Buddenbrooks. Thomas Mann

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Buddenbrooks - Thomas Mann

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      Tony sagte:

      »Ich bin noch niemals so froh gewesen, nach Travemünde zu kommen, wie diesmal, … erstens aus allerhand Gründen, Tom, du brauchst dich durchaus nicht zu mokieren; ich wollte, ich könnte ein gewisses Paar goldgelber Kotelettes noch einige Meilen weiter zurücklassen … Dann aber wird es ein ganz neues Travemünde sein, da in der Vorderreihe bei Schwarzkopfs … Ich werde mich gar nicht um die Kurgesellschaft bekümmern … Das kenne ich zur Genüge … Und ich bin gar nicht dazu aufgelegt … Überdies steht dem … Menschen da draußen alles offen, er geniert sich nicht, paß auf, er würde eines Tages hold lächelnd neben mir auftauchen …«

      Tom warf die Zigarette fort und nahm sich eine neue aus der Büchse, in deren Deckel eine von Wölfen überfallene Troika kunstvoll eingelegt war: das Geschenk irgendeines russischen Kunden an den Konsul. Die Zigaretten, diese kleinen scharfen Dinger mit gelbem Mundstück waren Toms Leidenschaft; er rauchte sie massenweise und hatte die schlimme Gewohnheit, den Rauch tief in die Lunge zu atmen, so daß er beim Sprechen langsam wieder hervorsprudelte.

      »Ja«, sagte er, »was das betrifft, im Kurgarten wimmelt es von Hamburgern. Konsul Fritsche, der das ganze gekauft hat, ist ja selbst einer … Er soll augenblicklich glänzende Geschäfte machen, sagt Papa … Übrigens läßt du dir doch manches entgehen, wenn du nicht ein bißchen mittust … Peter Döhlmann ist natürlich dort; um diese Zeit ist er nie in der Stadt; sein Geschäft geht ja wohl von selbst im Hundetrab … komisch! Na … Und Onkel Justus kommt sicher Sonntags ein bißchen hinaus und macht der Roulette einen Besuch … Dann sind da Möllendorpfs und Kistenmakers, glaube ich, vollzählig, und Hagenströms …«

      »Ha! – Natürlich! Wie wäre Sarah Semlinger wohl entbehrlich …«

      »Sie heißt übrigens Laura, mein Kind, man muß gerecht sein.«

      »Mit Julchen natürlich … Julchen soll sich diesen Sommer mit August Möllendorpf verloben, und Julchen wird es tun! Dann gehören sie doch endgültig dazu! Weißt du, Tom, es ist empörend! Diese hergelaufene Familie …«

      »Ja, lieber Gott … Strunck & Hagenström machen sich geschäftlich heraus; das ist die Hauptsache …«

      »Selbstverständlich! und man weiß ja auch, wie sie's machen … Mit den Ellenbogen, weißt du … ohne jede Kulanz und Vornehmheit … Großvater sagte von Hinrich Hagenström: ›Dem kalbt der Ochse‹, das waren seine Worte …«

      »Ja, ja, ja, das ist nun einerlei. Verdienen wird groß geschrieben. Und was diese Verlobung betrifft, so ist das ein ganz korrektes Geschäft. Julchen wird eine Möllendorpf, und August bekommt einen hübschen Posten …«

      »Ach … du willst mich übrigens ärgern, Tom, das ist alles … Ich verachte diese Menschen …«

      Tom fing an zu lachen. »Mein Gott … man wird sich mit ihnen einrichten müssen, weißt du. Wie Papa neulich sagte: Sie sind die Heraufkommenden … Während zum Beispiel Möllendorpfs … Und dann kann man den Hagenströms die Tüchtigkeit nicht absprechen. Hermann ist schon sehr nützlich im Geschäft und Moritz hat trotz seiner schwachen Brust die Schule glänzend absolviert. Er soll sehr gescheut sein und studiert Jura.«

      »Schön … aber dann freut es mich wenigstens, Tom, daß es auch noch andere Familien gibt, die sich vor ihnen nicht zu bücken brauchen, und daß zum Beispiel wir Buddenbrooks denn doch …«

      »So«, sagte Tom, »nun wollen wir nur nicht anfangen zu prahlen. Ihre wunden Punkte hat jede Familie«, fuhr er mit einem Blick auf Jochens breiten Rücken leiser fort. »Wie es zum Beispiel mit Onkel Justus steht, weiß der liebe Gott. Papa schüttelt immer den Kopf, wenn er von ihm spricht, und Großvater Kröger hat ein paarmal, glaube ich, mit großen Summen aushelfen müssen … Und mit den Vettern ist auch nicht alles in Ordnung. Jürgen, der ja studieren will, kommt immer noch nicht zum Abgangsexamen … Und mit Jakob, bei Dalbeck & Comp. in Hamburg, soll man gar nicht zufrieden sein. Er kommt niemals mit seinem Gelde aus, obgleich er wohl versorgt wird; und was Onkel Justus ihm verweigert, das schickt ihm Tante Rosalie … Nein, ich finde, man soll keinen Stein aufheben. Wenn du übrigens den Hagenströms die Waagschale halten willst, so solltest du doch Grünlich heiraten!«

