Blutige Straßen. Kerrie Droban

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Blutige Straßen - Kerrie Droban

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– April 2002

      Undercover-Informant „Rudy“ war der Katalysator für die Ermittlung, die später als Operation Black Biscuit in die Kriminalgeschichte einging: So bezeichnete man den ausgeklügelten Plan des Department of Treasury’s Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF), um die Arizona Hells Angels zu unterwandern und schließlich zu zerschlagen. Die Idee, ausgerechnet Rudy, rechtmäßiges Mitglied des in Tijuana ansässigen Solo Angeles Motorcycle Club (SAMC), einzusetzen, um die Arizona Hells Angels (HAMC) zu infiltrieren, stammte vom ATF-Agenten Joseph Slatalla (alias „Slats“ oder „Beef“) aus Phoenix.

      Der forsche und durch nichts zu beeindruckende Italiener ähnelte dem Schauspieler Ray Liotta auf eine nahezu unheimliche Art. Während seiner Karriere verbrachte er fünf Jahre in Detroit und sechs in Phoenix. In Miami nahm er zögerlich eine Beförderung zum Supervisor an, doch er kehrte ein Jahr darauf, genervt von den administrativen Aufgaben und dem Papierkram, nach Phoenix zurück. Beef war ein rastloser Charakter. Die Leidenschaft für seine Arbeit trieb ihn schon bald wieder auf die Straße und ins Zentrum der gewalttätigen Biker-Subkultur Arizonas. Vor der Versetzung nach Miami im Jahr 2001 hatte er 1997 bereits den Versuch unternommen, die Untiefen der Szene auszuloten.

      Seine damalige Ermittlung konzentrierte sich auf den Dirty Dozen Motorcycle Club, der 1996 damit begann, sich bei der größten Biker-Gang der Welt einzuschmeicheln – den Hells Angels. Doch Beefs Bemühungen, eine Task-Force mit dem Codenamen AMEN aufzustellen, verpufften im behördlichen Irrgarten aus Fehlinformationen, kleinkarierten Eifersüchteleien und frappanter Richtungslosigkeit. Konflikte innerhalb der Agency und juristische Probleme zwischen dem Büro des Generalstaatsanwalts von Arizona, dem Bezirksstaatsanwalt und dem US-Staatsanwalt für Arizona trugen zum Scheitern der Operation bei. Keines der Büros fühlte sich bemüßigt, Informationen oder Angaben zu Informanten den jeweils anderen Rechtsvertretern zukommen zu lassen.

      Die Dirty Dozen wurden schließlich von den Hells Angels absorbiert. Als Beef am Ende nach Phoenix zurückkehrte, bot sich ihm eine Wahlmöglichkeit: Entweder würde er für den Rest seiner Karriere hinter dem Schreibtisch vermodern und auf die Rente warten oder das Risiko eingehen, die Biker-Szene erneut anzugehen. Seine Entscheidung, eine neue Task-Force zur Infiltration der Hells Angels zu bilden, wurde nicht mit Wohlwollen begrüßt, doch Beef entschied sich, das Richtige zu tun und nicht den bequemen Weg einzuschlagen. Obwohl die meisten bei seinen ironischen und sarkastischen Anspielungen flüchteten, hörten sie auf seine Vorschläge. Beef symbolisierte die Stimme der Erfahrung – kein Drumherum-Gequatsche, sondern handfeste Ansätze –, die er in der finsteren Unterwelt der Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs) gesammelt hatte, speziell bei den Hells Angels und ihrem „Ableger“, bekannt als die Red Devils (RDMC).

      Beef wusste, dass die Solo Angeles hispanische Outlaw-Biker waren, mit der Basis in Tijuana, Mexiko. Sie verfügten über 80 aktive Mitglieder, von denen keines außerhalb von Mexiko oder Südkalifornien lebte. Die meisten Arizona Hells Angels waren zuvor niemals einem Solo Angeles begegnet. Rudy hatte seinen Status als Outlaw-Biker gegenüber den Angels verschwiegen, denn Biker sind für ihr Territorialverhalten berüchtigt. Die Hells Angels zählten zu den sogenannten „Großen 5“, zu denen auch die Pagans, Banditos, Outlaws und Mongols gehörten. Allerdings betrachtete man die Hells Angels als den „großen Club“. Keine andere Gruppierung traute es sich, ihre Clubabzeichen oder „Colors“ ohne Genehmigung der Angels zu zeigen.

      Jeder Club besaß für ihn spezifische Colors. Die der Solo Angeles waren Orange und Schwarz, also die Farben von Halloween und zerquetschten, verdreckten Kürbissen. Die Mongols kannte man als „Schwarz und Weiß“ und die Hells Angels als die „Big Red Machine“. Einzelne Clubs waren durch ihre Spitznamen zu identifizieren – eine Bezeichnung, die sie meist auch selbst vorzogen –, wie zum Beispiel die „Phoenix Hot Headz“, die „Graveyard Crew“ (aus Skull Valley) und „Mesa Mob“. Die „falschen“ Solo Angeles (die Agenten, die sich als Solo Angeles ausgaben) nannte man schließlich „Orange Crush“ oder abfällig „die Pumpkins“.

