Pelé - Warum Fußball?. Pelé
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Mit nichts von alledem ließ sich viel Geld verdienen. Baurú war so arm wie das restliche Brasilien. Oft schien es, als gäbe es mehr Schuhputzer als Schuhe. Egal, wie viel ich einnahm, ich gab alles pflichtbewusst meiner Mutter, die davon Essen für uns kaufte. Wenn es uns mal etwas besser ging, gab sie mir ein paar Münzen, damit ich am Sonntag ins Kino gehen konnte.
Dann war da noch die Schule. Ich muss gestehen, dass meine schulischen Leistungen leider nicht mit meiner Performance auf dem Spielfeld Schritt halten konnten. Meine Begeisterung für Fußball machte mich zu einem schwierigen und aufmüpfigen Schüler. Manchmal verließ ich einfach das Klassenzimmer, um im Schulhof mit einem zusammengeknüllten Stück Papier zu dribbeln. Meine Lehrer gaben ihr Bestes: Sie versuchten mich zu disziplinieren, indem sie mich auf getrockneten Bohnen knien ließen. Hin und wieder stopften sie mir Papierkugeln in den Mund, damit ich aufhörte zu quasseln. Ein Lehrer stellte mich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke. Dort musste ich die Arme von mir strecken, so wie die Christus-Statue in Rio. Ich weiß noch, dass ich einmal ziemlichen Ärger bekam, weil ich unter das Pult der Lehrerin gekrabbelt war und einen Blick unter ihren Rock riskiert hatte.
Mit der Zeit entmutigte mich die Schule. Es gab so viele andere Dinge zu tun. Ich muss leider zugeben, dass ich nur mehr sporadisch in der Klasse auftauchte. Das war damals typisch für mich. In den späten Vierzigern ging überhaupt nichts. Nur jedes sechste Kind schaffte es in die Oberschule. Trotzdem soll das nicht als Ausrede gelten. Später sollte ich es bereuen, in der Schule nicht besser aufgepasst zu haben, und musste mich gehörig ins Zeug legen, um dieses Defizit wieder wettzumachen.
Ich konzentrierte meine nicht unbeträchtliche Energie auf das Fußballfeld. Dort mussten wir nicht über Armut, unsere Eltern oder tragische Ereignisse nachdenken. Auf dem Platz war niemand arm oder reich, dort konnten wir einfach nur spielen. Wir verbrachten unsere Tage damit, über das Spiel zu sprechen und es zu leben. Selbstverständlich hatten wir noch keine Ahnung, dass Fußball dem größten Spektakel, das je in Brasilien stattfinden sollte, bald eine Bühne bieten würde.
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Seit jeher hält kaum etwas die Menschen so in Atem wie die Weltmeisterschaft. Das Turnier versammelt alle vier Jahre Länder aus der ganzen Welt, um einen Monat lang zu spielen und zu feiern. Es ist eine Riesenparty, zu der die ganze Welt eingeladen ist. In den letzten 56 Jahren war ich bei jeder einzelnen, entweder als Spieler, Fan oder „Botschafter des Fußballs“, zu dem ich ernannt wurde. Aus Erfahrung kann ich besten Gewissens behaupten, dass es nichts Besseres gibt. Natürlich sind auch die Olympischen Spiele großartig, doch finden dort für meinen Geschmack zu viele verschiedene Wettkämpfe statt. Bei der Weltmeisterschaft dreht sich alles nur um Fußball. Es ist ein Turnier, das einem berauschenden Höhepunkt, dem Endspiel um die Krone im Fußball, entgegenstrebt.
Die Weltmeisterschaft ist mittlerweile eine solche Institution, dass es beinahe so scheint, als hätte es sie schon immer gegeben. Doch als 1950 die WM in Brasilien ausgetragen wurde, war sie noch ein relativ junges Konzept und stand mehr oder weniger auf wackligen Beinen. Die erste WM hatte 1930, also 20 Jahre zuvor, stattgefunden. Der Franzose Jules Rimet, der Präsident der FIFA, also des Weltfußballverbandes, entschloss sich, den immer beliebter werdenden Sport in die Auslage zu stellen. Sein Plan war es, alle vier Jahre ein Turnier zu veranstalten, das genau zwischen zwei Olympischen Sommerspielen stattfinden sollte. Er hoffte, dadurch das Ansehen der Nationalmannschaften zu stärken und außerdem einen Beitrag zur globalen Eintracht leisten zu können. Leider gab es damals nur männliche Auswahlmannschaften – etliche Jahrzehnte später hatte schließlich jemand die brillante und längst überfällige Idee, auch Weltmeisterschaften für Frauenteams auszutragen.
