Gemeinsames Gebet. Группа авторов

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Gemeinsames Gebet - Группа авторов Praktische Theologie im reformierten Kontext

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ausgerechnet in einer Zeit, in der ästhetische Paradigmen mehr und mehr das praktisch-theologische Nachdenken bestimmten – in den Strukturüberlegungen auseinandergerissen. Beachtet wurde zunächst die Form, die sich in der Struktur abbildet und vom Strukturpapier «Versammelte Gemeinde» (1974) bis zur Endfassung des Evangelischen Gottesdienstbuches (1999) die Diskussionen bestimmt.138

      Müsste und könnte die Einheit des evangelischen Gottesdienstes nicht anders gesucht werden? Etwa in der Ausrichtung am «gemeinsamen Gebet», an einem Wort-Wechsel, den «wir» als Menschen nicht machen können, den Gott eröffnet und in den er uns einlässt? Einen Wort-Wechsel, der sich als Leben verändernd, aufrüttelnd, heilsam erweist, weil er die Begegnung mit Gott bedeutet? Ein Wort-Wechsel, der die feiernden Menschen als Sünder identifiziert und zugleich die Gnade Gottes zuspricht? Ein Wort-Wechsel, der die verschiedenen Menschen, die sich versammeln, so (und nur so!) zur Gemeinde als Gemeinschaft der voneinander Verschiedenen verbindet und als Kirche Jesu Christi konstituiert? Ein Wort-Wechsel, der keineswegs nur verbal abläuft, sondern auch musikalisch, auch leiblich, gestisch? Ein Wort-Wechsel, der ohne konkrete Gestalten nicht auskommt, wie die Reformatoren wussten, die ihn an das Wort der Bibel und an die Zeichengestalten von Abendmahl und Taufe banden und dies gegen jeden Spiritualismus einerseits, gegen jeden Objektivismus andererseits verteidigten?

      2.2 Zwischen Agende und Gottesdienstbuch

      Seit 1999 prägt ein Buch die evangelischen Gottesdienste, das eine merkwürdige Zwitterexistenz führt, die sich bereits in dem Miteinander von Titel und Untertitel ausdrückt. «Evangelisches Gottesdienstbuch» heißt das Werk. Der Untertitel aber spricht von einer «Agende». So sehen kirchliche Kompromisse aus! Aber lässt sich durch einen kreativen Umgang mit der Titelei das Problem der Verbindlichkeit |49| eines liturgischen Buches wirklich umgehen? Wer immer dies und jenes zugleich sein will, ist am Ende wohl weder dies noch jenes.

      Und so kam es, dass das Gottesdienstbuch sehr unterschiedlich eingeführt wurde. Ich erwähne nur exemplarisch die beiden Kirchen, die ich aus eigenem intensiven Erleben näher kenne: die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern und die evangelisch-lutherische Kirche in Sachsen. Beide sind Kirchen, die an der Entstehung des Evangelischen Gottesdienstbuches beteiligt waren. Beide sind, das kommt hinzu, Gliedkirchen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). In Bayern aber wurde das Evangelische Gottesdienstbuch faktisch nicht eingeführt. Die Synode nahm es zwar zur Kenntnis, aber in Bayern war man schneller. In der Mitte der 1990er Jahre brachte die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern in Ringbuchform eine eigene, blaue, bayerische Liturgie auf den Markt und in alle Gemeinden. Das Evangelische Gottesdienstbuch kam danach – und wurde und wird von den Pfarrerinnen und Pfarrern eher als Anregung und Textsammlung gesehen und verwendet. In Sachsen wurde das Evangelische Gottesdienstbuch zwar ebenfalls durch einen Synodalbeschluss eingeführt. Dort allerdings wurden zeitgleich so detaillierte Ausführungsbestimmungen erlassen und kurz darauf in einem eigenen Heft publiziert, dass Sachsen (äußerst geschickt!) das Evangelische Gottesdienstbuch zwar nach außen eingeführt hat, faktisch aber eine sächsische Agende beschlossen hat, in der der Gottesdienst (bis in Rubriken hinein!) nach wie vor sehr genau geregelt ist.

      So hat das Evangelische Gottesdienstbuch eine Erwartung ganz deutlich nicht erfüllt. Es ist nicht zum einigenden Band der Kirchen der Union und der lutherischen Kirchen in Deutschland geworden, als das es eigentlich gedacht war. Die 2011 erschienene Rezeptionsstudie zum Evangelischen Gottesdienstbuch zeigt zwar, dass es durchaus den meisten Pfarrern bekannt ist und genutzt wird (83% der befragten Pfarrerinnen und Pfarrer geben an, es zu kennen und es zu nutzen oder benutzt zu haben), für die allermeisten (72%) dient es aber als «Fundgrube für Texte», beinahe ebenso viele benutzen es als «liturgisches Nachschlagewerk», weniger als die Hälfte (44 %) gibt an, es als «Altaragende» zu gebrauchen.139 Darin spiegelt sich eine Entwicklung, die seit den 1960er Jahren ohnehin greifbar ist, die das Evangelische Gottesdienstbuch aber sicher noch weiter befördert hat: Pfarrerinnen und Pfarrer sehen den Gottesdienst als ihre Gestaltungsaufgabe und keineswegs als einigendes Band der Kirche!140 |50|

