Sozialfirmen. Lynn Blattmann

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Sozialfirmen - Lynn Blattmann

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zeigte sich jedoch, dass eine finanzielle Abfederung allein nicht genügte. Eine Stelle zu haben heißt auch, an regelmäßigen Sozialkontakten und menschlichem Austausch teilzuhaben. Vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden bedeutet somit auch, von der Gesellschaft ein Stück weit ausgeschlossen zu sein. Die meisten sozialen Beziehungen laufen über den Arbeitsplatz; wer keine Arbeit hat, hat meist auch einen eingeschränkten Kreis an Sozialkontakten. Gerade bei Personen, die nicht in einem Familienverband leben, gehen Einsamkeit und Arbeitslosigkeit oft Hand in Hand. Soziale Vereinsamung führt häufig zu Krankheiten oder unkontrolliertem Suchtverhalten. Damit sind nicht nur viel persönliches Elend, sondern auch massive Folgekosten verbunden.

      In unzähligen Studien wird aufgezeigt, dass es ungleich billiger ist, Arbeitsintegrationsmaßnahmen bereitzustellen, als für die sozialen und finanziellen Folgen von Ausgrenzungen aus dem Arbeitsmarkt aufzukommen. Ein Rechenbeispiel mag zeigen, was damit gemeint ist: Ein Mann in den mittleren Jahren schaffte es nicht mehr, seine Leistungsfähigkeit den steigenden Anforderungen des Betriebes anzupassen. Ein Teil seiner bisherigen Tätigkeiten wurde automatisiert, und dennoch konnte der Arbeitgeber rund 1000 CHF (rund 655 EUR) weniger Ertrag generieren, als er für Lohn und Arbeitsplatz aufwenden musste. Kurz: Der Mitarbeiter wurde entlassen, die Abteilung neu organisiert.

      Es gelang dem Mann nicht mehr, eine neue Stelle zu finden. Nachdem er zwei Jahre lang 75% seines letzten Lohnes über die Arbeitslosenversicherung bekommen hatte, wurde er ausgesteuert und Teil der Gruppe der über 200 000 ausgesteuerten Langzeitarbeitslosen, die von der Sozialhilfe leben müssen. Für seine vierköpfige Familie bekommt der Mann rund 2000 CHF (rund 1315 EUR) Grundbedarf pro Monat plus 1500 CHF (rund 985 EUR) für die Wohnungsmiete. Die lange Arbeitslosigkeit hat dem Mann psychisch stark zugesetzt, er musste sich in psychotherapeutische Behandlung begeben; diese kostet monatlich zusätzlich rund 1000 CHF (rund 655 EUR), die sich die Krankenkasse und die Sozialhilfe teilen.

      Der Fall dieses Mannes kostet die Allgemeinheit heute rund 4500 CHF (rund 2955 EUR) pro Monat; das ist bedeutend mehr als der Fehlbetrag von 1000 CHF (rund 655 EUR), der bei seinem Arbeitgeber bestand und zu seiner Kündigung führte. In den drei Jahren seit seiner Kündigung sind Kosten im Umfang von fast 180 000 CHF (rund 118 000 EUR) aufgelaufen. Wenn sich seine Frau von ihm trennt, müssen zwei Haushalte unterhalten werden, und die Kosten für die Sozialhilfe steigen nochmals kräftig an. Wenn wir davon ausgehen, dass der mittlerweile 54-jährige Mann wahrscheinlich keine Stelle im Ersten Arbeitsmarkt mehr findet, so wird allein die Sozialhilfe bis zu seinem Pensionsalter über 500000 CHF (rund 328000 EUR) kosten. Danach werden Zusatzleistungen zur Altersrente nötig sein, da die Rente und die verbliebene Pensionskasse für ein existenzsicherndes Einkommen im Alter nicht reichen werden. In diesem Beispiel sind keine negativen Nebenwirkungen auf die beiden Kinder einkalkuliert, die durch die Langzeitarbeitslosigkeit ihres Vaters und die damit verbundenen familiären Probleme auch mitbetroffen sind. Es ist zu erwarten, dass sie sich mit schulischen Schwierigkeiten auseinandersetzen müssen und dafür zusätzliche Unterstützung benötigen.

      Selbstverständlich lassen sich solche hypothetischen Fälle nicht genau rechnen, da die Realität immer wieder andere Voraussetzungen schafft. Dennoch zeigt sich deutlich, dass es die Gesellschaft teuer zu stehen kommt, wenn sie einen erheblichen Teil ihrer erwerbsfähigen Bevölkerung vom Arbeitsleben ausschließt und Arbeitslosigkeit nur verwaltet und für ihre finanzielle Abgeltung sorgt. Zudem ist es auch gesellschaftlich unfair, eine wachsende Gruppe von Menschen langfristig und dauerhaft von der Arbeit fernzuhalten und ihnen die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit immer wieder implizit oder explizit selbst zuzuschreiben.

      Partnerschaft zwischen Staat und Sozialunternehmern

      Angesichts der vielen anstehenden Probleme im Umfeld der Sockelarbeitslosigkeit stellt sich die Frage, wo die positiven Kräfte und Ideen für eine bessere Arbeitsintegration in Zukunft herkommen sollen.