      »Sind wir in diesen Wagen gestiegen, um davon zu sprechen? Ja! Ja! ich sollte es vielleicht! Aber ich will jetzt nicht daran denken. Ich will es einfach vergessen. Nun fahren wir zu Schwarzkopfs. Ich habe sie wissentlich nie gesehen … Es sind wohl nette Leute?«

      »Oh! Diederich Swattkopp, dat is'n ganz passablen ollen Kierl … Das heißt, so spricht er nicht immer, sondern nur, wenn er mehr als fünf Gläser Grog getrunken hat. Einmal, als er im Kontor gewesen war, gingen wir zusammen in die Schiffergesellschaft … Er trank wie ein Loch. Sein Vater ist auf einem Norwegenfahrer geboren und nachher Kapitän auf dieser Linie gewesen. Diederich hat einen guten Bildungsgang gemacht; die Lotsenkommandantur ist eine verantwortliche und ziemlich gut bezahlte Stellung. Er ist ein alter Seebär … aber immer galant mit den Damen. Paß auf, er wird dir die Kur machen …«

      »Ha! – Und die Frau?«

      »Seine Frau kenne ich selbst nicht. Sie wird schon gemütlich sein. Übrigens ist da ein Sohn, der zu meiner Zeit in Sekunda oder Prima saß und jetzt wohl studiert … Sieh mal, da ist die See! Eine kleine Viertelstunde noch …«

      In einer Allee von jungen Buchen fuhren sie eine Strecke ganz dicht am Meere entlang, das blau und friedlich in der Sonne lag. Der runde gelbe Leuchtturm tauchte auf, sie übersahen eine Weile Bucht und Bollwerk, die roten Dächer des Städtchens und den kleinen Hafen mit dem Segel- und Tauwerk der Böte. Dann fuhren sie zwischen den ersten Häusern hindurch, ließen die Kirche zurück und rollten die »Vorderreihe«, die sich am Flusse hinzog, entlang bis zu einem hübschen kleinen Hause, dessen Veranda dicht mit Weinlaub bewachsen war.

      Lotsenkommandeur Schwarzkopf stand vor seiner Tür und nahm beim Herannahen der Kalesche die Schiffermütze ab. Es war ein untersetzter, breiter Mann mit rotem Gesicht, wasserblauen Augen und einem eisgrauen, stacheligen Bart, der fächerförmig von einem Ohr zum anderen lief. Sein abwärts gezogener Mund, in dem er eine Holzpfeife hielt und dessen rasierte Oberlippe hart, rot und gewölbt war, machte einen Eindruck von Würde und Biederkeit. Eine weiße Pikeeweste leuchtete unter seinem offenen mit Goldborten verzierten Rock. Breitbeinig und mit etwas vorgestrecktem Bauche stand er da.

      »Ist wahrhaftig eine Ehre für mich, Mamsell, alles was recht ist, daß Sie eine Zeitlang bei uns fürliebnehmen wollen …« Er hob Tony mit Behutsamkeit aus dem Wagen. »Kompliment, Herr Buddenbrook! Wohlauf, der Herr Papa? Und die Frau Konsulin?… Ist mir ein aufrichtiges Pläsier!… Na, treten die Herrschaften näher! Meine Frau hat wohl so etwas wie einen kleinen Imbiß bereit. – Fahr'n Se man to Gastwirt Peddersen«, sagte er zum Kutscher, der den Koffer ins Haus getragen hatte; »da sünd de Pierd ganz gaut unnerbracht … Sie übernachten doch bei uns, Herr Buddenbrook?… I, warum nicht gar! Die Pferde müssen doch verschnaufen, und dann kämen Sie ja nicht vor Dunkelwerden zur Stadt …«

      »Wissen Sie, hier wohnt man mindestens so gut, wie draußen im Kurhaus«, sagte Tony eine Viertelstunde später, als man in der Veranda um den Kaffeetisch saß. »Was für prachtvolle Luft! Man riecht den Tang bis hierher. Ich bin entsetzlich froh, wieder in Travemünde zu sein!«

      Zwischen den grünbewachsenen Pfeilern der Veranda hindurch blickte man auf den breiten, in der Sonne glitzernden Fluß mit Kähnen und Landungsbrücken und hinüber zum Fährhaus auf dem »Priwal«, der vorgeschobenen Halbinsel Mecklenburgs. Die weiten, kummenartigen Tassen mit blauem Rande waren ungewohnt plump im Vergleich mit dem zierlichen alten Porzellan zu Hause; aber der Tisch, auf dem an Tonys Platz ein Strauß

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