Patrick Hohmann - Der Bio-Baumwollpionier. Nicole Müller

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Patrick Hohmann - Der Bio-Baumwollpionier - Nicole Müller rüffer&rub visionär

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um politische, gesellschaftliche, wissenschaftliche oder spirituelle Visionen handelt – allen Autoren gemeinsam ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die Bereitschaft, sich mit aller Kraft dafür zu engagieren.

      So vielfältig ihre Themen und Aktivitäten auch sein mögen – ihr Handeln geschieht aus der tiefen Überzeugung, dass eine bessere Zukunft auf einem gesunden Planeten für alle möglich ist. Und: Wir sind davon überzeugt, dass jeder von uns durch eigenes Handeln ein Teil der Lösung werden kann.

       Patrick Hohmann und das weiße Gold

       »Es kann nicht sein, dass ein Bauer aus Indien mein T-Shirt subventioniert.«

      Ein Frühsommertag, es ist kalt und windig. Im Garten des Restaurants »Tisch + Bar«, in Riesch-Rotkreuz, haschen die Kellnerinnen nach den Speisekarten, die davonsegeln, während die Gäste mit dem Gewicht ihrer Hand die Servietten am Davonflattern hindern. Ein Kellner kniet am Boden und fegt die Scherben eines hinuntergefallenen Glases aus dem Kies. Patrick Hohmann will zahlen. Er beugt sich über das Kartenlesegerät, das ihm die Kellnerin entgegenschiebt, hält das Gerät mit beiden Händen umfangen. »Ich sehe ja nichts«, sagt er und lacht. Ein erster Tippversuch misslingt. Hohmann blickt auf und blinzelt hoch zum Gesicht der Kellnerin, geblendet vom Licht. »Ich kann nichts sehen«, sagt er und lacht noch immer, entzückt wie ein Kind, das mehrere Male hintereinander in eine Pfütze springt. Erneut beugt sich der groß gewachsene Mann über das Tippfeld, die Augen ganz nah am kleinen Bildschirm. »Jetzt hat es geklappt«, sagt er zufrieden und lehnt sich zurück. Nichts sehen und es doch nochmals versuchen. Hinausgehen ins Ungefähre, scheitern und einen weiteren Versuch unternehmen. Sich auf das Eigene konzentrieren, während die Welt davonfliegt. Es ist, als würde in dieser winzigen Szene im Kleinen sichtbar, was Patrick Hohmann als Unternehmer im Ganzen ausmacht.

      Patrick Hohmann ist ein Pionier der Bio-Baumwolle. Die Firma Remei, die er zusammen mit seiner Frau Elisabeth Hohmann Holdener und weiteren Freunden gegründet hat, ist der größte Anbieter von Bio-Baumwolle weltweit. Die zertifizierte bioRe® Baumwolle und die bioRe® Textilien, die aus ihr hergestellt werden, genügen fünf Kriterien: Sie basieren auf biologischem Anbau, sind fair produziert, CO2-neutral, ökologisch und hautfreundlich. Darüber hinaus herrscht volle Transparenz über die gesamte Produktionskette. Konsumentinnen und Konsumenten können jeden einzelnen Zuarbeiter digital überprüfen, die ganze Linie zurück bis zum Bauern, der die Baumwolle ausgesät, großgezogen und geerntet hat.

      Patrick Hohmann betrachtet das Geschäftsmodell, das er entwickelt hat, als Folge reiner Logik. Für den studierten Textilingenieur ist es selbstverständlich, dass man die Natur nicht mutwillig zerstört, wo sie doch die Lebensgrundlage aller Menschen ist, ganz gleich, auf welchem Kontinent sie leben. Auf Vernunft gründet für ihn auch ein Gemeinwesen, das in der Balance ist. Die ungleiche Behandlung von Menschen und die Tatsache, dass die Globalisierung den Armen ein asymmetrisches Risiko aufbürdet: Alles unlogisch. »Es kann doch nicht sein, dass ein indischer Bauer mein T-Shirt subventioniert«, so Hohmann.

      Bis in die 1990er-Jahre hinein war Patrick Hohmann ein Garn- und Baumwollhändler wie andere auch. Eines Tages jedoch kommt Hohmann mit einem indischen Baumwollbauern ins Gespräch: »Ich wollte wissen, wie viel er verdient. Rund 1 Dollar pro Kilogramm. Und wie viel er davon in Chemie investiere: 70 Cents. Weil der Einsatz der Pestizide vom Staat zu 50% subventioniert ist, gehen gleichzeitig nochmals 70 Cents an die Chemie. Für wen arbeitet der Bauer also? Er hat keine Beziehung zum Händler oder zum Kunden, produziert ins Leere und verschuldet sich dabei erst noch.« Die betriebswirtschaftliche Absurdität geht Hohmann nicht mehr aus dem Kopf. Wie kann es sein, dass ein Produkt, das mehr als 1,40 Dollar Aufwand erzeugt, nur einen Dollar einbringt? Und wie kommt es, dass die Menschen in der Landwirtschaft kaum etwas verdienen, während am anderen Ende der Produktionskette, beim Geschäft mit der fertigen Kleidung, die Gewinne nur so sprudeln?

