Gemeinsames Gebet. Группа авторов

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Gemeinsames Gebet - Группа авторов Praktische Theologie im reformierten Kontext

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Martin Luther selbst und in der Folge auch in weiteren Kreisen der deutschsprachigen Reformation hat sich ein anderes Paradigma in den evangelischen Gottesdienst eingetragen. Es ist und bleibt ein liturgietheologisch wie liturgiepraktisch bedauerlicher Umstand, dass Luther selbst an keiner Stelle ausführlicher über den Gottesdienst nachgedacht, ihn genauer reflektiert hätte.110 So finden sich vereinzelte Aussagen – von den 1520er Jahren bis in die 1540er Jahre –, die kaum eine Konsistenz aufweisen und dazu führen, dass mit Verweis auf Luther beinahe alles begründet werden kann, was liturgisch möglich scheint – vom Festhalten an der geprägten Messform und einem damit verbundenen liturgischen Traditionalismus bis hin zum engagierten Plädoyer für die Freiheit von allen liturgischen Formen im Sinne der «dritten Gestalt» des evangelischen Gottesdienstes, die Luther in der Vorrede zur «Deutschen Messe» aus dem Jahr 1526 andeutet.111

      Die für den evangelischen Gottesdienst nachhaltigste Problematik ergibt sich m. E. aus einer Begeisterung des Reformators: seiner Begeisterung für die Predigt.112 Bereits in einer seiner ersten Überlegungen zum Gottesdienst, seiner Schrift «Von ordenung gottis diensts ynn der gemeine» aus dem Jahr 1523 bemerkt Luther: |41| «Darumb wo nicht gotts wort predigt wirt, ists besser, das man widder singe noch leße, noch zu samen kome.»113 Die bloße Lektüre der Bibel genügt Luther nicht (wobei diese freilich im mittelalterlichen Gottesdienst in der Regel auf Latein erfolgte!). Im Gegenteil bezeichnet er in derselben Schrift das bloße Verlesen des Wortes Gottes als den «erigste[n] mißbrauch», der in den Gottesdienst gefallen sei.114 Von der Predigt erwartet Luther, dass sich das Evangelium verbreite, dass die Eindeutigkeit des Wortes, das die Sünde aufdeckt und die Gnade zuspricht, laut werde. Die Offenheit und Mehrdeutigkeit der liturgischen Vollzüge (auch der Lesung aus der Bibel!) will Luther in die Eindeutigkeit der Zusage verwandeln. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Predigtamtes für Luther und für die Reformatoren in seinem Gefolge. Freilich folgt daraus auch eine nicht unwesentliche Verschiebung: Die Predigt wird zum Zentrum, das sich von dem «Rest» des Gottesdienstes abhebt.115 Der Gottesdienst ist – anders formuliert – im Kern Verkündigung. Für Luther heißt dies auch: Lehre. «Weyl alles Gottis diensts das groessist und furnempst stuck ist Gottis wort predigen und leren […]», so schreibt Luther 1526 in der Deutschen Messe.116 Es liegt konsequent auf dieser Linie, wenn Philipp Melanchthon – vier Jahre später – in der Apologie der Confessio Augustana formuliert: «Atque praecipuus cultus Dei est docere evangelium».117 Auch wenn man bedenkt, dass der Begriff «docere» bei Melanchthon keineswegs nur im Sinne des «Belehrens» oder «Unterweisens» verstanden werden kann, sondern auch den Aspekt des «Zeigens» oder «Benachrichtigens» enthält, so wird mit dieser Bestimmung doch eine Tendenz deutlich, die sich vor allem mit Aussagen Luthers in der Deutschen Messe deckt. Hier finden sich Beschreibungen des Gottesdienstes, die diesen – verkürzt gesagt – als bloßes Mittel zum Zweck erscheinen lassen. Der Zweck liegt darin, die «eynfeltigen leyen»118 zu unterrichten mit dem Ziel einer «offentliche[n] reytzung zum glauben und zum Christenthum».119

      Obwohl die lutherische Reformation entschieden an der «Messe» als überlieferter Form des Gottesdienstes festgehalten und dadurch gerade auch den Anspruch auf die Apostolizität und Kirchlichkeit des Gottesdienstes untermauert |42| hat,120 ergibt sich durch die Betonung der Predigt doch eine wesentliche und für das Verständnis des Gottesdienstes nachhaltige Verschiebung. Auch wenn Luther selbst darüber nicht eigens reflektiert, war ihm die Tragweite dieser Predigt-Fokussierung im Wechselspiel mit der Beibehaltung der überkommenen Mess-Struktur wohl bewusst. So überlegt Luther noch 1523, ob die Predigt insgesamt vor der Messe gehalten oder als integrierter Bestandteil in die Messe einwandern soll.121 Dass das Ganze der «Messe» einen neuen Akzent durch das Schwergewicht der Predigt erhält, war klar spürbar – und Karl-Heinrich Bieritz spricht zurecht von einem neuen «Vorzeichen», das die Messe/der Gottesdienst durch die Wort-Betonung Luthers erhält.122 In der Confessio Augustana heißt es: «So ist auch in den offentlichen Ceremonien der Messe keine merklich Anderung geschehen, dann daß an etlichen Orten teutsch Gesänge, das Volk damit zu lehren und zu uben, neben lateinischem Gesang gesungen werden, sinetemal alle Ceremonien furnehmlich darzu dienen sollen, daß das Volk daran lerne, was ihm zu wissen von Christo not ist.»123