      Arbeitsintegration ist heute eine rigide gesteuerte Angelegenheit, die wenig Freiraum für Neues lässt. Viele Institutionen sind seit mehreren Jahrzehnten im Bereich der Arbeitsintegration tätig; meist sind dies private Organisationen mit verwaltungsähnlichen Strukturen. Die Verzahnung zwischen den bezahlenden Stellen, wie beispielsweise der Kommune oder der Arbeitslosenkasse beziehungsweise dem Amt für Arbeit, und den Anbietern ist eng, und es besteht wenig unternehmerischer Handlungsspielraum für die Anbieter. Zahlreiche Anbieter verstehen es bestens, die heutigen Verhältnisse klug zu analysieren. Viele warnen auch vor den Folgen der aktuellen Entwicklung im Umgang mit der Arbeitslosigkeit. Den Problemanalysen folgen jedoch wenige Ideen, wie die Situation langfristig geändert werden könnte.

      Auch methodisch hat sich in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Arbeitsintegration nur wenig getan. Der Glaube an die Wirksamkeit von Weiterbildung und befristeter Beschäftigung als Mittel zur Reintegration von Arbeitslosen ist ungebrochen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Beschäftigungsmaßnahmen von den Betroffenen oft als nicht sehr sinnvoll erlebt werden und die Wirksamkeit derartiger Programme im Hinblick auf eine Reintegration in den Ersten Arbeitsmarkt auch unter Fachleuten umstritten ist.

      In allen staatlichen Weisungsunterlagen ist eine große Angst vor Wettbewerbsverzerrung zu spüren, da Arbeitsintegrationsmaßnahmen teil- oder vollsubventioniert sind. Diese Angst ist verständlich, und es ist sicher richtig, dass Arbeitsintegration auch in dieser Hinsicht zu besonderer Rücksicht verpflichtet ist. Noch gibt es erst wenige Ansätze zur Arbeitsintegration, die methodisch nahe an der Wirtschaft liegen. Es ist, als ob die Angst vor Wettbewerbsverzerrung das Denken in Richtung einer unternehmerischeren, stärker marktorientierten und betriebswirtschaftlich ausgerichteten Arbeitsintegration lähmen würde. Dabei gibt es durchaus erste erfolgversprechende Schritte in Richtung einer engeren Zusammenarbeit mit Privatunternehmen auch in Deutschland. Zahlreiche Firmen lassen beispielsweise Teilfertigungsschritte, die viel Handarbeit benötigen, durch Arbeitsintegrationsfirmen ausführen. Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung ist die aus den USA stammende Idee des »Supported Employment«, mit dessen Methode Behinderte direkt in den Ersten Arbeitsmarkt platziert und durch externe Coachs so unterstützt werden, dass sie ihre Arbeitsstelle dort auch tatsächlich behalten können.14 Eine europäische Studie, die in verschiedenen Ländern parallel durchgeführt wurde, zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Vermittelten auch nach einem Jahr ihre Stelle im Ersten Arbeitsmarkt noch halten konnten und Direktplatzierungen zudem deutlich billiger sind als institutionalisierte Beschäftigungsmaßnahmen.

      In Deutschland hat die Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit geschaffen, zusätzliche Arbeitsplätze in Betrieben für Langzeitarbeitslose und Leistungsbeeinträchtigte längerfristig zu subventionieren. Auch in der Schweiz kann der Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen mittels Lohnzuschüssen vereinfacht werden. Dennoch bleibt das Interesse der Wirtschaft an derartigen Anreizen in der Schweiz vergleichsweise gering. Es scheint ein Problem zu geben an der Schnittstelle zwischen Staat und Privaten. Viele Wirtschaftsunternehmen mussten sich im Zuge der Globalisierung verstärkt einem internationaleren Parkett zuwenden und konnten sich weniger auf lokale Probleme konzentrieren; doch allein kann der Staat die anstehende Aufgabe nicht bewältigen.

      Die finanziellen Anreize haben bislang wenig bewirken können, sie wurden von den Unternehmen eher als Druckmittel aufgefasst. Auch auf der Ebene der Arbeitnehmenden herrschte in den letzten Jahren ein deutlich verstärkter Druck. Der Bereich der Integration gehört zu den Zwangsmaßnahmen; dies kommt bei den Betroffenen jedoch nicht immer gut an. Beschäftigungsmaßnahmen werden zwar als Hilfe verstanden, die einem arbeitslosen Menschen Integration »angedeihen lassen«, damit ist aber durchaus auch ein Zwang verbunden. Während beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit wiederholt darauf hinweist, dass es kein Recht auf eine Integrationsmaßnahme gibt, besteht die Pflicht, eine solche anzunehmen, wenn sie verfügt wird; wer sie nicht annimmt, muss mit Unterhaltseinbußen rechnen. Die Situation ist paradox. Einerseits wird Druck gemacht für die Arbeitsintegrationsprogramme, andererseits fehlen genügend Möglichkeiten sinnvoller Arbeit für Arbeitslose.

      An diese unbefriedigend organisierte Schnittstelle zwischen Staat und Privaten treten in den

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