Die Gentlemen-Räuber. Marianne Paschkewitz-Kloss

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Die Gentlemen-Räuber - Marianne Paschkewitz-Kloss Lindemanns

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Hast du Heimweh?“ Dana schien irritiert. Butch lachte auf. „So war das nicht gemeint! Ich rede von einer lukrativen Adresse. Ist noch nicht allzu lange her, dass wir dort einen Besuch abgestattet haben.“

      „Wenn du meinst.“ Es klang ergeben.

      „Ja, ich meine“, betonte er. „Und wenn’s dich beruhigt: Es gibt dort kein Kellergeschoss. Alles ebenerdig. Wir müssen uns also auch nicht trennen.“ Butch wandte sich zu Dana. „Ist das ein Angebot?“

      Dana drehte am Strasssteinchen ihres rechten Ohrsteckers und schaute versonnen auf den Moldau-Stausee, den sie das Meer nannte und in dessen stahlblauer Unendlichkeit sich heute unzählige Segelboote verloren.

      Sie näherten sich einem dunklen Fichtenwald, der fast bis ans Ufer reichte. Butch bog in einen Waldweg ab. Bald würden sie den versteckten Grenzübergang erreicht haben. Aber war das überhaupt noch von Relevanz? Die Grenze war schließlich offen.

      „Welche Uhrzeit hast du geplant?“ Dana versuchte, den Faden wiederzufinden.

      „High Noon.“

      Auch kein schlechter Western, dachte Butch, aber nicht annähernd so gut wie Butch Cassidy und Sundance Kid.

      Karlsruhe, 13. Juli 2010

      Vielleicht ist es ja einfacher, eine Bank zu überfallen, als in meinem Alter noch einmal eine Existenz aufbauen zu wollen.

      Nur in Momenten größter Selbstzweifel war Wiebke imstande, derlei Gedanken zu entwickeln. Für gewöhnlich neigte sie nicht zu Sarkasmus. Trotzdem entdeckte sie diese unangenehme Eigenschaft zunehmend an sich. Sie schrieb es ihrer Ungeduld zu. Warum auch, zum Teufel, wollte dieses Telefon einfach nicht klingeln? Unablässig trug sie es bei sich, als wäre es angewachsen. Seit zwei Wochen richteten ihre Ohren sich permanent auf das schwarze, rechteckige Ding, aber es schwieg. Am liebsten hätte sie es gegen die Wand gepfeffert. Würde es auch nur ein einziges Mal ertönen, wüsste sie, dass sie irgendjemand wahrgenommen hatte, da draußen in der ihr fremd gewordenen Welt der Redakteure.

      Nervös blies sie den Rauch ihrer Zigarette über die betonierte Balkonbrüstung. Unter ihr lag die Stadt im sommerlichen Morgendunst, am Horizont zeichnete sich die Schwarzwaldsilhouette blass ab. Am Abend zuvor hatte sie das Panorama noch in bestechender Klarheit bewundert und erst danach ihr neues Ein-Zimmer-Appartement mit separater Küche, Tageslichtbad und kleiner Diele im zwölften Stock detailliert in Augenschein genommen. Bis dahin hatte sie es nur von Ablichtungen und einer ausführlichen Beschreibung des Vermieters in einem Internetportal gekannt. Die Anmietung war ihr mit erstaunlich wenig Aufwand gelungen, andererseits fand sie ihre Vorgehensweise äußerst gewagt. Nach der Besichtigung hatte sie deshalb erst einmal erleichtert aufgeatmet. An die Höhe allerdings musste sie sich trotz des gigantischen Ausblicks noch gewöhnen.

      Sie musterte die Umgebung zu ihren Füßen. Vom hübsch bepflanzten Innenhof des Häuserquartiers unter ihr schweifte ihr Blick über die weitläufige Stadt. Irgendwo da unten, mutmaßte sie, hielten sich all diese Personalleiter versteckt, von denen sie einen Anruf, wenn möglich eine Zusage, ersehnte. Dabei hatte sie bis gestern noch von einer Punktlandung in Karlsruhe geträumt. Ankommen und losarbeiten, so hatte sie es sich in ihrem grenzenlosen Vertrauen auf ihre Heimatstadt ausgemalt, als sie ihre Bewerbungen vor drei Wochen von Hamburg aus losgeschickt hatte. Karlsruhe schien ihr der sichere Hafen, in den zu retten es sich lohnte. Die Stadt war ihr in allen Facetten vertraut und als Residenz des Rechts der optimale Wirkungskreis für eine Polizei- und Gerichtsreporterin. Nach 20 Jahren wieder hier zu leben, gliche einem Déjà-vu, stellte sie sich vor. Jetzt, im Morgenlicht, sah sie ihre Felle davonschwimmen. Vermutlich traf zu, was sie allen Adressaten inzwischen insgeheim unterstellte: Sie war ihnen zu alt.

