Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber. Markus Veith

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber - Markus Veith страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber - Markus Veith

Скачать книгу

sie Deutscher Meister, seine Helden in Schwarz-Gelb. Wenn sie versagen und Bayern gewinnt, war’s das. Knapp daneben ist auch vorbei. Vollpfosten. Aber das durfte nicht passieren. Finn ging in Gedanken noch einmal die Aufstellung durch. Die Abwehr stand, im Sturm fehlte die erste Spitze und die Blau-Weißen hatten den besten Torhüter der Welt. Aber so nah waren sie lange nicht mehr dran gewesen, an der Schale. Die machen heute den Sack zu, bestimmt, hoffte Finn.

      Und dann war da noch Julia. Wie kann eine Frau von heute nur Julia heißen. Er hieß ja auch nicht Romeo. Doch für sie würde er sich sofort umtaufen lassen. Er würde sich vor allen zum Narren, zur Lachnummer machen lassen, einen Clown nach dem anderen frühstücken, wenn es ihr nur gefiele. Doch da stand sie nicht drauf. Sie war cool und das wäre voll daneben, out-of-brain, totpeinlich; ein extrem vollkrasses No-go, absolut. So sprach Finn gern, denn das war cool, so cool wie sie. Sie gingen miteinander, schon seit drei Wochen. Seine Kumpel machten schweinische Witze und waren picklig vor Neid. Sie waren Hand in Hand und Arm in Arm, wo sie gingen und standen und saßen, konnten nicht voneinander lassen. Sie küssten sich, auch so richtig, wenn alle dabei waren. Und sie fassten sich an, fast überall, wenn keiner dabei war. Selten genug.

      Waren sie mit den anderen zusammen und redeten miteinander, waren sie unbeholfen. Die richtigen Worte fehlten noch, für so viel Gefühl. Und sie wollten ja cool sein. Da sagt man nicht viel, besonders nichts Ehrliches. Oft sagten sie ‚geil‘, doch selten meinten sie es so, redeten über Klamotten, Computerspiele und Downloads der angesagten Bands, peinlich darauf bedacht, ja nicht die falschen cool zu finden. Sie hörten Songs über den gleichen MP3-Player, jeder einen Phone-Knopf im Ohr, ein Zeichen größter Intimität. Waren sie allein, erlebten sie sich anders. Da kamen die Worte, die sie sonst suchten, manchmal, nicht immer. Die Sätze und Geschichten über ihr junges Leben, ihre Familien, ihre Wünsche und Pläne und Träumereien kamen in Bewegung, begannen zu fließen und nahmen sie mit in ihre ganz eigene Sehnsucht nach der Welt der Erwachsenen und nach dem Erleben von Liebe, Drama und Wahnsinn, nach den Abenteuern, die noch auf sie warteten. Wenn es so war, spürte Finn, was das hieß: Glück. Und es sollte nie aufhören.

      Bei solch einer Begegnung erzählte er Julia einmal von seiner Mutter. Keinem Anderen hatte er mehr über sie erzählt, als dass sie gestorben sei. Julia gestand er, dass er versuchte nicht an sie zu denken. Meistens ging das ganz gut, in letzter Zeit. Aber als sie vor fünf Jahren so qualvoll vom Krebs gefressen worden war, hatte er nicht gewusst, wohin mit seinem Schmerz. Er hatte Wut daraus gemacht, weil er diese besser kannte als den Schmerz. Manchmal hatte er durchgedreht, getobt, sein Zimmer verwüstet und den Vater angeschrien: „Warum ist sie einfach so abgehauen, einfach so weg!“ Rolf hat ihn dann in die Arme genommen, beruhigt und selbst gezittert vor Trauer. In dieser Zeit hatte er manchmal nachts ins Bett gemacht. Dann war er zusammen mit seinem Vater einmal in der Woche zur Therapie gegangen. Frau Dr. Rose hatte ihnen Hausaufgaben aufgegeben, beiden, Finn und Rolf. Sie sollten alles aufschreiben, was sie wussten, über das Leben mit seiner Mutter und wie sie es gefunden und was sie gefühlt hatten. Oft hatte das sehr weh getan, doch letztlich geholfen. Das hatte sie zusammengeschmiedet, Vater und Sohn.

      Als Finn all das Julia an einem dieser glücklichen Nachmittage erzählt hatte, hatte sie weinen müssen. „Das tut mir so leid, oh mein Gott“, hatte sie geschluchzt und ihn an schlechte amerikanische Filme erinnert. „Da hast du schon richtigen Schmerz erlebt und ich kenne das nur aus dem Fernsehen.“ Finn hatte weggeschaut, so hatte er sich für sie geschämt, für seine kleine dumme Freundin Julia. Nach einer Weile hatte sie ihn in den Arm genommen und alles war wieder gut gewesen, fast.

      Das sind absolut die falschen Gedanken, wenn man einschlafen will, um morgen fit wie ein Äffchen zu sein, dachte er und musste grinsen.

