Gemeinsames Gebet. Группа авторов

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Gemeinsames Gebet - Группа авторов Praktische Theologie im reformierten Kontext

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mir berechtigt und problematisch zugleich. Berechtigt ist sie, weil es sein könnte, dass die vielfältigen Aporien des evangelischen Gottesdienstes der Gegenwart vor allem unter der theologischen Perspektive in den Blick genommen werden müssten, dass also vordringlich die Frage gestellt werden muss, wie wir (Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeinden, Liturgiekommissionen etc.) den Gottesdienst theologisch verstehen und auf diesem Hintergrund zu Gestaltungsfragen voranschreiten.

      Problematisch erscheint die Frage, weil sich – so, wie sie gestellt ist, – eine Logik einzuschleichen droht, die dem Wort-Wechsel von Gott und Mensch eher entgegenläuft. Stattdessen zeigt sich die Logik eines kirchlichen Anbieters, der für Rezipienten ein Angebot macht. Wenn ich frage, ob «die Menschen das in den Gottesdiensten in unseren Gemeinden […] erleben» können, stelle ich mich jedenfalls tendenziell den Menschen als den Besuchern der Gottesdienste gegenüber – statt die Ekklesia als miteinander verwoben, als zugleich aktives und passives Subjekt und Objekt des Gottesdienstes zu begreifen. Es ist dies im Extremfall eine völlig verschobene Perspektive zum kirchlichen Charakter der Liturgie. Reformatorisch – und hier ist es sehr gut möglich, diese allgemeine Formel zu verwenden |45| und keineswegs ausschließlich von einer «lutherischen» Perspektive zu sprechen – bedeutet der Gottesdienst jenen Ort, an dem Kirche jeweils neu konstituiert, ins Leben gerufen wird, indem Menschen das göttliche Wort in, mit und unter den Worten der Bibel/der Predigt und den Sakramenten hören und Gott in Gebet und Loblied antworten. Keineswegs ist es dagegen so, dass ein kirchlicher Anbieter das ihm irgendwie «vorliegende» Evangelium möglichst anschaulich oder unterhaltsam, erlebnisintensiv oder dramaturgisch anregend einem Publikum darbietet. Die ecclesia ist jene congregatio sanctorum, in der das Evangelium gepredigt und die Sakramente gemäß dem Evangelium verwaltet werden.131 Das «Gegenüber», das im evangelischen Gottesdienst Gestalt gewinnt, ist das von befreiendem und herausforderndem Wort und einer durch dieses Wort konstituierten Gemeinde. Das «Amt» hat im Gegenüber zur Gemeinde nur die Funktion, das auch ihm entzogene (!) Wort Gottes in der Gemeinde laut werden zu lassen. Es verweist über sich hinaus auf jene Externität, die mit dem Begriff verbum externum präzise bezeichnet wird.

      An diesen Grundlagen wird weiterzudenken sein (vgl. unten 3). Zunächst aber blicke ich konkreter auf das «Evangelische Gottesdienstbuch» als gegenwärtigen Ausdruck der Liturgie der unierten und lutherischen Kirchen in Deutschland, stelle sein Anliegen und einige wesentliche Kennzeichen vor Augen – und tue dies beständig im Spiegel der in diesem ersten Punkt erarbeiteten Perspektive des Gottesdienstes als «gemeinsamen Gebetes».

      2. Das Evangelische Gottesdienstbuch (EGb) im Spiegel des gemeinsamen Gebets oder: Gelingen und Scheitern eines Projekts

      2.1 Integration als das große Thema des EGb und die Problematik der Struktur

      Die Agende I als erstes Stück der Agendenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstand lutherisch 1955 und uniert 1959. Sie war – im Bild gesprochen – wie eine schön gestaltete Schatulle, in die man den evangelischen Gottesdienst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu sperren versuchte: fern von den Gefährdungen einer natürlichen Theologie, fern von den Anfechtungen einer Anpassung an den Zeitgeist.

      Aber die Schatulle bekam Risse, das gottesdienstliche Leben ließ sich nicht einsperren. Nach und nach wurde es bunt und unübersichtlich. Das «Amt» vermochte den Gottesdienst nicht mehr zu normieren, die Agende ihn nicht mehr zu |46| regeln. Stattdessen entstand eine Vielfalt, die mit Kritik an der verordneten Restauration der Nachkriegsagende einherging. Neue Experimente begannen: Familiengottesdienste, Gottesdienste in freien Formen, Gottesdienste mit neuer Musik, Politische Gottesdienste. Die traditionelle «Liturgie» wurde vielfach als Problem empfunden, als das, was man «absingen» muss, bevor dann mit der Predigt der Gottesdienst «eigentlich» beginnt. Auf der liturgischen Wiese blühte es vielfältig. Und der Gottesdienst nach Agende I war nicht der normierende und die Kirche verbindende Zusammenschluss, sondern lediglich ein Gottesdienst unter vielen anderen. In dieser Zeit regte sich erstmals der Wunsch vieler nach Übersicht in der verwirrenden Pluralität. Was ist Gottesdienst? Gibt es (noch) eine kirchliche Einheit, die sich gottesdienstlich greifen lässt?

