Sorge dich nicht!. Samira Zingaro

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Sorge dich nicht! - Samira Zingaro

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größten Erfahrungen mit Hinterbliebenen machten Sie via Internet.Wie kamen Sie bereits in den 1990er-Jahren darauf, dass in diesem Bereich eine Nachfrage besteht?

      Der Pionier für Internet-Seelsorge ist und bleibt Pfarrer Jakob Vetsch. Er hat die Internet-Seelsorge ins Leben gerufen und holte mich damals ins Boot, um die Rubrik ›Verlust und Trauer‹ zu betreuen. Er suchte ehrenamtlich Mitarbeitende, die bereit waren, ihr spezifisches Fachwissen einzubringen. Hatten die Hilfesuchenden einmal Vertrauen gefasst, entstanden intensive schriftliche Dialoge aus E-Mails, die bis zu sechs Seiten lang waren. Und während ich an der Analyse des mir Geschriebenen arbeitete, kamen andere E-Mails herein, die etwa lauteten: ›Ich kann nicht mehr. Jetzt mache ich Schluss.‹ Solche Zeilen erfordern eine unmittelbare Antwort. Zu Beginn dachte ich, ich formuliere fixfertige, schön klingende Sätze, die wie ein Pflaster auf jede Wunde passen. Doch nicht ein einziges Mal konnte ich einen solchen Satz brauchen, zu individuell waren die Geschichten. Beim E-Mail-Verkehr ging es in erster Linie darum, Antworten auf das zu suchen, was einem widerfahren ist, oder wie es weitergehen soll. Ich bot den Schreibenden von Anfang an das Du an. Und natürlich schrieb ich von meiner Anteilnahme und meiner Hilf- und Machtlosigkeit angesichts der mir mitgeteilten Widerfahrnisse: ›Ich bin hilf- und machtlos. Ich fühle mich in Anbetracht dessen, was dir passiert ist, zutiefst erschüttert. Und ich bin außerstande, dir zu helfen, wie du das vielleicht von mir erwartest. Ich kann nichts machen, muss hinnehmen, was du mir anvertraust. Aber ich möchte mit dir ein Stück des Weges gehen, bis du ihn wieder vertrauensvoll alleine gehen kannst.‹

      Worin unterscheidet sich das persönliche Gespräch vom virtuellen Kontakt?

      Das geschriebene Wort wiegt mehr als das gesprochene. Ein persönliches Gegenüber ist konkret, drückt sich verbal und nonverbal aus, redet mehr oder weniger frei und hat zugleich Angst, zu viel von sich und seinen Gefühlen preiszugeben, oder fürchtet, falsch verstanden zu werden. Als Gegenüber muss ich damit rechnen, beurteilt oder gar abgelehnt zu werden, dazu bedarf es einer anspruchsvollen Gesprächskultur. Schweigen etwa muss man aushalten können. Dieses Mitteilen des Erlebten wird wegen Schuld- und Schamgefühlen sehr oft durch die physische Anwesenheit einer fremden Person gehemmt.

      Ganz anders sieht es bei der schriftlichen Kommunikation aus. Wie einem Tagebuch kann dem vorerst leeren, virtuellen Stück Papier alles anvertraut werden. Am Computer bekommt diese Form des Sich-Anvertrauens eine neue, bislang in dieser Form nicht möglich gewesene Dimension: Das Geschriebene kann beliebig oft durchgelesen, korrigiert oder wieder ganz verworfen werden, um einer besseren Version Platz zu machen. Zunächst kann ein Hinterbliebener völlig ungefiltert herauslassen, was seine Seele zum Überlaufen gebracht hat. Mit diesem Niederschreiben beginnt schon der Prozess der Verarbeitung. Die Angst, das Gesicht zu verlieren, besteht nicht, denn dieses bleibt verborgen. Und der Kontakt kann jederzeit ohne Begründung wieder abgebrochen werden. Umgekehrt bleiben das verschickte Geschriebene sowie die Antwort im Computer, und die Gesprächspartner können es jederzeit wieder durchlesen und überdenken. Durch diese Form kommt gegenüber der mündlichen Kommunikation eine zusätzliche positive Dimension zum Vorschein: Beim E-Mail-Austausch kann nichts ›überhört‹ werden.

      Sind dabei Missverständnisse nicht vorprogrammiert?

      Es ist die Herausforderung in der Internet-Seelsorge, das Anvertraute so einfühlsam und vorsichtig wie immer möglich zu analysieren, zwischen den Zeilen zu lesen und Rückfragen zu stellen.An dieser Stelle beginnt die filigrane Arbeit. Das Gegenüber muss erkennen, dass es wirklich verstanden worden ist – und, wie Sokrates es schon richtig erkannt hat, die Antworten auf die gestellten Fragen in sich selber finden. Diese Arbeit an sich selbst kann wunde Stellen zutage fördern, die bisher tief in einem selbst verborgen waren. Und das wiederum kann dazu führen, nichts weiter wissen zu wollen. Jeder dadurch erfolgte Abbruch des Dialoges war für mich schwer. Umso mehr freute es mich dann, wenn – offenbar nach einer hinreichenden Reflexionsphase – der Faden wieder aufgenommen wurde.Wenn das passierte, kam das Ende des Tunnels langsam in Sicht.

