Knall 2. Harald Kiwull

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Knall 2 - Harald Kiwull Lindemanns

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und ihn anschließend mit einem rustikalen Polster versehen. Ein Sessel für mich, für meine 1-Meter-96.

      Eine Depressionsphase war damals die Veranlassung dazu gewesen. Deren Ursachen hatte ich längst vergessen, aber das Produkt existierte und, so wie es gebaut war, auch noch Jahrzehnte.

      Damals hatte ich mir überlegt, dass ein Mann neben den Dingen, die man gewöhnlich etwa aufzählt, dass er sie im Leben machen müsse: Kind zeugen, Baum pflanzen und so weiter, auch einen Sessel aus Holz für sich selbst bauen sollte.

      Ich kann mich jedenfalls daran erinnern, dass mir die Arbeit mit dem Holz unheimlich wohl tat. Die Konstruktion insgesamt und die Überlegungen zur Gestaltung des Winkels zwischen Rückenlehne und Kopflehne, deren Ausführung. Die Depression löste sich immer mehr auf. Und als der Sessel schließlich fertig, massiv und doch elegant mit seinen abgeschliffenen Kanten vor mir stand, war sie ganz verschwunden.

      Mir war natürlich klar, dass diese Arbeit mich vielleicht nur deswegen so beeindruckte, weil sie etwas ganz anderes war als das kopfgesteuerte Schreiben von Urteilen, und dass ich auch alles Mögliche andere hätte herstellen können. Aber der Sessel begleitete mich seitdem als äußerst erfreulicher Teil meines täglichen Lebens und prächtiges Erfolgserlebnis, immer wieder verbunden mit wunderbaren Entspannungsphasen, und er vermochte, so auch jetzt, mich zur Ruhe zu bringen.

      Einige Zeit hatte ich ihn in mein Büro ins Gericht gestellt und darin mittags ab und zu eine kurze Siesta verbracht, mit dem Arm auf der Lehne und meinen Schlüsseln in der Hand, die, wenn ich einnickte, zu Boden fielen und mich aufweckten. Kranich mit dem Stein sozusagen. Dieses alte Symbol der Wachsamkeit in vielen Kulturen.

      Ich lehnte den Kopf zurück in das Polster, schloss die Augen und versuchte, mich zu konzentrieren. Ich war doch schon mit den schwierigsten und überraschendsten Situationen in Strafverhandlungen fertig geworden. Es müsste doch möglich sein, einen Sinn, eine Erklärung in das Ganze zu bringen. Ich ließ noch einmal den Ablauf der Ereignisse, alles, was ich gehört hatte, vor meinem inneren Auge vorbeiziehen.

      Ganz und gar unerklärlich, äußerst erschreckend waren die Geschehnisse in Stade. Und außerdem geradezu bestürzend, weil ich doch gerade dort war, als es passierte. Und zwar auf Grund eines spontanen Entschlusses. An den Einsatz der Pistole wagte ich dabei gar nicht zu denken. Hier stieß ich bei meinen Überlegungen an eine Wand. Diesen Teil der Ereignisse versuchte ich wegzuschieben. Daran durfte ich jetzt nicht denken.

      Eher müsste es doch möglich sein, das Rätsel zu lösen, wie jemand es geschafft hatte, meine Schlüssel zu entwenden. Hätte ich den Täter, könnte ich damit das Problem lösen und vielleicht meinen Kopf aus der Schlinge ziehen.

      Bildhaft gesprochen könnten die Schlüssel in meinem Schreibtisch auch gleichzeitig der Schlüssel zur Lösung des Falles sein.

      Mein Büro wurde natürlich bei meiner Abwesenheit, auch während der Strafsitzungen, immer von mir abgeschlossen. Mit dem allgemeinen Schlüssel, über den die Kollegen, die Geschäftsstellen, praktisch jeder im Landgericht verfügte. Während meiner Arbeitszeit war die Bürotür normalerweise offen, auch wenn ich im Haus herumlief, um etwas zu erledigen.

      Mein Inneres sträubte sich dagegen, dass irgendjemand aus dem Gericht mit der Sache zu tun haben könnte. Na klar, auch ein Besucher hätte theoretisch die Möglichkeit, bei meiner Abwesenheit kurzfristig im Büro zu verschwinden, ein Rechtsanwalt, ein Beteiligter an einer Verhandlung. Der Personenkreis war nahezu unüberschaubar. Und außerdem kam ich doch damit der Lösung des Rätsels kein bisschen näher, denn derjenige müsste noch dazu an das Pappkästchen mit den Schlüsseln herankommen. Und das hatte ich selbst ja erst gefunden, nachdem ich in allen Schubladen nachgesehen hatte. Außerdem müsste die Person wissen, dass dort Schlüssel für Haus und Safe aufbewahrt werden.

      Ich merkte, wie langsam eine kalte Wut in mir hochstieg. Meine Hände krampften sich um die Armlehnen. Irgendjemand führte mich hier gewaltig an der Nase herum, hatte es massiv auf mich abgesehen. Ja, man wollte mir sogar einen Mord, beziehungsweise Mordversuch in die Schuhe schieben. Und zwar eine Person aus meinem Umfeld. Jemand, den ich wahrscheinlich kannte, dem ich möglicherweise oft in die Augen gesehen hatte. Dieser Jemand musste mich grenzenlos hassen.

      Der Gedanke erschütterte mich. Das passte eigentlich nicht in meine heile Welt. Wobei, so ganz heil war sie nicht. Denn meine Strafverhandlungen führten mich doch immer wieder in menschliche Abgründe. Unglaubliche, auch äußerst brutale Konflikte, in die ich eintauchen musste. Jetzt hatte es mich selbst und ganz ungeheuerlich getroffen.

      Ich merkte, wie meine innere Widerstandskraft wuchs. Nein, ich würde mich der Situation nicht kampflos beugen. Nielsens Reaktion gab mir zu denken. Sicher, die Polizei würde ihre Arbeit machen, aber ich würde dem nicht tatenlos zusehen. Es handelte sich um mein Schicksal. Ich würde kämpfen.

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