An den ersten paar Weltmeisterschaften nahmen so unterschiedliche Teams aus Ländern wie Kuba, Rumänien und Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien, genauso teil wie die bereits etablierten Supermächte des Fußballs, Brasilien und Italien. Die Weltmeisterschaft wurde immer prestigeträchtiger und zog immer mehr Zuschauer an, und 1938, als die WM in Frankreich stattfand, pilgerten zehntausende Menschen zu den Spielen. Jedoch kam es im Vorfeld des Turniers zu einigen schicksalsträchtigen Ereignissen. So musste das Team aus Österreich in letzter Minute seine Teilnahme absagen, da das Land drei Monate zuvor von Deutschland annektiert worden war. Die besten österreichischen Spieler wurden in die deutsche Auswahl berufen, die allerdings bereits in der ersten Runde vor einem feindlich gesinnten, mit Flaschen werfenden französischen Publikum ausschied. Es sollte leider nicht das letzte Mal bleiben, dass die Politik auf das Spiel übergriff.
Als im Jahr darauf der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde die Weltmeisterschaft – wie so viele andere Dinge – lange auf Eis gelegt. Der Krieg endete 1945, aber weite Teile Europas waren verwüstet. Der Wiederaufbau stand im Mittelpunkt, und es sollten noch Jahre vergehen, bis jemand es für möglich hielt, ein weiteres globales Fußballturnier zu organisieren. Für 1950 aber schien die Zeit reif, einen neuen Anlauf zu wagen, doch brauchte man ein Land, das den Krieg unbeschadet überstanden hatte und die entsprechende Infrastruktur bieten konnte. Somit kam Brasilien ins Spiel.
Als sich Brasilien bereiterklärte, die WM 1950 auszutragen, mussten einige Länder absagen, da ihnen schlicht die finanziellen Mittel fehlten, Teams nach Südamerika zu entsenden. Damals konnte man noch nicht so einfach um die halbe Welt jetten, eine Flugreise von Europa nach Brasilien konnte an die 30 Stunden dauern, während der man oft zwischenlanden musste. Das geteilte und besetzte Deutschland wurde von der Teilnahme ausgeschlossen. Das Gleiche galt für Japan. Schottland und die Türkei sagten kurzfristig ab. Letztlich kamen nur sechs Teams aus Europa, neben Südamerika die Hochburg des Fußballs. Das war natürlich sehr schade für sie – aber umso besser für Brasilien. Wir jagten immer noch unserem ersten Titel hinterher und dachten, dass er überfällig wäre. Nun, da die Konkurrenz überschaubar war und das Turnier auch noch bei uns zu Hause stattfand, war eigentlich alles angerichtet.
In Baurú, so wie auch überall sonst in Brasilien, waren alle im WM-Fieber. Vielleicht gar nicht so sehr wegen der WM an sich, aber wegen des bevorstehenden Titelgewinns. Ich war gerade erst neun, aber alt genug, um mich von der Stimmung anstecken zu lassen. Ich erinnere mich an die selbstbewussten Worte meines Vaters, die er immer wieder sprach, während wir vor dem Radio saßen und der Berichterstattung folgten: „Der Titel gehört uns, Dico!“
Meine Freunde unterhielten sich über Feiern und Paraden und stritten sich darüber, wer die Trophäe tatsächlich mit eigenen Augen sehen würde. Wir trugen unsere Spiele auf der Straße aus und stellten uns dabei als Weltmeister vor. Eigentlich war es ziemlich verblüffend, dass, egal wohin ich ging, niemand auf die Idee kam, Brasilien könnte das Turnier nicht als Sieger beenden.
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Eine neue Form der Energie rollte durch Brasilien. Jeder konnte es spüren. Die Menschen waren beschwingt von dem Verlangen, die Welt zu beeindrucken, was auch für abgelegene Orte wie Baurú galt, wo die WM nicht viel greifbarer als ein Gerücht war. Daher beschlossen wir Spieler von der Rubens-Arruda-Straße, ein Zeichen zu setzen und uns selbst zu einer ordentlichen Mannschaft – wie dem brasilianischen Nationalteam oder Dondinhos BAC – zusammenzuschließen. Wir brauchten eine ordentliche Ausrüstung – Trikots, Hosen, Schuhe und Strümpfe. Und selbstverständlich benötigten wir einen besseren Ball als den, den wir uns aus zusammengerollten Socken gebastelt hatten.
Die Sache hatte nur einen Haken. Wir waren komplett blank.
Ich