      Inzwischen ist das Problem einer pädagogisch funktionalisierten Liturgie im evangelischen Kontext vielfach beobachtet worden. Joachim Stalmann etwa warnte immer wieder vor dem Missverständnis, «das Fest der Gegenwart des Auferstandenen in der Gemeinde mit der Lehrveranstaltung eines amtierenden Theologen zu verwechseln. Dieses Mißverständnis erreicht in der Aufklärung einen Höhepunkt. Es sitzt aber tief in jedem evangelischen Theologenhirn.»124

      Wahrscheinlich ist es nicht falsch, diese Fokussierung auf eine pädagogisch orientierte Liturgie mit einem Wandel der gesellschaftlichen Leitparadigmen in Verbindung zu bringen, wie sie vor allem Hans Ulrich Gumbrecht in seinem kleinen, m. E. aber beeindruckenden Buch «Diesseits der Hermeneutik» benennt. Gumbrecht spricht von dem Umbruch von einer mittelalterlichen Präsenz- zu einer neuzeitlichen Sinnkultur.125 War die mittelalterliche Kultur von der Gegenwart der |43| Dinge und von der Körperlichkeit der Interaktion geprägt, so gehe es neuzeitlich um die geistig-intellektuelle Distanz, um die Entzauberung der Dinge und um das Verstehen. Der Literaturwissenschaftler Gumbrecht erwähnt selbst das Beispiel des Abendmahls: Wurden Leib und Blut Christi im Mittelalter in denkbar unmittelbarstem Realismus im Abendmahl als gegenwärtig betrachtet, so seien Brot und Wein seit dem 16. Jahrhundert als symbolisch-hermeneutisch interpretierbare Zeichen für Christi Leib und Blut verstanden worden.126

      1.3 Gottesdienst als Gott-menschlicher Wortwechsel. Ein anderer Akzent Luthers und seine gegenwärtige Bedeutung

      Martin Luthers Predigtbegeisterung mit ihren problematischen liturgischen Konsequenzen markiert nur einen, wirkungsgeschichtlich allerdings bedeutsamen Aspekt der lutherischen Reformation in liturgicis. Ein anderer wird etwa in der berühmten Kirchweihpredigt Luthers in Torgau aus dem Jahr 1544 erkennbar, aus der ein Satz eine erstaunliche Karriere gemacht hat und zu einem liturgietheologischen Leitsatz wurde. Luther wollte das Haus weihen, damit «nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang».127 Seit dem 19. Jahrhundert nennt man diese Worte aus einer Predigt die «Torgauer Formel». Wechselrede von Gott und Mensch – das ist der Gottesdienst nach dieser Bestimmung oder zugespitzt formuliert ein Gott-menschlicher Wortwechsel. In dieser Bestimmung erscheint Gottesdienst dann nicht im pädagogisch-verkündigenden Paradigma, sondern als Doxologie und d. h. im Spiel- und Wirkungsraum, der durch die hebräische Verbwurzel barak eröffnet wird, die beides, «segnen» und «preisen», bedeuten kann: Anabase und Katabase.

      Natürlich ist die Wirklichkeit komplexer; dennoch aber erkenne ich in den beiden Paradigmen – dem der Verkündigung und dem der Doxologie – zwei Weisen, den (nicht nur: evangelischen) Gottesdienst zu verstehen und zu beschreiben. Und es scheint mir keine Frage, welches der beiden Paradigmen in der primär sinnkulturell bestimmten Neuzeit den Sieg davon getragen hat. So flächendeckend, dass inzwischen Kritiker der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils – wie etwa Alfred Lorenzer mit seiner beeindruckenden Schrift «Das Konzil der Buchhalter» oder Martin Mosebach mit seiner «Häresie der |44| Formlosigkeit» – davon sprechen, dass Wittenberg siegreich und nun auch der katholische Gottesdienst statt Kultus und Feier Lehrveranstaltung geworden sei.128 Auch evangelischerseits kämpfen viele dagegen an. Der Erlanger Praktische Theologe Martin Nicol etwa legte 2009 ein engagiertes Plädoyer für ein doxologisches Gottesdienstverständnis vor, in dem er den Gottesdienst als «Weg im Geheimnis» beschreibt, von einer «doxologische[n] Wirklichkeit» spricht, die im Gottesdienst Ereignis werde, und eine «zweite Kultfähigkeit» imaginiert, die evangelische Christenmenschen unserer Tage (und vielleicht auch Katholiken) wieder lernen müssten.129

      Auf dem Hintergrund dieser Beobachtungen ist es kaum verwunderlich, dass das Evangelische Gottesdienstbuch aus dem Jahr 1999 im Vorwort der Altarausgabe mit Martin Luthers Torgauer Formel beginnt – und gleich danach die kritische Frage stellt: «Können die Menschen das [scil. das Wechselspiel von Gottes Wort und menschlicher Antwort] in den Gottesdiensten in unseren

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