Die Gentlemen-Räuber. Marianne Paschkewitz-Kloss
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Telefon. Der Ermittlungschef stehe ihr am nächsten Morgen zur Verfügung, lautete seine „gute Nachricht“.
Irgendwie hatte sie ihn sich anders vorgestellt. Dennoch, sein Äußeres passte zu seiner Stimme. Sie schätzte ihn auf Mitte 30. Könnte dein Sohn sein, dachte Wiebke, als er ihr sportlich lässig in der Eingangshalle des Präsidiums entgegenkam. Er trug einen modischen blauen Anzug mit Krawatte, sein frecher Haarschnitt war sorgfältig mit Gel in Form gezupft. Der psychologische Effekt ihres Alters und wohl auch ihrer Größe blieb nicht aus. Fast schüchtern bat ein wesentlich kleinerer Schmittke darum, ihm zu folgen. Ohne sich auch nur einmal zu vergewissern, ob sie Schritt halten konnte, eilte er durch die alte Sandsteinburg, deren Stilmix Wiebke auch im Schnelldurchgang wieder beeindruckte. Ein Sakralbau des späten Historismus, wie aus der Zeit gefallen. Nichts hatte sich verändert, seitdem sie hier ein- und ausgegangen war. Vielleicht der Dresscode, denn niemals war Wiebke ein derart gestylter Pressereferent unter diesem Dach begegnet.
Kriminalhauptkommissar Erol Stabhäuser wartete bereits am Konferenztisch eines spärlich eingerichteten Besprechungszimmers. Ein Bär mit graumeliertem, fast drahtartigem, kurzem Haar im verwaschenen Polohemd. Er bat Wiebke, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Schmittke setzte sich neben den Kommissar. An der Seite des Riesen schrumpfte er zu einem Zwerg.
„Sie möchten also die ganze Raubserie der Gentlemen-Räuber in einem Artikel aufarbeiten“, konstatierte Stabhäuser emotionslos und fixierte Wiebke über seine tiefgesetzte, randlose Lesebrille.
„Da benötigen Sie aber eine ganze Zeitungsseite“, kicherte Schmittke und sah auf seinen Stahlchronometer.
„In der Tat möchten wir den Fallkomplex als solchen einmal beleuchten“, bestätigte Wiebke, ohne darauf einzugehen.
„Wir haben eine Liste aller Überfälle für Sie vorbereitet“, tat Schmittke wichtig und schob ihr drei dicht beschriebene Din-A4-Seiten über die graue Tischplatte, „und hier“, er zog eine CD-Rom aus seiner Sakkotasche, „Täterfotos und Phantombilder.“
„Vielen Dank.“ Wiebke überflog die chronologisch aufgestellte Liste. Überfall eins bis 20 im Zeitraum 1995 bis 2010 ...
„Also, Frau Wolant, ich denke, dass ich bei der weiteren Aufarbeitung nicht mehr benötigt werde“, verabschiedete sich Schmittke und raunte Stabhäuser zu: „Wir sehen uns in der Kantine.“
Während Wiebke die übrigen Seiten flüchtig querlas, zupfte Stabhäuser an einer Metallecke des dicken, schwarzen Ordners, der vor ihm lag. Klack, klack, klack ...
„Wieso ist die Raubserie eigentlich nicht beim Landeskriminalamt angesiedelt?“, fragte sie unvermittelt. „Der Aktionsradius der Täter ist doch eindeutig überregional. Weite Teile Nordbadens, der Süd- und Vorderpfalz sind betroffen.“
„Da müssen Sie schon das LKA fragen“, antwortete Stabhäuser ungerührt.
Die Frage, ob die Raubserie schon immer von der Karlsruher Kripo bearbeitet worden sei, verneinte er. „Mal ermittelten auch die Kollegen in Heidelberg oder in Mannheim und Ludwigshafen. Seit 2008 haben wir den Fall wieder auf dem Tisch.“
„Wie hoch ist denn die bisherige Gesamtschadenssumme? Die offiziellen Zahlen scheinen wenig realistisch zu sein. Auch beim letzten Überfall war nur von einigen Tausend Euro die Rede.“
Stabhäuser schaute verdutzt. „Ich kann Ihnen keine anderen Zahlen nennen.“
„Können oder wollen Sie keine anderen Zahlen nennen?“
„Können wir es dabei belassen?“
„Eigentlich nicht. In Anbetracht der Dimension der Bankraubserie sollte der Tatbestand nicht länger verniedlicht werden. Aus welchem Grund?“ Wiebke sah ihn herausfordernd an.
