Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber. Markus Veith

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Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber - Markus Veith

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gekauft. Angemeldet war sie auf Eva. Die Schein-Ehefrau von Marcus.

      Er vergrub sein Gesicht noch tiefer in das Fell seines Pudels und weinte.

      Als er wieder hochsah, entdeckte er einen schwarz-gelben Vogel, der sich neben ihm auf der Bank niederließ. Er sah genauer hin.

      Hatte er jetzt Halluzinationen? Der sah aus wie ein Wellensittich. Aber die waren doch eigentlich nur gelb-grün. Es gab keine schwarz-gelben Wellensittiche. Zumindest hatte er noch nie einen gesehen. Er scheuchte ihn weg. Schwarz-gelb – er konnte es nicht mehr sehen.

      Er musste daran denken, dass Marcus ihm Geld angeboten hatte. Als ob er eine Nutte wäre. Das hatte ihn am meisten verletzt.

      120 Jahre war seine Kneipe im Familienbesitz gewesen. 120 Jahre. Seine Mutter sprach kein Wort mehr mit ihm, seine Geschwister hatten sich von ihm abgewandt. Sein Vater würde ihn umbringen, wenn er noch lebte.

      Dominik hatte alles verkauft, um mit ihm nach Chelsea zu gehen. Und danach vielleicht auch noch nach Frankreich oder Spanien. Überallhin wäre er ihm gefolgt. Marcus war die Liebe seines Lebens.

      Ohne ihn hatte sein Leben keinen Wert mehr.

      „Es ist zu gefährlich in London. Es gibt so viele Paparazzi dort. Die Reporter sind dort anders. Denk an Lady Di. Wir können kein Risiko eingehen. Ich bin geliefert, wenn das raus kommt. Es ist aus. Endgültig.“

      „Ich warte auf dich“, hatte er geschrien. „Ich hab alles für dich aufgegeben. Ich liebe dich!“

      „Es geht nicht. Schluss. Aus. Vorbei!“, hatte Marcus kühl geantwortet.

      „Ich hab meine Koffer schon gepackt – den Flug gebucht. Letztens hab ich mir im Internet ein paar zum Verkauf stehende Pubs angesehen. Ich hab schon einem Namen für den Laden: Purple Poodle. Und Madame Tussaud werde ich dann rosa färben. Das wird fantastisch. Die Engländer sind genau das richtige Volk dafür. Die sind so abgefahren. Bitte Marcus. Bitte!“

      Er hatte ihn angefleht, geheult, geschrien. Aber Marcus hatte ihn mitleidig angeschaut.

      „Brauchst du Geld? Ist es das?“

      Er hatte ihn fassungslos angesehen. Dann war Marcus gegangen. Nicht mal die Tür hatte er hinter sich zugemacht. Er war verloren. Marcus hat ihn gedemütigt − verletzt.

      „Das wirst du büßen, Marcus, das wirst du mir büßen und wenn es das Letzte ist, was ich auf dieser Welt tun werde!“, hatte er hinter ihm her geschrien.

      Aber wie?

      Er band Madame Tussaud die Leine um und sie folgte ihm widerspenstig.

      Heute Morgen würde er Madame Tussaud bei seiner Tante abgeben. Sie war die Einzige aus seiner Familie, die noch mit ihm sprach. Auf dem Weg konnte er auch noch die Videos in der 24-Std.-Videothek abgeben.

      „Stadt der Engel“, bestimmt zwanzigmal hatte er ihn sich schon angeschaut und „Ghost Rider“, das war ein Motorrad-Stuntman, der seine Seele verkauft und in der Gestalt eines feurigen Dämons durch die Nacht jagt. Ein cooler Film. Und auf Nicholas Cage fuhr er ab. Er hatte Ähnlichkeit mit Marcus. Seine Seele würde er jetzt auch verkaufen, wenn er wüsste, wie er sich rächen könnte. Aber ihm würde schon etwas einfallen.

      03:00 – 04:00

      Heinrich macht sich Gedanken

      Achim Albrecht

      Es ist nichts Tolles daran, wenn man aus Herne kommt. Es ist auch nichts Tolles daran, wenn man Heinrich heißt. Toll wird es erst dann, wenn man um 03:02 Uhr in einer fahlgrün gekachelten Toilettenzelle sitzt und sich dem Diktat seiner Prostata ergibt, die stillvergnügt vor sich hin wuchert und den Urin in winzige Tropfen portioniert, während der Harndrang eine volle Blase signalisiert. Voll um 23:11 Uhr, voll um 00:28 Uhr, voll um 01:56 Uhr, voll rund um die Uhr.

