Pelé - Warum Fußball?. Pelé

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Pelé - Warum Fußball? - Pelé

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es bei uns keine Rassentrennung, wie sie etwa in den USA üblich war, weil sich die Menschen bei uns im Laufe der Zeit, nun ja, vermischten. Daher wäre es sehr schwer gewesen, festzulegen, ob nun jemand weiß oder schwarz war, und wer auch immer es tat, musste mit ernsthaften Kopfschmerzen rechnen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Schwarzen waren auch rar. Besonders als ich aufwuchs, hieß es regelmäßig, dass es sich bei Brasilien um eine „ethnische Demokratie“ handele. Sports Illustrated schrieb einst, dass ich glücklicherweise an einem der wenigen Orte auf der Welt lebe, wo die Hautfarbe keinen Effekt auf das Leben eines Menschen habe.

      Allerdings war das nicht die ganze Wahrheit. Die befreiten Sklaven und ihre Nachkommen hatten ein schwereres Leben als die meisten anderen zu bewältigen. Obwohl es keine offizielle Diskriminierung gab, hatten schwarze Brasilianer oft keinen Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und anderen Dingen, die einem das Leben erleichtert hätten. Die Armut, in der ich aufwuchs und die auch meine Eltern in ihrer Kindheit erlebt hatten, ist meiner Meinung nach auch ein Resultat unserer Geschichte, obwohl dies nicht immer offensichtlich war. Die Sklaverei war jedenfalls kein weit entferntes oder gänzlich abstraktes Konzept für meine Familie. Die Eltern meiner Großmutter Dona Ambrosina, die bei uns lebte, waren selbst noch Sklaven gewesen. Unsere Familie war stolz auf ihren Weg, und ich selbst war – und bin es immer noch – stolz, schwarz zu sein. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass in Brasilien damals wie heute Menschen mit dunklerer Haut ärmer sind als Menschen mit hellerer Haut.

      Deshalb war Brasilien auch 1950 noch ein Land mit einer vorwiegend armen und mitunter verzweifelten Bevölkerung, die oft nicht genug zum Leben hatte. Dieses Bewusstsein verunsicherte brasilianische Politiker seit jeher. Vielleicht hilft es auch zu verstehen, warum die Hype-Maschinerie rund um die Weltmeisterschaft so hochtourig betrieben wurde. Letztlich wollten die Beamten in Rio nicht nur die Welt davon überzeugen, dass der Fortschritt nun Einzug hielt in Brasilien – sie wollten das auch mit aller Kraft vor allem ihrem eigenen Volk vermitteln.

      Jahre später war es uns ziemlich peinlich, wie wir uns 1950 benommen hatten. Allerdings glaube ich, dass Dondinho nur wiederholte, was er im Radio gehört hatte, wenn er sagte: „Der Sieg ist unser!“ Solche Worte kamen aus dem Mund von Politikern – manchmal sogar in Form von direkten Befehlen an die Medien. Ganz Brasilien erlag dieser Propaganda, und sie wirkte sich auf unglückliche Weise auch auf die Vorstellung auf dem Rasen aus – und war etwas, das ich in meinem Leben immer wieder und wieder und wieder miterlebt habe.

      - 10 -

      Als unsere Freunde und Verwandten in unser Haus strömten, stellte ich meinem Vater noch eine Frage.

      „Papa?“

      „Ja, Dico?“

      „Kann ich dich zu den Feiern in der Stadt begleiten?“

      Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich erkennen, dass meine Mutter heftig den Kopf schüttelte. Aber mein Vater tat so, als könnte er sie nicht sehen.

      „In Ordnung“, sagte er mit einem Lächeln. „Nicht lange, aber ein Weilchen.“

      Außer mir vor Freude begab ich mich zum Radio, um so gut es ging, dem Spielverlauf zu folgen. Das gewaltige Publikum im Maracanã brüllte vor Begeisterung. Der Radio-Ansager stellte nacheinander die einzelnen Spieler des brasilianischen Teams vor. Es war eine beeindruckende Truppe – eine Mischung aus begnadeten Spielern und bunten Persönlichkeiten. Da war etwa Zizinho, mein persönlicher Liebling, ein Mann, den viele mit Leonardo da Vinci verglichen, weil er ein solcher Künstler auf dem Spielfeld war. Barbosa, das Ass zwischen den Pfosten, hatte im Turnierverlauf nur vier Mal in sechs Spielen hinter sich greifen müssen. Und dann gab es da noch Ademir – den „Kiefer“! Nicht zu vergessen: Bigode, ein linker Außenverteidiger, der damals für Flamengo, einen der größten Clubs in Rio, spielte und der mit einem mächtigen Applaus von den Rängen willkommen geheißen wurde.

