Knall 2. Harald Kiwull

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Knall 2 - Harald Kiwull Lindemanns

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um halb zwölf“, teilte ich den Anwesenden mit, die sich unter lautem Gemurmel erhoben.

      Mit den Schöffen ging ich durch die Tür hinter dem Richtertisch in das Beratungszimmer. Während ich meine Robe auszog, waren mir der Präsident, Haken und der weitere Herr gefolgt.

      „Gehen wir in mein Büro“, sprach mich der Präsident an und öffnete die Tür zum Flur. Durch Gruppen der aufgeregt miteinander sprechenden Zuhörer, die aus dem Sitzungssaal strömten, vorbei an den immer noch erstaunt blickenden Verteidigern, folgte ich dem Präsidenten in das hohe Treppenhaus und hinauf in das obere Stockwerk. An den Wänden hingen großformatige, sehr farbige Arbeiten der aktuellen Ausstellung unseres Kunstvereins „Kunst im Landgericht“ mit Künstlern aus der Pfalz. Grafit, Pigment, Leinöl auf Papier schoss es mir im Vorbeigehen durch den Kopf. Mehrere Kollegen, die uns entgegen kamen, blieben stehen und sahen verblüfft der eiligen Gruppe nach. Mein Freund Johannes, der Vorsitzende des Schwurgerichtes, trat mir in den Weg und wollte mich ansprechen.

      „Nicht jetzt, Herr Anglerter!“, herrschte Kupfer ihn an und schob den Kollegen zur Seite. Verdattert blickte Johannes uns hinterher.

      Anita Steinert, die Vorzimmerdame des Präsidenten, zu der ich ein herzliches Verhältnis habe, blickte mich beim Eintreten nicht an, sondern vielmehr verlegen auf die Papiere auf ihrem Schreibtisch.

      Langsam wurde mir etwas mulmig zumute. Vor allem, weil ich keine Ahnung hatte, was eigentlich vorging. Ich kannte Kupfer gut genug um zu wissen, dass er für eine derartige Aktion triftige Gründe haben musste. Ich merkte, dass ich ziemlich nervös wurde.

      Nachdem wir sein Büro betreten hatten, schloss er die Tür

       zum Vorzimmer und drehte sich zu mir um.

      „Heiko Nielsen von der Mordkommission Stade“, stellte er den unbekannten Herrn vor und zu diesem gewandt: „Das ist Dr. Maximilian Knall.“

      Verblüfft schaute ich erst den Präsidenten und dann Nielsen an. „Mordkommission Stade? Was soll das denn?“, fragte ich und reichte ihm die Hand. Nielsen hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, schütteres blondes Haar und stechende Augen hinter einer leicht getönten Brille. Er nahm meine Hand mit einem festen Händedruck.

      „Nehmen Sie Platz, Knall“, forderte Kupfer mich auf, fügte nach einem Augenblick hinzu: „Meine Herren“, wies auf die gegenüberliegenden Stühle und nahm in seinem ledernen Schreibtischsessel hinter dem großen Arbeitstisch zwischen den Fenstern Platz. Wir setzten uns um einen runden Beratungstisch aus dunklem Holz.

      „Herr Nielsen möchte Ihnen einige Fragen stellen“, begann der Präsident. „Er ist extra aus Stade hierhergekommen.“

      Vor Verblüffung sprachlos starrte ich erst Kupfer und dann

       Nielsen an. Schließlich wandte ich mich an Haken, mit dem ich ja fast befreundet war: „Können Sie mir sagen, was der Unsinn soll?“

      Haken blickte mich wortlos, etwas bedrückt an. Einen Augenblick schwiegen alle.

      „Wo waren Sie am letzten Wochenende ab Freitag?“, unterbrach Nielsen die Stille.

      „Also, jetzt reicht es mir aber“, brachte ich hervor und stand auf.

      „Bitte beruhigen Sie sich“, versuchte Kupfer, mich zu besänftigen, stand ebenfalls auf und kam um den Schreibtisch herum. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, blickte in meine Augen und flüsterte: „Seien Sie kooperativ. Das Ganze ist peinlich genug.“

      „Na gut“, sprach ich Nielsen an und setzte mich wieder. „Ich bin bereit, Ihnen zu antworten. Aber dann möchte ich eine Erklärung für das ganze Theater hören.“ Er nickte mir zu.