      Er kramte das Pornoheft unter dem Bett hervor und schaltete die Leselampe an. Am besten gefiel ihm „Melody“, sie war so ernst und so schön, diese tiefgründigen Augen und diese glanzroten Lippen, halb geöffnet, mit dem Hauch eines Lächelns. Für ihren Körper brauchte sie einen Waffenschein. Das, was sie da mit diesem Chromstab zwischen ihren gespreizten Beinen tat, passte gar nicht zu ihrer geheimnisvollen Aura, machte Finn aber an, manchmal, heute eher nicht. Dies hier und seine Sehnsucht nach Julia gehörten nicht zusammen, waren getrennte Welten. Schnell packte er das Heft wieder weg und löschte das Licht. Er spürte die Scham auf seinen Wangen, drehte sich weg in das Kissen.

      So flossen seine Gedanken und Bilder durch ihn hindurch, nahmen ihn mit in den Schlaf und spülten ihn wieder an den Rand des unbewussten Stromes, nur um ihn wieder in einen neuen Traumwirbel zu spülen:

      Finn steht auf der Torlinie und macht sich für den Elfmeter bereit. Die Sturmspitze der Blau-Weißen legt sich den Ball zurecht. Um ihn herum das riesige Oval der Tribünen des Stadions bis zum Horizont, ausverkauft. Achtzigtausend Augenpaare sind auf ihn gerichtet. Es ist so still, als habe jemand den Ton abgedreht. Schräg hinter dem Schützen steht Schneider, Marcus Schneider, sein Idol. Er lächelt ihm zu und zeigt den Daumen nach oben. Der Stürmer der Blau-Weißen läuft an, holt aus zum Schuss, ein kurzes Zögern, Finn wartet, sieht ihm in die Augen. Dann der Schuss, das Leder, im Bogen geschlenzt, will ins rechte Eck, Finns Beine ein Katapult, schleudert ihn im riesigen Satz, im Katzensprung, im Flug mit gedehntem Körper und gestreckten Armen zum Ball. Und mit den Fingerspitzen der linken Hand streift er die Kugel und lenkt sie hauchzart über das Aluminium. Ein Orkan bricht los. Das Stadion brennt. Die Schwarz-Gelben stürzen auf ihn zu, als erster Marcus Schneider. Im wilden Knäuel der Begeisterung fallen sie übereinander und über ihn her, den Helden von Schwarz-Gelb Dortmund. Schneider drückt ihn fest an sich, küsst ihn auf den Hals, auf die Wange und auf den Mund. Küsst ihn feucht und genüsslich, küsst ihn wie sonst nur Julia. Finn wehrt sich drückt ihn weg, will nur weg, schreit: „Hau ab, du Sau!“ Schneider schaut ihn an, ruft: „Aber Finn, Finn …“

      „… Finn, Finn, wach auf!“

      Als er die Augen öffnete, saß sein Vater an seinem Bett und sah ihn fragend an. „Du hast geschrien. War es wieder so ein Albtraum? Hast du wieder von Mutter geträumt?“ Rolf sah ihn besorgt an.

      „Albtraum ja, aber nicht von Mutter.

      01:00 – 02:00

      Eingesperrt

      Silvana Richter

      Madame Tussaud lag auf dem Bett und lauschte, den Blick starr auf die Tür geheftet − festgetackert sozusagen. Sie wagte kaum zu blinzeln, aus Angst, den Moment zu verpassen, in dem sich die Klinke nach unten bewegt. „Die hypnotisiert wieder die Tür“, würde diese Frau sagen, bei der Dominik sie manchmal ablieferte und die er Tante Tilly nannte. Eine grässliche Alte, die immer wollte, dass sie sich zu ihr auf die Couch legte, sobald Dominik ihr einen Kuss auf die Schnauze gab und zur Tür hinaus verschwand. Widerwillig, aber ohne Knurren, ertrug Madame Tussaud dann die Umarmungen, die ihr fast die Luft abschnürten, oder das Gewuschel durch ihre Locken und das rhythmische Patschen auf den Kopf, als wäre der ein Tennisball. Wenn sie mal nach draußen gingen, dann immer nur einmal die Straße rauf und runter. Und sobald sie etwas Interessantes entdeckte und stehen blieb, zerrte Tante Tilly sie augenblicklich weiter. Sie hasste diese Tillytage. Lediglich die Schokodinger, die ihr die Frau vorsetzte, machten das ganze erträglich. Und Jacqueline natürlich, die nebenan wohnte und rüberkam, wenn sie durfte. Dann war schon mal ein längerer Spaziergang drin oder sie vergnügten sich mit einem Spiel. Mit ihr klappte auch die Verständigung besser als mit dieser Tante, die sich so komisch bewegte und nicht so recht zu durchschauen war. Wenn Dominik sie dorthin brachte, fragte sie sich, warum er sie so bestrafte und die Angst, dass er nicht mehr zurückkam, überfiel sie jedes Mal aufs Neue. Dann quälte sie die Erinnerung an die Tage, an denen sie sehnsüchtig jedem Zweibeiner ihre Schnauze durch die Gitterstäbe entgegenschoben hatte. Der, der jeden Tag das Futter brachte und mit einem Wasserstrahl den Boden säuberte, kümmerte sich nicht weiter um sie oder die anderen. Aber es kamen auch solche, die nur einmal, dann aber langsam, von Käfig zu Käfigen schritten. Die musste man beeindrucken. Allerdings war das Wie unklar und

Скачать книгу