Eiserner Wille. Mike Tyson
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Als ich zu Cus kam, benutzte er das Zen-Buch bereits als Teil seines Lehrplans. Cus dachte wohl, das Lesen würde mir mit vierzehn zu schwer fallen, deshalb las er mir vor. Das Buch erzählt von einem deutschen Philosophieprofessor, der in den 1920er-Jahren eine Form des japanischen Bogenschießens erlernte. Schon als mir Cus die Einleitung des Buches von Daisetz Suzuki, einem berühmten Zen-Schüler, vorlas, erkannte ich, dass dies nicht nur Lektionen für das Boxen waren, sondern für das Leben überhaupt.
„Eine der bedeutendsten Eigenschaften der Kunst des Bogenschießens – und auch jeglicher anderer Form von Kunst, wie sie in Japan studiert wird und wohl auch in anderen fernöstlichen Ländern – ist, dass sie nicht nur nützlich ist oder dem puren ästhetischen Genuss dient, sondern auch dazu bestimmt ist, das Gehirn zu trainieren, es in Kontakt zu bringen mit der Realität. Das Bogenschießen wird somit nicht ausschließlich genutzt, um das Zielobjekt zu treffen, der Schwertkämpfer benutzt das Schwert nicht nur, um seinen Gegner zu übertreffen, der Tänzer tanzt nicht nur, um bestimmte rhythmische Bewegungen seines Körpers an den Tag zu legen“, schrieb Mr. Suzuki, „das Gehirn muss zuerst dem Unterbewusstsein angepasst werden. Wenn jemand wirklich ein Meister seiner Kunst sein will, ist technisches Wissen nicht genug. Man muss über die Technik hinausgehen, sodass die Kunst zu einer ‚unverkünstelten Kunst‘ wird, die aus dem Unterbewusstsein kommt. Im Fall des Bogenschießens sind Schütze und Treffer keine gegensätzlichen Dinge, sondern eine Realität. Der Bogenschütze hört auf, sich als jemanden zu betrachten, der damit beschäftigt ist, die Zielscheibe zu treffen. Dieser unbewusste Zustand kann nur hergestellt werden, wenn er, komplett leer und losgelöst von seinem Selbst, eins wird mit der Vervollkommnung seiner technischen Fähigkeit … Zen ist das ‚Alltagsbewusstsein‘ … Der Mensch ist ein denkendes Geschöpf, aber seine besten Arbeiten gelingen ihm, wenn er nicht kalkuliert, nicht überlegt. Das ‚Kindlichsein‘ muss durch lange Jahre des Trainings in der Kunst des Selbstlosen wiederhergestellt werden. Wenn das erreicht ist, überlegt der Mensch nicht mehr. Er denkt wie ein Regenschauer, der vom Himmel fällt, er denkt wie die Wellen, die im Ozean wogen, er denkt wie die Sterne, die den nächtlichen Himmel erleuchten; er denkt wie das grüne Laub, das in der sanften Frühlingsbrise dahinweht. Er ist tatsächlich wie der Regenschauer, der Ozean, die Sterne, das Laub. Wenn ein Mensch dieses Stadium der ‚spirituellen‘ Entwicklung erreicht, dann ist er ein Zen-Lebenskünstler. Er braucht weder Leinwand noch Pinsel und Farbe wie der Maler, noch benötigt er Bogen, Pfeil und Zielscheibe wie der Bogenschütze. Er hat seine Gliedmaßen, Körper, Kopf und weitere Körperteile. Seine Hände und Füße sind die Pinsel und das ganze Universum ist die Leinwand, auf der er sein Leben für siebzig, achtzig oder sogar neunzig Jahre darstellt. Dieses Bild wird ‚Geschichte‘ genannt.“
Cus griff auf eine Vielzahl von Methoden zurück, um diese Theorien umzusetzen. Einmal hatte einer seiner Amateurboxer namens Paul Mangiamele einen erfolgreichen Kampf gehabt und wurde daraufhin ein wenig eingebildet. Er schlug seinen Gegner nieder und sah in seine Ecke hinüber, wo Cus am Ring saß. Er blinzelte und formte lautlos mit den Lippen die Worte „Ich hab’s geschafft“. Als der Kampf vorüber war, gab Cus ihm Saures.
„Mach das nie wieder!“, brüllte er, „du sollst nicht in den Ring steigen und so eine Scheiße veranstalten. Konzentrier dich. Wenn du nicht bei der Sache bist, dann wirst du verletzt werden.“ Das war das letzte Mal, dass Paul etwas Derartiges abzog.
