Gemeinsames Gebet. Группа авторов

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Gemeinsames Gebet - Группа авторов Praktische Theologie im reformierten Kontext

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Bedingung der Möglichkeit für die verstandesgemäße reflektierende Erkenntnis.70 Darüber hinaus hat die Qualität unserer «Wahrnehmung» der Welt auch ethische Implikationen. Denn unsere Handlungsweise ist in dieser Perspektive durch die Art und Weise bedingt, in der wir die Welt emotional intendieren (passional orientation to the world), wobei unsere Intentionalität wiederum unserer «Wahrnehmung» bzw. imagination entspricht.71

      2.4 Liturgien als formative Praktiken

      Die These Smiths lautet: Die Grundintention des Menschen – seine fundamentale Ausrichtung auf eine bestimmte Form von höchstem Gut – sowie die diese Grundintention bedingende «Wahrnehmung» der Welt sind nicht etwas, was sich augenblicklich ausbildet und ebenso augenblicklich verändert werden kann; vielmehr sind «Wahrnehmung» und Grundintention etwas Herangewachsenes. Sie machen unseren Charakter aus, welcher seinerseits aufgrund der Wiederholung bestimmter Handlungen eine ihnen entsprechende Form angenommen hat. Der Charakter bildet sich somit habituell aus. Wie der Habitus (diathesis) bei Aristoteles und die praktognosia bei Merleau-Ponty ist der Charakter des Menschen weder etwas Angeborenes noch ein Affekt, sondern er wächst allmählich in uns. Da der Modus der Grundintention bzw. imagination präkognitiv und emotional ist, wird deren Entstehung ferner nicht durch bewusste Erkenntnisprozesse bewirkt. Vielmehr hängt die Art und Weise, in der wir die Welt intendieren, damit zusammen, dass unsere «Wahrnehmung» durch bestimmte, für uns «paradigmatisch» gewordene Erzählungen (stories) beeinflusst und geprägt worden ist.72 Eine Erzählung wird insofern paradigmatisch, als wir uns in sie «hineinleben», sie absorbieren und Platz in ihr einnehmen, sodass diese Erzählung zum Schlüssel für die Interpretation unserer Existenz und das Verständnis unseres In-Der-Welt-Seins wird.73

      Wie bekommt aber eine story diese paradigmatische Funktion? Wie kommt es dazu, dass Menschen sich in eine Erzählung so hineinleben können, dass ihre «Wahrnehmung» durch sie bestimmt wird? Smith zufolge geschieht auch dies nicht durch einen bewussten geistigen Vorgang, sondern durch die – bewusste oder unbewusste – Teilnahme an formativen Praktiken, die er «Liturgien» nennt. Als Liturgien versteht Smith solche «erzählungsgeladenen Praktiken» (story-laden |29| practices)74 bzw. «performierten Erzählungen» (performed stories),75 die den gesamten Menschen als «verkörpertes» (embodied) Wesen involvieren und ihm jene Vorstellung des höchsten Gutes (jene Vorstellung «Gottes») einprägen, die von der jeweiligen Liturgie implizit kolportiert wird. Liturgien sind für Smith also alle «rituellen Praktiken, welche als Pädagogik des letztgültigen Verlangens wirken»;76 Liturgien «formen und konstituieren unsere Identität dadurch, dass sie unsere fundamentalen Verlangen und unsere Einstellung zur Welt bestimmen».77

      2.5 Christliche Liturgie vs. säkulare Liturgien

      Vor diesem Hintergrund kann der Mensch berechtigterweise als homo liturgicus definiert werden, nämlich als ein Wesen, dessen Haltung und Charakter durch die «Liturgien» bestimmt werden, an denen er – bewusst oder unbewusst – partizipiert.78

      Die «Liturgizität» des Menschen ist strukturell gegeben, weil sie ein wesentliches Merkmal seines Mensch-Seins darstellt. Diese Struktur kann jedoch auf ganz unterschiedliche, gar antithetische Weisen aktualisiert werden. Entsprechend der Unterscheidung zwischen Struktur und Ausrichtung der Schöpfung79 gilt auch für den Menschen als homo liturgicus, dass er diese Grundstruktur seines Daseins entweder christlich oder apostatisch aktualisieren kann, je nachdem, ob er den dreieinigen Gott oder einen Götzen – ein zum «Gott» gemachtes Geschöpf – anbetet. Aufgrund der Gefallenheit der Schöpfung ist nun die apostatische Orientierung des homo liturgicus der Normalfall. Diese wird von einer Vielzahl an säkularen Liturgien etabliert und gefördert.