Stabhäuser schwieg und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Draußen, vom Flur, waren Schritte zu hören, von Weitem hallte Gelächter.
Wiebke wiederholte: „Wie hoch ist der Schaden, den die Gentlemen-Räuber bislang verursacht haben?“
„Ich kann Ihnen dazu keine Angaben machen.“ Stabhäuser starrte auf die Tischplatte. „Die Banken haben es nicht gern, wenn wir konkrete Summen nennen“, brummte er.
„Insgesamt sechsstellig? Siebenstellig?“
„Zweites“, murrte Stabhäuser unwillig.
„Niedrig oder hoch siebenstellig?“ Wiebke wurde energisch.
„Herrgott! 1,9 Millionen.“
Wiebke verzog keine Miene und notierte die Summe. Ihr war klar, dass sie den Ermittlungschef soeben in einen Konflikt gestürzt hatte. Aber: War er den Banken verpflichtet? Natürlich ging es vordergründig immer um die Verhinderung von Nachahmungstätern. Sie wollte das Argument auch nicht von der Hand weisen. Nur in diesem Fall wog das Ausmaß der strafbaren Handlungen in ihren Augen schwerer.
Als Wiebke aufblickte, hatte Stabhäuser demonstrativ die Arme verschränkt. Sie interpretierte es als Warnung: Bis hierher und nicht weiter. Instinktiv steuerte sie um und dachte: Lass ihn was erzählen, gib ihm die Oberhand. Frag ihn, wie er das Täterpaar nach Stand der Ermittlungen charakterisieren würde. Vielleicht hatten sie ja einen Profiler hinzugezogen.
Darauf ging Stabhäuser ein: „Wenn man das Puzzle unserer Ermittlungsarbeit betrachtet, verdichten sich viele Teilchen zu einem Indiz. Danach vermuten wir, dass unsere Täter unter Umständen gar nicht von der Beute leben und deshalb auch nicht im kleinkriminellen Milieu zu suchen sind.“
„Nicht von der Beute leben? Wie ist das zu verstehen?“
Stabhäuser nahm seine Brille ab und legte sie auf den Aktenordner. Er sah Wiebke bedeutungsvoll an. „Ganz einfach, Frau Wolant: Wenn Sie 1,9 Millionen durch 15 Jahre teilen, dann kommen sie auf ein Jahreseinkommen von etwa 126.000. Für ein Familieneinkommen ist das wahrlich nicht schlecht. Je nach Anspruch aber auch nicht zu üppig. Wenn Sie einen gehobenen Lebensstil pflegen, zu dem ein schönes Haus, schicke Autos, gutes Essen und mehrere Urlaubsreisen im Jahr gehören – die Täter sind wohlbemerkt immer braungebrannt –, dann ist das sehr am Anschlag. Das schreiben Sie aber bitte nicht, das ist nur unter der Hand.“
Warum hat er dann nicht einfach die Klappe gehalten?, regte sich Wiebke auf. Unter den Tisch fallenlassen kam gar nicht in Frage. „Dann müssen wir zu einer Sprachregelung finden“, forderte sie. „Geben Sie mir bitte ein zitierfähiges Profil.“
Stabhäuser stierte zur Decke und feilte allem Anschein nach an einer passenden Formulierung. Er klopfte auf den Tisch. „Sagen wir mal so: Die Profile der beiden passen eher auf gutbürgerliche, sozial angepasste Personen, vielleicht sogar selbstständige Leute, die netten Nachbarn von nebenan.“
Da das Gespräch nun in ruhigen Fahrwassern verlief, richtete Wiebke ihr Interesse auf Fahndungshinweise aus der Bevölkerung. Über die Jahre war eine Fülle aufgezeichneter Bilder der Banküberfälle veröffentlicht worden. Zunächst bestätigte Stabhäuser, dass es darauf jede Menge Hinweise gegeben habe.
„Und tatsächlich keine heiße Spur darunter?“
Das Donnerwetter kam aus heiterem Himmel. „Ja, schauen Sie sich das Fotomaterial doch mal an!“, dröhnte er. Wie Sie sehen,