Mein Mitbewohner Frankie Mincelli war vor seinen Kämpfen immer wahnsinnig aufgeregt. Deshalb nutzte Cus eines unserer gemeinsamen Abendessen, um ihn zu beruhigen. „Du musst versuchen, dich komplett zu entspannen, um den Überblick zu behalten. Wenn ein Mensch zu sehr nachdenkt und sich zu große Sorgen darüber macht, dass er verprügelt werden könnte“, sagte Cus, „dann wird er tatsächlich verprügelt. Und dann, wenn du Schläge einsteckst, dann must du am gelassensten sein. Ein professioneller Boxer muss lernen, zuzuschlagen und nicht geschlagen zu werden, und gleichzeitig aufmerksam sein.“
Cus gab mir regelmäßig Unterricht darin, außerkörperliche Erfahrungen zu machen. Wenn ich vor dem Fernseher saß, kam er und sagte: „Lass uns eine Session machen.“ Er setzte sich neben mich und sagte dann: „Komm aus dir heraus. Konzentrier dich. Entspann dich, bis du siehst, wie du dich von außen betrachtest. Sag mir, wenn du dort angekommen bist.“
Für mich war sehr wichtig, zu lernen, wie man sich von seinen Gefühlen löst. Es ist, als ob du dir selbst beibringst, ein professioneller Lügner zu sein. Immer wenn ich mich im Ring nicht von meinen Emotionen lösen kann, komme ich mir schäbig vor. Ich bin zu emotional da draußen. Ich werde möglicherweise einem Typen einen harten Punch verpassen und Angst bekommen, wenn er nicht k. o. geht. Deshalb war das Lernen der Zen-Distanziertheit definitiv lebenswichtig für mich.
Für Cus waren die Beherrschung der Angst und das Sich-Lösen von seinen Gefühle im Ring von größter Wichtigkeit; darüber hinaus vertraute er auch sehr auf die Stärkung des Selbstbewusstseins durch die Kraft der Gedanken. Er war ein Verfechter des positiven Denkens, der Nutzung von Affirmationen zur täglichen Stärkung des Selbstbewusstseins.
Kurz vor dem Ende der Wirtschaftskrise gab es zwei Autoren, die darüber schrieben, wie du positives Denken einsetzen kannst, um im Leben Erfolg zu haben. 1936 schrieb Dale Carnegie einen Bestseller mit dem Titel Wie man Freunde gewinnt – Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden. Ein Jahr später schrieb ein Typ namens Napoleon Hill ein Selbsthilfebuch mit dem Titel Denke nach und werde reich. In den frühen Fünfzigern schrieb Dr. Norman Vincent Peale einen Weltbestseller, in dem er eine christliche Version des positiven Denkens vertrat, mit dem Titel Die Kraft positiven Denkens. Aber Cus hielt nicht viel von diesen Typen. Er glaubte, dass jedes positive Denken aus dem Unterbewusstsein kommen müsse, so wie bei den Zen-Bogenschieß-Übungen.
Cus hatte ein Buch mit dem Titel Die Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion ausgegraben, das 1922 in den Vereinigten Staaten von einem französischen Pharmazeuten namens Émile Coué veröffentlicht worden war. Es war klar, warum Cus diesen Typen liebte. Coué war brillant: Er führte seine Apotheke von 1882 bis 1910, dann eröffnete er eine Klinik, in der er Menschen durch positive Autosuggestion kostenlos behandelte. Als Apotheker hatte er gesehen, wie der Placebo-Effekt auf einige seiner Kunden wirkte, und so kam er auf den Gedanken, dass eine regelmäße Selbstbestärkung dasselbe bewirken konnte. „Ich habe niemals in meinem Leben jemanden geheilt. Alles was ich mache, ist, Leuten zu zeigen, wie sie sich selbst heilen können“, sagte er.
Coué war der Meinung, dass, um Krankheiten zu heilen, die Vorstellungskraft einer Person geweckt und gelenkt werden müsse. „Sie besitzen eine unbegrenzte Macht: den Geist. Er wirkt umgestaltend auf das Körperliche ein, wenn man ihn zu beherrschen weiß. Die Vorstellungskraft gleicht einem Pferd ohne Zaum und Zügel; wenn Sie so ein Tier vor ihren Wagen spannen, kann es alle möglichen Dummheiten, auch lebensgefährliche, anstellen. Aber wenn es richtig angeschirrt ist, brauchen Sie es nur mit sicherer Hand zu lenken, und es geht, wohin Sie wollen. Ganz so verhält sich auch der Geist, die Vorstellungskraft. Uns zum Heil müssen wir sie lenken.“ Das klingt sehr nach dem, was Cus über die Angst zu sagen pflegte.