, ein kleiner, schlicht eingerichteter Raum, und Wagner war bald eingeschlafen. Später wachte er wieder auf, als er etwas Vertrautes spürte. Nok lag neben ihm, nackt. Sie liebten sich, wie es zwei tun, die völlig spontan zueinander finden, ohne Vorspiel. Da war reine, aber sanfte Begierde, keineswegs fordernd, beinahe absichtslos, als sei der Weg das Ziel. Nie hatte Wagner das Gefühl, dass ihre Hinwendung zu ihm so intensiv war. Genau deswegen war er hergekommen. Die Dinge begannen, für ihn zu laufen.
Am nächsten Morgen war Nok verschwunden. Als Wagner auf die Terrasse trat, saß Ton wieder am Tisch. Er aß eine Suppe, aus der ein Hühnerfuß ragte, und nickte Wagner kurz zu. Weit hinten im Garten bearbeitete der Vater mit einer Harke das Feld. Die Mutter sei schon früh am Morgen zum Markt gegangen, erzählte Ton beiläufig, und dass er nicht wisse, wo Nok sei. Er habe nur aus dem Fenster gesehen, dass sie noch in der Dunkelheit mit einer Reisetasche das Grundstück verlassen habe. Dass er gestern noch behauptet hatte, er wisse nicht, wo Nok ist, schien ihn nicht im Geringsten zu stören.
Wagner konnte es nicht fassen. Hatte er das alles heute Nacht nur geträumt? Was war das für ein Spiel, das sie mit ihm trieb? Wusste Ton, dass sie nachts zu ihm gekommen war? Hatte er sie deswegen womöglich fortgeschickt? Wagner wusste ja mittlerweile, dass es schwer war, die wahren Beweggründe von Thailändern zu erfahren, aber jetzt fühlte er sich völlig ratlos.
»I think she went to the bus station.«
Wagner glaubte Ton nicht, aber was sollte er tun?
»Maybe you stay here for a while and wait until she is back.«
Was sollte das? Wollte Ton verhindern, dass Wagner Nok suchte? Es war alles so rätselhaft.
»You stay here and in the evening we will have friends.« Es sei ja immer noch Loy Krathong, das Lichterfest, und das müsse gefeiert werden.
Den Tag verbrachte Wagner mit Spaziergängen durch die Stadt. Er hatte keine Lust auf die Besserwissereien Johanns, und er hatte keine Angst, doch noch von der Polizei aufgegriffen zu werden, nun nach Tagen. Er streifte durch einen kleinen Park, der von einem engen Kanal durchzogen war, kam an einer Siedlung vorbei, in der kleine, schmutzig-graue Häuser dicht beieinanderstanden. Kinder standen barfuß davor und beobachteten Wagner neugierig, weil sie sich nicht erklären konnten,