      Wiebkes Fantasie spielte verrückt. Immer tiefer verstrickte sie sich in ihren Argwohn. Was, wenn sie ihr überhaupt nicht antworten durften, überzeichnete sie, wenn in den Büros der Ressortchefs Piktogramme, Verbots- oder Tabuschilder aufgestellt waren, auf denen ein silberhaariges Strichmännchen oder -weibchen mit einem dicken roten Querbalken abgebildet war? Neue Mitarbeiter ab 55 nicht erlaubt!

      Sie schalt sich selbst, weiße Mäuse zu sehen. Wie kam sie dazu, ihren potentiellen Arbeitgebern eine derartige Albernheit anzudichten? Altersdiskriminierung bei Medien, deren vordringlichste Aufgabe es war, kritische Aufklärer zu sein? Würde dadurch nicht jeder Artikel, der gegen die Altersproblematik auf dem Arbeitsmarkt anschrieb, ad absurdum geführt, journalistischer Berufsethos nicht sogar in den Grundfesten erschüttert? Andererseits, so führte sie entschuldigend ins Feld, hatte sie das Leben gelehrt, dass es nichts gab, was es nicht gab.

      Sie drückte die heruntergebrannte Zigarette in ihren runden, aufklappbaren Taschenaschenbecher, wischte eine Ascheflocke vom Emaildeckel, den ein Bar-Motiv aus den Fünfzigerjahren zierte, und ging durch den hellen Wohn- und Schlafraum zurück in die Küche. Die provisorische Schlafstätte auf dem Fußboden und den Wust unausgepackter Kartons übersah sie geflissentlich.

      Auf der kurzen Esstheke, die in den schmalen Schlauch ihrer hochglänzenden, weißen Einbauküche hineinragte, lag ein Stapel Zeitungen, den sie in Allerherrgottsfrühe an einem

       Kiosk in der Nähe des Rathauses besorgt hatte. Den Weg dorthin schaffte sie zu Fuß in weniger als fünf Minuten. Sie wohnte zentral an der vierspurig ausgebauten Kriegsstraße, der wichtigsten Ost-West-Achse der Stadt. Über eine Fußgängerbrücke konnte sie diese problemlos überqueren.

      Wiebke rutschte auf das lederne Polster des Barhockers. Unwillkürlich fuhr sie sich mit der rechten Hand unters T-Shirt, um den Hosenknopf unterhalb ihres eingeschnürten Bauchs zu öffnen. Gelöst nippte sie an ihrem Kaffee und griff nach der Zeitung, die obenauf lag. Ihre Augen huschten über die Schlagzeilen. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Versonnen sah sie aus dem Fenster, das über die gesamte Breite der Küchenzeile reichte, und verweilte an den prächtigen, alten Bäumen im gepflegten Park des Bundesgerichtshofs. Intuitiv suchte sie das Fenster im Erbgroßherzoglichen Palais, hinter dem bis in die Nacht hinein Licht gebrannt hatte. Ihr kam der Pförtner in den Sinn, der ihr damals stets die neuesten Urteile in dicken Kuverts ausgehändigt hatte. Immer einen lustigen Spruch auf den Lippen, dieser Charmeur. Damals, dachte sie. Damals war ihr die Arbeit zugeflogen.

      Vielleicht zermarterte sie ihr Hirn völlig umsonst, versuchte sie sich zu beruhigen. Es gab banalere Gründe für die Nichtbeantwortung von Bewerbungen. Formfehler, Zeitdruck, Krankheit, weiß der Teufel was. Wieder waren da die nagenden Zweifel. Hatte sie sich womöglich zu uninteressant oder ungeschickt beworben? Verwunderlich wäre es nicht, zog sie selbstkritisch in Erwägung, denn während sie ihre Bewerbungsmappen zusammengestellt hatte, befand sie sich in miserabler Verfassung. Es war in der Endphase ihrer Hamburger Ära, da lebten Martin und sie bereits getrennt von Tisch und Bett in der gemeinsamen Wohnung. Betrachtete sie diese Zeit rückblickend, stellte sie sich vor, dass sich so das schleichende Siechtum eines Sterbenden anfühlen musste. Wiebke fand den Vergleich angemessen, denn in all den Wochen war sie vollkommen abgestumpft. Sie fühlte nichts mehr. Nicht den Sonnenschein, nicht den kühlen Wind, nicht die pulsierende Lebendigkeit der Weltstadt, nicht sich selbst. Ihr Leben war nichts mehr als eine leere Hülse.

      „Ich habe mich verliebt.“ Wie pubertär dieses Geständnis aus Martins Mund im ersten Moment geklungen hatte! Und doch steckte es am Ende wie eine Klinge in ihrem Herzen, zerstörend, zutiefst verletzend.

      Konzentrier dich auf deine Bewerbungen!, ermahnte sie sich und richtete sich mit einem Ruck auf. Gewiss hatte sie eine der vielen Warnungen in den Jobratgebern nicht ernst genug genommen und etwas formuliert, das sie besser nicht so formuliert hätte. So manche Empfehlung war ihr zugegebenermaßen gegen den Strich gegangen, auch einige dieser neunmalklugen Binsenweisheiten. Durfte sie dem Ganzen Glauben schenken, müsste es gerade ihr besonders leicht fallen, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und Ablenkendes

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