      In der Umgebung von Heinrich starben die altbekannten Gesichter. Rentner wie er. Zigarrenraucher, feiste Quetschbäuche, blasse Beine mit arthritischen Gelenken, Frauen in Gesundheitswäsche, die noch wussten, wie man echtes Essen aus echten Zutaten zubereitete, Ärzte, die noch den Krieg mitgemacht hatten und wussten, dass es vier oder fünf Basiskrankheiten gab, die mit einem halben Dutzend Therapien und einer Handvoll Tabletten zu bekämpfen waren. Nicht solche schräg geföhnten Typen, wie sein neuer Hausarzt, der mit einem Zahnpastalächeln einem verdienten Rentner auf die Nerven fiel und neumodischen Schnickschnack einführen wollte. Außerdem war er aus Süddeutschland, knapp oberhalb Siziliens, wenn man Heinrich fragte. Die Stimme ein einziger flötender Singsang. Fehlte noch, dass er sich schminkte. „Anamnese“, flötete der Schönling, als Heinrich in seiner schönsten Cordhose zum Rapport erschien. Heinrich traute seinen Ohren nicht. Der Kerl wusste noch nicht einmal, wie man „Ananas“ aussprach und gefrühstückt hatte Heinrich schon um 05:30 Uhr, wie jeden Morgen, und zwar Graubrot mit Teewurst, frischen Zwiebeln und einen Pott Caro-Kaffee, richtig stark mit drei Löffeln Instantpulver. Nichts für süddeutsche Bübchen in gestärkten, weißen Schürzenkleidchen. Mein Gott, wo war man nur hingekommen in dieser Republik, in der alles vor die Hunde ging außer der Fußballbundesliga und auch die war nicht mehr, was sie war. Seit wann musste man beim Arztbesuch exotisches Obst essen?

      ,Er solle gefälligst den Arsch zusammenkneifen und wie ein Mann reden‘, sagte Heinrich zu dem Arzt und tastete nach seiner Schiffermütze, die wie angegossen auf seinem eisengrauen Quadratschädel saß. Der Jungarzt lächelte verständnisvoll. Solche Typen hatten für alles Verständnis. Windelweichgespült, aber innerlich voller Heimtücke. ‚Arsch zusammenkneifen‘. Als hätte Heinrich prophetische Gaben. Von wegen abtasten. Mit dem Finger in den Hintern. Das wollte das Bürschchen. Das könnte ihm so passen. Prostata. Dass Heinrich nicht lachte. Zwei Hände voll Kürbissamen und ein ordentlicher Aquavit und sein Entsorgungssystem wäre wieder auf vollem Strahl. Der alte Siegmund mit seinem fleckigen Stethoskop und seiner spöttisch rauen Art hätte ihn verstanden. Er hatte ihn immer verstanden. Sie waren zwei Kerle aus dem gleichen Schrot und Korn, wie sie heute nicht mehr wuchsen. Drei Sorten Tabletten hatte ihm Siegmund immer verschrieben. Blutdruck, grauer Star und Arthrose. Die drei Heimsuchungen des Alters. Einmal abhören. Einatmen, ausatmen, Zunge raus und in die Augen schauen. Dann fertig. ,Du wirst so alt, wie dein Herz mitmacht. Keinen Tag länger‘. Eine klare Ansage. Ein Händedruck. ,Glück auf‘. Zwei Sätze Fußballlatein mit auf den Weg. So ging Arzt.

      Und jetzt das. Gebleckte Zähne, Kauderwelsch, Ananas auf ausländisch, seitlich auf die Pritsche legen, Hose runter, auch den Feinripp und in ein Gerät starren, das fiepend irgendwelche Linien auf einen Bildschirm schrieb. Bei dem Kugelroller und dem schmierigen Zeug auf dem Bauch hielt Heinrich noch mit zusammengebissenen Zähnen durch.

      Dann kam die Sache mit dem Finger. Ein manikürter Mittelfinger in Plastiklümmeltüte. Und Heinrichs geheiligter Ausgang. Ein bislang unangetastetes Geflecht aus Raute, Haut und Haaren, verwöhnt durch die gelegentliche Kosmetik von zweilagigem Toilettenpapier von Aldi. AUSGANG, kein EINGANG. Das hatte die kleine Schwuchtel von Arzt wohl nie so richtig gelernt. Bestimmt einer aus so einem Mafia-Internat, in dem man rhythmisch klatschte, seinen Namen tanzte und dafür das Abitur nachgeschmissen bekam. Heinrich hatte davon gehört. Er war ja nicht von gestern. Auch er brauchte Dinge, vor denen er sich ekelte. Dazu gehörten Stinkefinger, die dorthin gehen wollten, wo nie eines Menschen Finger zuvor gewesen war und Ananas beim Arzt. Ja, wo war denn überhaupt die Ananas? Nicht, dass Heinrich Appetit auf Obst in Sirup gehabt hätte, aber versprochen war versprochen.

      ‚Entspannen‘ und ,nur kurz abtasten‘ war das Letzte, was Heinrich hörte, bevor er sich von der Liege wälzte, den Hosenbund an sich zog und dem säuselnden

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