Grenzgänger. Klaus Mertes

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Grenzgänger - Klaus Mertes

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uns gekugelt vor Lachen über diese lustige Männerstimme. Irgendwann, im Alter von 12 oder 13 Jahren, fand ich diese Musik schön. Auf dem halbstündigen Weg mit dem Fahrrad zur Schule habe ich diese Melodien gesungen. Dabei kam auch ein Gefühl von Neid auf: Die Jünger durften den Auferstandenen direkt erleben, und ich muss das denen jetzt, zweitausend Jahre später, glauben. Das fand ich ungerecht. Ich wollte diese Erfahrung selber machen.

      Da erwachte das Interesse an Figuren wie Charles de Foucauld und Madeleine Delbrêl und an den Mönchen. Mir wurde klar: Wenn man solche Erfahrungen selber machen will, dann muss man auch bereit sein, etwas einzusetzen. Das bekommt man nicht ohne Preis. So ist die Sehnsucht entstanden nach einem Beruf, der sich mit dem explizit Religiösen verbindet.

      Den Eros in der Musik ausgelebt

      Was den Eros betrifft, so hatte ich ziemlich rigide Ansichten. Zum Beispiel: Ich küsse ein Mädchen erst dann, wenn ich mich auch entschieden habe, es zu heiraten.

      Ich musste also zuerst klären, ob ich ein zölibatäres Leben wirklich will. Vorher kam das Thema „Mädchen“ erst gar nicht dran. Mehrere Jahre habe ich mich allerdings in Constanze verliebt. Das ist die weibliche Hauptrolle in Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“. Ich hörte sie 1966, als 12-jähriger Junge, auf einer Platte, gesungen von Maria Stader*. Da habe ich zum ersten Mal, jedenfalls für mich erinnerlich, den Eros gespürt. So etwas Herrliches! Ich brauche mir heute die Entführung aus dem Serail gar nicht mehr auf CD oder in der Oper anhören. Ich muss mich nur hinsetzen, dann höre ich sie schon. So etwas Schönes! Ich habe mich verliebt in Maria Stader. Wenn ich Opern gehört habe, habe ich alle Liebesarien mitgesungen. Da habe ich den Eros singend ausgelebt.

      Auch wenn ich selber musiziert habe. Dann habe ich mich in manche Musikerinnen, mit denen ich musiziert habe, verliebt. Auch beim Chorsingen war das so. Ich hatte dann auch Zweifel, ob es nicht zu früh sei, mich für ein explizit religiös-zölibatäres Leben zu entscheiden. Ich müsste doch erst das Leben ganz kennenlernen! Das war dann die Zeit, in der ich dachte, ob ich nicht doch Musiker werden sollte. Mein Chorleiter hat mir vorgeschlagen, meine Stimme ausbilden zu lassen, weil ich angeblich einen Heldentenor hatte. Den gibt es nämlich selten. „Tristan“ war da natürlich eine irre Rolle. „Liebestod“ kann ich ganz und gar verstehen.

      Eine andere Frage war, ob ich nicht in die Politik gehen soll. Politik hat mich auch sehr fasziniert.

      Ich bin dann zunächst zur Bundeswehr gegangen. Das war damals ein Bekenntnis gegen den politischen Mainstream in meiner Generation. Ich kam zum Stabsmusikkorps. Da ging es relativ harmlos und ziemlich unmilitärisch zu. Ich konnte den längeren Teil meiner Dienstzeit als Bratschist mit dem „Streichquartett der Bundeswehr“ durch die Lande fahren und konzertieren.

      Dann habe ich auch noch zwei Jahre Latein, Griechisch und Russisch in Bonn studiert. Das war ein Kompromiss: Einerseits nahe an meinen Interessen studieren, aber nicht Philosophie und Theologie.

      Aber dann habe ich gesagt: Ich muss es jetzt einfach wagen, mit meiner Sehnsucht einen Schritt zu machen, und sehen, ob das klappt oder nicht.

      Scherzhaft sage ich heute gelegentlich: Ich hatte zwei Berufswünsche. Ich wollte Musiker werden und ich wollte Politiker werden. Beides kann ich in meinem heutigen Beruf gut miteinander verbinden: Ich kann öffentlich singen und öffentlich reden.

      Letztlich war mein Weg bis zur Berufsentscheidung dann doch ein gerader Weg. Ich konnte die Entscheidung nicht mehr aufschieben. Das Drängen war da, die Sehnsucht war da. Dass es dann der Jesuitenorden war, in den ich eingetreten bin, hing damit zusammen, dass ich als Schüler einer Jesuitenschule, dem Aloisiuskolleg in Bonn/Bad Godesberg, Jesuiten begegnet war. Im Blick auf die mögliche Variante „Benediktiner“ gab es die Faszination des gemeinsamen Singens. Das habe ich längere Zeit überlegt. Aber da war dann, durch die lange Schulzeit bei den Jesuiten bedingt, die Faszination des Intellektuellen (das ich den Benediktinern natürlich nicht absprechen will), die Möglichkeit, wirklich kritisch denken zu dürfen, stärker. Meine Lehrer auf der Jesuitenschule waren oft religionskritischer als die Religionskritiker. Wir haben Marx, Freud und Feuerbach richtig durchgearbeitet. Als ich an der Universität war, konnte ich mich mit den Linken an der Uni fundiert auseinandersetzen. Das kam alles noch hinzu.