      „Ich bin am Donnerstagabend mit dem Zug nach Hamburg gefahren, dann weiter nach Stade, war dort bis Samstag und dann noch eine Nacht in Hamburg. So, jetzt zufrieden?“, sagte ich zu Nielsen.

      „Und in Stade haben Sie im Hotel am Burggraben gewohnt. Das haben wir überprüft“, erwiderte er.

      Ich sah ihn verblüfft an. „Ja, das stimmt. Also, jetzt ist es wirklich genug! Was soll der Quatsch?“

      Nielsen blickte mich mit seinen hellen Augen durchdringend an. Einen Augenblick schwieg er. „An dem Tag, an dem Sie in Stade waren, wurde eine Sparkasse überfallen und ausgeraubt.“ Er zögerte, blickte einen Augenblick zu Boden und versuchte, sich zusammenzunehmen. „Bei diesem Überfall wurde ein Polizist in Zivil, der zufällig in die Sparkasse kam, angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Felix Tobaben. Er liegt seit Freitagabend in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf im künstlichen Koma.“

      Entsetzt blickte ich erst ihn und dann den Präsidenten an. „Das ist ja furchtbar. Schrecklich.“ Ich überlegte einen Augenblick. „Aber was hat das mit mir zu tun? Für mich war das ein ganz normaler Kurzzeitaufenthalt. Von einem Überfall habe ich nichts mitbekommen. Wann war denn genau der Überfall?“

      Niemand antwortete mir.

      „Mensch!“, ich blickte zu Haken. „Was soll das Ganze?“

      Alle drei sahen mich weiter an, ohne etwas zu sagen. Nach einer Weile unterbrach ich die Stille. „Was ist? Was gibt es noch? Warum sagen Sie nichts?“

      „Leider ist das noch nicht alles“, wandte Kupfer sich mir zu.

      Erschrocken sah ich ihn an. „Was denn noch? Das reicht doch schon.“

      Nielsen drehte sich zu mir herum: „Haben Sie eine Schusswaffe?“

      Jetzt verschlug es mir aber wirklich die Sprache. Ich war fassungslos. „Schusswaffe?“ Ich konnte nicht weitersprechen. „Schusswaffe? Wieso wollen Sie denn das von mir wissen?“

      Nielsen antwortete nicht, musterte mich nur schweigend.

      Nach einer Weile fasste ich mich und drehte mich zum Präsidenten. „Sie wissen doch ganz genau, dass ich mir eine Pistole gekauft habe. Sie haben es mir damals empfohlen. Was hat denn das damit, mit dem Überfall zu tun?“

      Ich hatte mir tatsächlich vor Monaten eine Pistole, eine Walther PPK, angeschafft. Kupfer hatte mir nach dem Überfall auf mich dazu geraten. Ich lehnte zunächst ab, weil ich keine Angst hatte und das Ganze für einen Irrtum hielt. Ich konnte nicht glauben, dass mir ernsthaft jemand schaden wollte und ich mich schützen musste. Auch als das Geschehen sich weiter zuspitzte, behielt ich dieses Selbstvertrauen, dass mir letztlich nichts passieren werde. Vielleicht war es schon so, dass die ländliche Kindheit mit der lässigen Mutter mir ein massives Urvertrauen verschafft hatte, das mir half, alles unbeschadet zu überstehen.

      So dachte ich zunächst. Aber merkwürdigerweise änderte sich das Wochen später, in der Entspannungsphase. Zu den nächtlichen Albträumen und den Schlafstörungen kam auch eine allgemeine Unsicherheit, ein unmotiviertes Bedrohungsgefühl. Niemand wollte etwas von mir. Die Ganoven waren hinter Schloss und Riegel. Trotzdem, mein Selbstvertrauen war angeknackst. Immer wieder war ich ohne Grund unruhig, ab und zu überfielen mich Schwitzattacken. Mir war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Etwas musste geschehen.

      Mir fiel mein Freund und Kollege Georg aus Bremen ein, der mich in mein spanisches Abenteuer begleitet hatte. Er erzählte mir damals, dass ihm nach einem fürchterlichen Erlebnis eine Therapeutin sehr geholfen habe. Als ich ihn anrief und ihm erzählte wie ich mich fühlte, war er in großer Sorge um mich. In der kurzen Zeit, die wir uns kannten, war ein ungewöhnlich herzliches, freundschaftliches Verhältnis

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