      Um das Singuläre an der Lebensleistung von Patrick Hohmann zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, wie weit Baumwolle in die Gesellschaft hineinreicht. Wer sich einmal im Alltag umschaut, wird verblüfft sein, wie präsent dieser Stoff überall ist. Wir tragen T-Shirts, Blusen und Hemden. Wir schlüpfen in Jeans, streifen Baumwollsocken über. Babys liegen auf Baumwolltüchern und halten ihr baumwollenes Nuckeltüchlein in der kleinen Faust. In den Restaurants liegt makelloser Damast auf den Tischen. Wir schlafen unter Decken mit Baumwollbezügen, ziehen Vorhänge zu, alles aus 100% Cotton. Abgesehen von diesen für alle sichtbaren Textilien versteckt sich die Baumwolle aber auch in Dingen, die überraschen. So etwa in Geldscheinen oder in der Umhüllung von Kaffepads. Selbst das, was unter dem Label »Speiseöl« verkauft wird, ist oft nichts weiter als Öl aus den Baumwollsamen.

      In einer umfassenden, spannend zu lesenden Studie mit dem Titel »King Cotton« hat der deutsche Historiker Sven Beckert, Professor an der renommierten Harvard University, der Baumwolle ein Denkmal gesetzt. Er weist nach, dass die industrielle Revolution von der Baumwolle entfacht wurde und Europa immensen Reichtum bescherte. Bis 1760 kleideten sich die meisten Menschen in Europa in Leinen und Wolle, in höheren Ständen vielleicht noch in Seide. Diese Stoffe kratzten, waren schwer zu waschen und ließen sich nur mit Mühe färben. Die Welt unserer Ahnen war – abgesehen von den bunten Kirchen und den schön bemalten Herrenhäusern – farblos, und sie roch ziemlich streng. Mit dem Aufkommen der Baumwolle änderte sich dies fundamental.

      Beckert weist in seinen Forschungen nach, dass die Globalisierung, wie wir sie kennen, von der Baumwolle initiiert, angeschoben und zur Blüte gebracht wurde. Die tiefe Kluft, die heute den globalen Norden vom globalen Süden trennt, hat im Wesentlichen mit der Baumwollindustrie des 19. Jahrhunderts zu tun. Anders als andere Rohstoffe wie etwa Reis oder Tabak kennt die Baumwolle zwei intensive Phasen: jene auf dem Feld und jene in den Fabriken. Baumwolle muss entkernt und zu Ballen gepresst werden, ihre Fasern müssen zu Garn versponnen werden. Das Garn muss zu Stoff verwoben, gewirkt oder gestrickt werden, je nachdem, ob daraus ein Jersey-Spannlaken oder ein leichter Sommerpullover entstehen soll. Und schließlich müssen die Stoffe gefärbt und konfektioniert werden.

      Es war nicht allein die Erfindungsgabe der technisch versierten Europäer und Amerikaner, nicht allein ihr Geist der Aufklärung, die Manchester, das elsässische Mulhouse oder Lowell in Massachussetts zu Zentren der Weltwirtschaft werden ließen. Es war vielmehr das, was Beckert »Kriegskapitalismus« nennt: die mit Gewalt vorgenommene Enteignung von Land und die Versklavung von Menschen in Asien, Afrika und den beiden Amerikas. Erst der Kriegskapitalismus brachte die Teilung in einen agrarisch geprägten Teil der Welt und in einen produzierenden Teil der Welt hervor. Es war die Baumwollindustrie, die ganz entfernte Gegenden miteinander verknüpfte und zu Schicksalsgemeinschaften verschweißte. »Die Baumwolle [ist] ein Schlüssel zum Verständnis der modernen Welt, der großen Ungleichheiten, die sie charakterisieren, der langen Geschichte der Globalisierung und der sich ständig wandelnden Ökonomie des Kapitalismus«,1 so Historiker Beckert.

      Während Jahrhunderten bauten die indischen Bäuerinnen und Bauern Baumwolle zum Eigengebrauch an. Die Stoffe, die sie am Handwebstuhl webten, waren für sie selbst bestimmt, allenfalls noch zur Abgabe an die lokalen Herrscher. Nach der industriellen Revolution, d.h. nach dem Aufkommen des Maschinenzeitalters an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, wurden die indischen Märkte mit billigen, maschinell hergestellten Baumwollstoffen aus Europa, hauptsächlich aus England, geflutet. Damit waren die Entwicklungsmöglichkeiten der indischen Wirtschaft gekappt, die Bauern wurden gewaltsam in die Arbeit auf dem Feld gezwungen. Es ist kein Zufall, dass Mahatma Ghandi den handgewobenen Khadi-Baumwollstoff zum Symbol des gewaltfreien Widerstandes gegen die Briten machte. Voller Stolz trug er das traditionelle, handgewobene Beinkleid namens Dhoti und forderte seine Landsleute auf, einheimische Stoffe zu tragen. Damit zeigte er den Inderinnen und Indern einen Weg auf, die Einwilligung in die eigene Unterdrückung zu verweigern. Ghandis gewaltloser Widerstand war erfolgreich: Bis heute ziert das Spinnrad die indische Flagge.

      Als

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