      Aber im Kern war es das Nicht-mehr-aushalten-Können, die zunehmende Unzufriedenheit damit, die eigene Entscheidung weiter hinauszuschieben und auf irgendeine Sicherheit zu warten, die es nicht gab und nicht gibt. Das Studium von Latein, Griechisch und Russisch an der Universität in Bonn war natürlich schön. Aber es hat mich nicht erfüllt.

      Musik? Da hat mir die Eitelkeit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich habe vorausgesehen: Am Ende werde ich dann doch ein Leben lang kein Solist werden. Ein halbes Jahr, im Sommer 1975, war ich in Südafrika, in Durban, im Symphonieorchester angestellt. Zwischen Bundeswehr und Studium hatte ich da blind ein Stellenangebot angenommen. Nach fünf Monaten begann ich mich in den Proben eher zu langweilen. Kein gutes Zeichen. Ich habe bemerkt: Wenn schon, dann würde ich gerne ein Itzhak Perlmann* werden, dann ja. Aber das war eine Illusion! Und für ein professionelles Streichquartett war ich wohl auch nicht gut genug. Ich habe auch gespürt: Ich bin vermutlich nicht so sehr Musiker, dass die Musik mein ganzes Leben erfüllen wird.

      Die Entscheidung war gefallen – Eintritt in den Jesuitenorden

      Ich habe das Studium mit dem Vordiplom abgebrochen und bin 1977 im Alter von dreiundzwanzig Jahren in den Jesuitenorden eingetreten.

      Meine Eltern haben mich nach Münster ins Noviziat gefahren. Meine Mutter war sehr gefasst. Ich sah die Tränen der Rührung bei meinem Vater. Er konnte manchmal Tränen nicht zurückhalten. Dem Novizenmeister sagte er: „Pater Werner, ich übergebe ihnen meinen Sohn!“ Da ist insgeheim vielleicht ein eigenes Lebensthema bei ihm angeklungen. Der ältere Bruder meines Vaters, Johannes, mein Patenonkel, war Priester der Diözese Trier gewesen. Und ich bin ganz sicher, dass mein Vater lange mit sich gerungen hat, Priester zu werden. Warum er es nicht geworden ist? Sicher auch, weil er meine Mutter kennengelernt hat. Aber vor allem wohl, weil er schon vorher für sich zu dem Schluss gekommen war, dass Ehelosigkeit nicht sein Weg war. Aber er hatte ebenso wie meine Mutter eine tiefe Achtung vor dem Priesterberuf. Immer waren Priester zu Gast in unserer Familie. Johannes starb plötzlich und sehr früh, mit nur 53 Jahren. Die Mertes-Männer, scheint es, sterben früh. Das war bei meinem Vater auch der Fall. Er wurde nur 63. Nachträglich könnte ich sagen: Mein Drängen zum Priesterberuf war, familiensystemisch gesehen, etwas, das im Familiensystem meines Vaters grundgelegt war.

      Aber auch im Familiensystem meiner Mutter. Ein Großonkel von ihr, den ich allerdings nie persönlich kennengelernt habe, war auch Jesuit gewesen. Meine Mutter stand ebenfalls positiv zu meiner Entscheidung und hat sie von Anfang an gestützt und begleitet. Sie ist dann auch – zumal mein Vater immer weiter weg in der Politik war – zur wichtigeren Gesprächspartnerin für mich geworden. Sie war auch als Telefonseelsorgerin in den pastoralen und kirchlichen Fragen stärker „drin“. Ich konnte mich auch mit kritischen Fragen an sie wenden.

      Mein Vater schätzte die jesuitische Theologie. Er bewunderte Pater de Lubac*. Aus der Nachkriegszeit in der deutsch-französischen Studentenbewegung war Pater de Rivau* eine wichtige, beinahe väterliche Persönlichkeit für ihn. Auf der anderen Seite waren die Entwicklungen im Jesuitenorden in den Siebziger- und Achtzigerjahren so, dass sie nicht im Mainstream der damaligen CDU-Politik lagen. Ich erinnere mich, als ich an Weihnachten 1977 für drei Tage aus dem Noviziat nach Hause kam, an ein Gespräch, bei dem ein Professor und Freund meines Vaters dabei war. Dieser Freund war allerdings besonders konservativ, sodass es auch meinem Vater oft zu weit ging. Wie auch immer: Wir saßen am Tisch, und der Freund fing an, über die Jesuiten zu schimpfen, und sagte: „Die Jesuiten von heute sind alle Marxisten!“ Ich erinnere mich auch, dass mein Vater nicht besonders erbaut

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