      Virtuelle Seelsorge, das war zu Ihrer Zeit ein Novum. Weshalb sorgte Ihre Arbeit nicht für mehr Furore?

      Ich versuchte bei den kirchlichen Verantwortungsträgern Gehör zu finden, um bezahlte Aus- und Weiterbildung von Internet-Seelsorgenden zu erwirken – doch erfolglos. Bis heute sind die Anbieter von Internetseelsorge weiterhin auf Freiwillige angewiesen, die sich nach ihrem je eigenen Dafürhalten in diese belastende Arbeit einlassen. Auch bei bekannten Anlaufstellen wie die ›Dargebotene Hand‹ stößt die Arbeit an Grenzen – nicht zuletzt wegen der Ehrenamtlichkeit. Ich bin überzeugt, dass die Krankenkassen bisher nicht erkannt haben, welches Ersparniskapital erzielt werden könnte, wenn professionelle Hilfe übers Netz geplagte Seelen entlasten würde. Selbst die Fakultäten der Psychiatrie, Psychologie und Theologie unserer Universitäten haben es bisher verfehlt,gezielt auf eine Ausbildung für Internet-Seelsorgende hinzuarbeiten; denn das Bedürfnis danach ist meiner Meinung nach immens. Ebenso könnten die neuen Medien eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie gezielt und kontrolliert die Hilfesuchenden anzusprechen in der Lage wären. Das bedingt aber eben eine professionelle, Sprach- und Landesgrenzen überschreitende Zentrale. Ein solches Konzept umzusetzen wäre eines entsprechenden Forschungsauftrags würdig.

      Haben Sie sich in Ihrer Zeit als Internet-Seelsorger überhaupt vom Computer weggetraut?

      Es war tatsächlich so, dass ich den Computer Tag und Nacht laufen ließ und nur mit schlechtem Gewissen schlafen ging. Und wenn ich dann am nächsten Morgen den Faden wieder aufnahm, waren mitunter schon zwei oder drei neue Mails zur Beantwortung in der Warteschlaufe. Das zehrte auch an meiner physischen und psychischen Gesundheit. Schließlich so stark, dass ich meiner Familie zuliebe eines Tages den Entschluss fasste, Schluss zu machen mit der Seelsorge übers Internet.

      Mit der Zeit haben diese schweren Schicksale meine Frau und mich psychisch immer mehr belastet. Als unsere Töchter uns gemeinsam mitteilten, sie würden uns mit unseren traurigen Mienen nicht mehr gerne besuchen, zogen wir die Bremse. Ich will nicht an meinem eigenen Grab meine Kinder klagen hören, wir hätten für alle Zeit gehabt, nur nicht für sie.

      Zur Person

      Ebo Aebischer-Crettol, Jahrgang 1936, wuchs im ostdeutschen Sachsen auf. Seit den 1950er-Jahren lebt er in der Schweiz. Der studierte Chemiker und seine Frau ließen sich später zu Theologen ausbilden, er dissertierte zum Thema Suizid.

      Aebischer arbeitete als Beauftragter der Landeskirche als Seelsorger für Suizid-Betroffene. Er ist Autor des Buches »Aus zwei Booten wird ein Floß. Suizid und Todessehnsucht. Erklärungsmodelle, Prävention und Begleitung.« Als ehemaliger Offizier hat sich Aebischer 2011 für die Waffeninitiative in der Öffentlichkeit starkgemacht. Der pensionierte Pfarrer gründete Ende der 1990er-Jahre die erste Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene nach Suizid eines Partners und später den heute noch schweizweit aktiven Verein Refugium.

      »Ich würde nicht mit ihm reden wollen,

       ich würde lieber mit ihm tanzen gehen.«

       Sascha Bschor (SB), 45,Vertriebs- und Marketingleiter

      »Ich glaube, er hätte sich nicht das Leben

       genommen, wäre er selbst Vater gewesen.«

       Max Bschor (MB), 42, Jurist

      Sascha, Chris und Max Bschor kamen im Abstand von zwei Jahren zur Welt. Die Geschwister wurden im südwestlichen Bayern groß und standen im besten Karrierealter, als der Mittlere mit 32 Jahren Suizid beging. Die hinterbliebenen Brüder haben gelernt, den Namen des Verstorbenen zu erwähnen, ohne die Atmosphäre an einer Familienfeier zu vermiesen.

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