      «Integration» war das große Thema auf dem Weg zum Evangelischen Gottesdienstbuch – ein Weg, der von den Vorüberlegungen Anfang der 70er Jahre bis zu dem fertigen Buch 1999 beinahe 30 Jahre dauerte.132 Frieder Schulz, einer der wesentlichen Protagonisten, hätte wohl nicht von «Integration» gesprochen, sondern eher von «Konvergenz»133 – das Ziel ist das gleiche.

      Faktisch war der Weg zum Evangelischen Gottesdienstbuch die Fortsetzung des Projekts der Agende I mit anderen Mitteln. Versuchte die Agende I mit einem normierenden Textbestand und zahlreichen Rubriken den einen evangelischen Gottesdienst (konfessionell gebunden als entweder lutherischen oder unierten!) darzustellen, so schien dieser Weg angesichts der faktischen Vielfalt und angesichts der Ablehnung der restaurativen Normierung verbaut. Die Alternative sah man in einer formalen Reduktion, in der im Rückblick durchaus genialen, aber eben auch extrem problematischen Vokabel der «Struktur». Nicht mehr die Textgestalt des Gottesdienstes und seine rubrizierte Leibgestalt sollte festgelegt werden, sondern nur noch dessen Syntax. Die Idee einer «schmiegsamen Liturgie» stand damit im Raum – und manche waren von dieser Überlegung so beeindruckt, dass sie – wie Joachim Stalmann – von einem liturgischen «Prager Frühling» sprachen.134 Es war eine Entdeckung, dass man angesichts der Fülle von neuen Gottesdiensten erkannte, dass diese alle der gleichen Grundstruktur folgen – einer Struktur, die sich in der Geschichte der Kirche seit dem zweiten Jahrhundert und in der Ökumene nachweisen lässt und selbstverständlich auch die evangelischen Liturgiefamilien miteinander verbinden kann. |47|

      Faktisch können die meisten der sieben Kriterien, die der Entstehung des Evangelischen Gottesdienstbuches zugrunde liegen, auf dem Hintergrund des Anliegens der Integration gelesen werden: stabile Struktur und freie Ausgestaltung (Kriterium 2), traditionelle und neue Texte im Miteinander (Kriterium 3), der Kontext der Ökumene (Kriterium 4), verbindende, niemanden ausgrenzende Sprache (Kriterium 5), Leib und Geist im Wechselspiel (Kriterium 6).

      Schon bald allerdings wurden die Probleme eines abstrakten Strukturbegriffs gesehen und kritisiert. Genügt es tatsächlich zu sagen, der Gottesdienst bestehe aus (1) Eröffnung und Anrufung, (2) Verkündigung und Bekenntnis, (3) Abendmahl, (4) Sendung und Segen? Was ist damit tatsächlich erreicht, außer festzustellen, dass zwischen Anfang und Ende auch noch verkündigt und das Abendmahl gefeiert wird? Läuft irgendwie ähnlich nicht jede Party ab, so fragte Manfred Josuttis 1991?135 Man kommt zusammen, das Ganze wird eröffnet, die «Festlegende» wird erzählt, es wird gegessen und getrunken, man verabschiedet sich und geht auseinander? Es war die Michaelsbruderschaft, die bereits 1974 an das Berneuchener Buch (1926) erinnerte – und betonte, dass alles «Lebendige» «Gestalt» sei, «die Leibhaftigkeit besitzt und fordert».136 Auch Karl-Heinrich Bieritz wehrte sich mit beachtlichen Argumenten gegen die Ontologisierung der Struktur, die er in den Vorüberlegungen zum Evangelischen Gottesdienstbuch erkannte. Struktur «gibt» es nicht, meinte er zu Recht; sie sei etwas, das gestaltet (also: gemacht) und gegebenfalls erkannt werde (oder auch nicht!).137

      Wie wenig die Strukturierung des Evangelischen Gottesdienstbuchs im Blick auf die Rezeption funktioniert, wird m. E. vor allem an den Übergängen deutlich. Das «Gebet des Tages» (eine Formulierung, in der Kollekten- und Eingangsgebet verschmolzen sind) steht klassisch als Abschluss des ersten Teils «Eröffnung und Anrufung». Im Blick auf seine liturgische Tradition bündelt es die Gebete des Eingangsteils des Gottesdienstes. Die Unsicherheit von Studierenden über den Charakter dieses Gebets, die ich regelmäßig in homiletischen und liturgischen Seminaren erlebe, zeigt, dass Ort und Funktion unklar geworden sind. Weit stärker als der Einschnitt nach dem Kollektengebet wird von den Gottesdienstfeiernden wohl der Beginn der Predigt erlebt. Jetzt ist die Eingangsliturgie am Altar bzw. am Lesepult erst einmal vorbei – und die Predigt beginnt (in aller Regel auf der Kanzel). Innerhalb der Struktur des Gottesdienstbuches aber ist dieser Einschnitt nicht |48| vermerkt; sowohl die Lesungen als auch Credo und Predigt gehören zu «Verkündigung und Bekenntnis».

      Die

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