      Rudy hatte für Beef eine besondere Bedeutung, denn er führte eine Vertrauensbeziehung mit Robert Johnston Jr. (alias „Mesa Bob“ oder „Bad Bob“), dem Präsidenten des Charters der Mesa Hells Angels.

      Oft kannte man nur die Spitznamen der Biker, eine Art Markenzeichen, ähnlich den Colors eines Clubs. Sie verrieten grundlegende Charaktereigenschaften (zum Beispiel „Bad Bob“) und standen für bestimmte Fähigkeiten oder Ansprüche. Beispielsweise pochte Mesa Bob von den Mesa Hells Angels auf Territorialansprüche und unternahm alles in seiner Macht Stehende, um diese zu verteidigen.

      Rudy war ein befreundeter Outlaw-Biker, und so nahmen die Hells Angels den als Insider ermittelnden Informanten ohne eine Frage in ihre kriminelle Bruderschaft auf. Sie überwachten unzählige Drogen- und Waffengeschäfte zwischen ihm und Mitgliedern von Support-Clubs der Angels.

      Wer hätte sich unauffälliger in der zwielichtigen Welt der Gangs bewegen und dadurch Informationen für die geheime Außenstelle der Phoenix Group I sammeln können, als ein in der Szene bekannter Gangster, der gleichzeitig als ATF-Informant arbeitete? Wer hätte es leichter gehabt als Rudy, weitere angebliche Solo Angeles dem Präsidenten der Mesa Club Hells Angels vorzustellen (und dabei jeglichen Verdacht anderer Mitglieder der Engel auszuräumen)?

      Bislang war niemand auf so eine Idee gekommen.

      Die Strafverfolgungsbehörden hatten in der Vergangenheit andere Biker-Clubs infiltriert, und zwar mit Hilfe von Undercover-Agenten, denen es gelungen war, sich die Mitgliedschaft zu erschleichen und dadurch Informationen zu sammeln. Die Polizei war nicht untätig gewesen und hatte falsche Clubs und Charter ins Leben gerufen, die als Outlaws auftraten, um in einem bestimmten Bereich der Gang-Unterwelt akzeptiert zu werden. Doch niemals zuvor war eine Gruppe von Undercover-Cops mit Hilfe der Identität eines „legalen“ Outlaw-Biker-Clubs aufgetreten, um die Angels zu infiltrieren.

      Beefs Vorschlag, Rudy mit Regierungsgeldern auszustatten, um mit Methamphetaminen und Waffen in Arizonas krimineller Bikerwelt zu handeln, wurde kontrovers diskutiert und war riskant. Schließlich musste sich der mehrfach verurteilte Schwerverbrecher und Drogenabhängige noch Verstößen gegen das Bundeswaffengesetz stellen. Schnell drängte sich eine Parallele zum Fall des ATF Special Agents John Ciccone auf, der unwissentlich einen Killer zu einem bezahlten Spitzel gemacht hatte.

      Ciccones Informant Michael Kramer war schon fünf Jahre bei den Hells Angels, als das ATF ihm den Vorschlag unterbreitete, bei den Bikern zu schnüffeln. Allerdings wusste Ciccone nicht, dass sein Kandidat am brutalen Mord an Cynthia Garcia beteiligt gewesen war, einem Biker-Groupie, das man nach einer Party im Clubhaus der Mesa Hells Angels enthauptet hatte. Die Frau hatte die schlimmste Sünde begangen und einen Hells Angel respektlos behandelt, was man mit dem Tode bestrafte. Ihre Leiche wurde an Halloween in einem ausgewaschenen Flussbett in der Wüste nahe Phoenix gefunden. Man hatte sie wie einen Haufen Müll entsorgt.

      Trotz des Vorfalls überzeugte Beef einen US-Staatsanwalt davon, die Anklage gegen Rudy hinsichtlich der Verstöße gegen das Waffengesetz fallenzulassen, da man die Begabung des zukünftigen Informanten dringend einsetzen wollte. Beef argumentierte, dass es keinen besseren Weg gebe, „als einen Drecksack durch einen anderen Drecksack zur Strecke zu bringen“.

      Beef vertraute Rudys Fähigkeiten und seinem Talent. Bislang war es dem Informanten gelungen, zahlreiche von den Behörden nicht überwachte Methamphetamin- und Waffenverkäufe mit Personen aus Tucson, Phoenix, Mesa, Bullhead City und Prescott abzuschließen. Zu seinen Kunden zählten auch angesehene Mitglieder der Red Devils, eines Support-Clubs der Angels. Rudy hatte seit über einem Jahr Informationen über die Hells Angels gesammelt und dadurch mehr als 140 Member und Associates identifiziert, von denen mindestens 45 aufgrund vorhergehender Straftaten gar keine Waffen besitzen durften. Und das war ihm trotz des hohen Grades an Schutzmaßnahmen gelungen, für die die Angels bekannt waren.

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