      «Säkular» werden diese Liturgien deshalb genannt, weil sie eine gegenüber der christlichen Liturgie alternative Formung menschlicher Intentionalität und imagination begünstigen. Die Tatsache, dass solche Praktiken jedoch bewusst als «Liturgien» bezeichnet werden, weist darauf hin, dass sie den Menschen eine «bestimmte, normative Vision menschlichen Gedeihens – ein implizites Verständnis des Letztgültigen» einprägen.80

      Die Aufgabe der christlichen Liturgie besteht deshalb darin, der apostatischen Formung des Menschen durch die säkularen Liturgien entgegenzuwirken und eine ihnen antithetische, christliche Formung zu fördern. Im christlichen Gottesdienst |30| geschieht insofern eine «counter-formation»,81 als in ihm und durch ihn eine «dispositional deflection» bewirkt wird.82 Die gefallene Kreatur Mensch wird reorientiert, neu ausgerichtet auf denjenigen, dem allein Anbetung gebührt: den dreieinigen Gott, der sich in Christus offenbart. Im christlichen Gottesdienst geschieht also nichts weniger als jene Formung des Charakters, die den homo liturgicus lapsus zum homo liturgicus christianus macht.

      The [Christian] liturgy is a «hearts and minds» strategy, a pedagogy that trains us as disciples precisely by putting our bodies through a regimen of repeated practices that get hold of our heart and «aim» our love toward the kingdom of God.83

      Durch die Teilnahme an der christlichen liturgischen Praxis werden Menschen als Gemeinde von Jüngerinnen und Jüngern konstituiert, deren imagination durch die christliche Erzählung (story) geprägt und deren desire auf Gottes Reich ausgerichtet ist. Als solche zum Dienst an Gott «im Alltag der Welt» ermächtigte begnadigte Sünder werden sie in alle Welt gesandt, damit sie «als Träger des Ebenbildes Gottes» ihren «Auftrag, die Stadt zu reformieren, wahrnehmen».84 Der christliche Gottesdienst hat somit sowohl einen zentripetalen als auch einen zentrifugalen Aspekt, wobei der letztere abgesehen vom ersteren nicht zu denken ist. Die zentripetale Teilnahme an der Liturgie als jener Praxis, durch die sich Menschen der transformativen Wirkung des Heiligen Geistes aussetzen, stellt die Bedingung der Möglichkeit für die zentrifulgale Sendung in die Welt dar.85

      2.6 Christliche Liturgie als Ort des heiligenden Handeln Gottes

      Die Aufgabe der christlichen Liturgie besteht somit darin, «eine Begegnung mit Gott zu fördern, die unser Vorstellungsvermögen [imagination] transformiert und mithin unsere Wahrnehmung [perception] heiligt».86 Hier kommen beide Dimensionen des christlich verstandenen liturgischen Geschehens in ihrer Verschränkung und Irreduzibilität prägnant zur Sprache. |31|

      Auf der einen Seite feiern Menschen Gottesdienst. Dies bedeutet, dass sie im Blick darauf Verantwortung tragen, dass die Liturgie die Begegnung mit dem dreieinigen Gott fördert. Gefördert wird diese Begegnung wiederum, wenn die Liturgie so beschaffen ist, dass durch sie «die story von der erlösenden Liebe Gottes in unseren imaginativen Hintergrund herabsinken» kann.87 Zu diesem Zweck ist die Form der Liturgie genau so wichtig wie ihr Inhalt, denn Form und Inhalt sind – entgegen einer verbreiteten Meinung – nicht voneinander zu trennen. «Formen sind nicht neutral», sondern an sich schon immer «ausgerichtet [aimed] und geladen»: «They carry their own teleological orientation and come loaded with a complex of rituals and practices that carry a vision of the good life.»88 Deshalb wäre es fatal zu denken, dass liturgische Formen einfach untereinander austauschbar wären, ohne dass der Formtausch einen Einfluss auf den durch sie vermittelten Inhalt ausübte. Eine erneute Wahrnehmung der formativen Kraft der Liturgie auf dem Hintergrund der von Smith entwickelten «liturgischen Anthropologie» sollte vielmehr bei reformierten Liturgen sowohl ein erhöhtes Formbewusstsein als auch eine größere Sorgfalt bei der Planung bzw. Revision von Liturgien fördern.89

      Tragen die Menschen Verantwortung dafür, dass die Liturgie so beschaffen ist, dass sich der christliche Gott ihrer bedienen mag, so geht das tatsächliche Stattfinden der formativen Begegnung mit ihm in der und durch die Liturgie allein auf das Handeln Gottes zurück. In der christlichen Liturgie handeln in diesem Sinne primär nicht Menschen; vielmehr handelt Gott der Heilige Geist an den Menschen. Der Gottesdienst stellt daher ein pneumatisches Geschehen dar, bei dem «der Geist durch und in solchen […] Praktiken uns begegnet, nährt, transformiert und ermächtigt».90 |32|

      The

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