      Schließlich verkündete der Ansager den Namen des Kapitäns dieser Auswahl von 1950. Es handelte sich bei ihm um einen gefürchteten Verteidiger und mitreißenden Anführer, der immun gegen die Nervosität rund um große Spiele zu sein schien. Möglicherweise hatte das auch damit zu tun, dass er, bevor er als Fußballer Karriere machte, bei der brasilianischen Bundespolizei gearbeitet hatte. Er war nicht unbedingt torgefährlich, als Abwehrrecke konnte er bei 297 Einsätzen für seinen Club Vasco da Gama exakt null Treffer verbuchen. Aber in der Defensive war er wie ein Fels in der Brandung und hatte eine beruhigende Wirkung auf seine Mitspieler, was ideal war für ein Endspiel wie das bevorstehende.

      Der Name des Kapitäns? Augusto.

      Genau, jener Augusto, der acht Jahre zuvor mit meinem Vater auf dem Spielfeld in Minas Gerais zusammengestoßen war.

      Das nennt man wohl Schicksal – der eine Mann erholt sich und führt Brasilien beim Spiel um den Titel aufs Feld, während der andere zurück nach Baurú muss, da sein Knie im Eimer ist, wo er der Übertragung des Spiels im Radio lauscht.

      Falls Papa damals eifersüchtig war, so hat er es nie gezeigt. Ich nehme an, dass er einfach nur auf einen brasilianischen Triumph hoffte.

      - 11 -

      Die erste Hälfte war ein einziger brasilianischer Sturmlauf. Unsere herausragende Offensive mit ihren fünf Angreifern, die vom schrecklichen „Kiefer“ angeführt wurde, schoss ein ums andere Mal auf das Gehäuse der Urus. Zuschauer, die vor Ort waren, behaupteten, dass es nach der ersten Hälfte gut und gerne 2:0 oder sogar 3:0 hätte stehen müssen. Doch Uruguays Torwart Roque Máspoli schaffte es irgendwie, jeden Schuss bravourös abzuwehren, obwohl er auch sehr viel Glück hatte, wie manche berichteten. Roque schien auch in seinem späteren Leben das Glück für sich gepachtet zu haben: Gleich zwei Mal gewann er die staatliche Lotterie seines Landes. Also war der 16. Juli 1950 nicht der einzige Tag in seinem Leben, an dem die Kugel für ihn richtig rollte.

      Zu Beginn der zweiten Halbzeit gelang es Friaça endlich, Máspoli zu überwinden. Während sich Mama und Papa umarmten, sprinteten meine Freunde und ich hinaus auf die Straße und liefen durch die Nachbarschaft. Überall wurden Feuerwerke gezündet, und meine Ohren waren von einem süßen Summen erfüllt. Im Maracanã selbst warfen die Menschen mit Konfetti um sich und zündeten auch dort ein Feuerwerk. Die Euphorie war auf ihrem Höhepunkt, das landesweite Fest hatte begonnen.

      Als meine Freunde und ich zurück ins Haus kamen, war die Feier bereits in vollem Gange. Mein Vater und seine Freunde tranken Bier, unterhielten sich über ihre Spiele für BAC und hörten nur mehr mit einem Ohr dem Kommentator im Radio zu.

      Und plötzlich, fast nebenbei, hörten wir, wie der Mann von Radio Nacional verkündete:

      „Tor für Uruguay!“

      Moment mal. Was?

      „Tor für Uruguay!“

      Der Kommentator sagte später, dass er sich wiederholte, weil er gewusst habe, dass ihm seine Zuhörer beim ersten Mal nicht glauben würden.

      Bei uns herrschte Totenstille, als wir seiner Schilderung des Treffers folgten.

      „Gutes Kombinationsspiel des uruguayischen Angriffs, das zum Ausgleichstreffer führt“, verkündete der Radiomann mit plötzlich gedämpfter Stimme. „Bigode lässt sich von Ghiggia überrumpeln. Der flankt flach zur Mitte. Eine ideale Flanke. Schiaffino kommt über links und schießt ein!“

      Brasilien – Uruguay 1:1.

      Nun gut, das war eigentlich noch kein Grund zur Panik. Bei der WM 1950 musste jeder gegen jeden spielen, weil so wenige Teams am Turnier teilnahmen. Und so hätte Brasilien im letzten Spiel bereits ein Remis zum Titel

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