      Gegenwärtig erlebe ich im evangelischen Bereich in Deutschland eine polare Ausdifferenzierung, wenn es um die Frage geht, wie wir agendarisch weiter verfahren könnten. Da gibt es die, die eine deutliche Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Agende artikulieren. Wir bräuchten, so sagen viele, ein Musterbuch für den traditionskontinuierlichen Gottesdienst: ein Werk, das Texte von so hoher sprachlicher Dignität und traditioneller Verwurzelung bietet, dass es zugleich «Archiv» in kulturwissenschaftlichem Sinn als auch konkretes Werk für die Nutzung im Gottesdienst sein kann. Ein solches Buch brauche nicht durch kirchenamtliche Normierung verbindlich gemacht werden, sondern müsse schlicht überzeugen, weil es so gut sei.141

      Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die einen solchen Schritt für völlig utopisch halten, die aber zugleich das Evangelische Gottesdienstbuch mit seinem Integrationsanliegen für gescheitert erklären. Im Gegenteil zeige die zunehmende Pluralisierung liturgischer Milieus, dass jede Idee einer Vereinheitlichung scheitern müsse. Je nach Individualität der Gemeinde, je nach Persönlichkeit des gestaltenden Liturgen und je nach Milieusituation im gesellschaftlichen Umfeld müsse und werde Gottesdienst äußerst unterschiedlichen Logiken folgen und daher auch äußerst unterschiedliche Gestalten hervorbringen. Natürlich könne es dazu Anregungen geben – aber weder ein «Musterbuch» wäre da hilfreich noch eine am Strukturbegriff orientierte Agende.

      Brauchen wir in dieser Situation, so frage ich, vielleicht ein Book of Common Prayer? Ein Buch, das nicht einfach nach dem Lego- oder Baukastensystem mit unterschiedlichen Strukturen spielt, sondern Textzusammenhänge im Kontext schlüssiger Feierdramaturgien bietet, die durch ihre sprachliche und theologische Qualität überzeugen? Und dies gleichzeitig nicht in einer Form tut, sondern in mehreren, jeweils in sich logischen und aufeinander bezogenen Formen?

      2.3 Gemeinschaft der Kirchen und individuelle Feiergestalt

      Mit dem Evangelischen Gottesdienstbuch geschah liturgiehistorisch Bedeutsames. Zum ersten Mal gab und gibt es eine gemeinsame Agende der Unierten und der Lutherischen Kirchen in Deutschland – und gleichzeitig ein Gottesdienstbuch, das im vierten Leitkriterium bewusst von dem Zusammenhang des evangelischen Gottesdienstes mit den anderen Kirchen in der Ökumene spricht.

      Wollen kann man das mit Sicherheit, aber ist es faktisch möglich? Ich habe eben schon die Klugheit kirchenleitender Organe bei der höchst unterschiedlichen |51| Einführung des Evangelischen Gottesdienstbuchs erwähnt. Nun blicke ich aus der Perspektive der Rezipienten. Und aus dieser gilt: Gottesdienst wird nicht in Strukturen erlebt, sondern in Gestalten! Die Berneuchener, die ich oben mit ihrer ästhetisch formatierten Kritik an einem formalen Strukturbegriff zitiert habe, haben m. E. Recht.

      An dieser Stelle eine persönliche Beobachtung: Ich war in den vergangenen drei Jahren berufsbedingt ein Wanderer zwischen drei verschiedenen Landeskirchen – und damit: drei verschiedenen Gottesdienstkulturen –, in denen sämtlich das «Evangelische Gottesdienstbuch» gilt und eingeführt ist. Aus Bayern kommend, einer lutherischen Landeskirche, ging ich nach Wittenberg, der Lutherstadt, die aber nicht auf dem Boden einer lutherischen Landeskirche liegt, sondern auf dem Boden der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die in sich wiederum die alte thüringische lutherische Landeskirche und die unierte Kirche der sogenannten Kirchenprovinz Sachsen aufgenommen hat. Von dort zog ich knapp 70 km weiter südlich nach Leipzig – und befinde mich nun auf dem Boden der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens. Drei Kirchen, ein Gottesdienstbuch – und drei völlig verschiedene Gottesdienstkulturen, die dann natürlich jeweils am Ort nochmals völlig unterschiedlich wahrgenommen werden, wenn ich in der Thomaskirche in Leipzig, in der Schlosskirche in Wittenberg, in der Lorenzkirche in Nürnberg oder in einer kleinen Dorfkirche irgendwo am Stadtrand oder in der Provinz feiere, wenn fünf Menschen anwesend sind oder 200, wenn ein älterer Pfarrer als Liturg agiert oder eine Vikarin. In Sachsen beginnt der Gottesdienst vielfach noch immer mit dem gesungenen (!) Votum. Auch ein gesungenes Kollektengebet und ein gesungener aaronitischer

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