Superhelden. Grant Morrison
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Batman, Spiderman, X-Men, Heroes, Iron Man. Weshalb sind die Superhelden so groß geworden? Und warum gerade jetzt?
Auf der einen Seite ist es einfach: Irgendjemand hat irgendwo spitzgekriegt, dass Superhelden – genau wie Schimpansen – alles unterhaltsamer machen. Eine langweilige Teegesellschaft? Man gebe ein paar Schimpansen hinzu, und schon hat man ein unvergessliches Comedy-Chaos. Eine konventionelle Mordgeschichte? Ein paar Superhelden hinzugefügt, und schon hat man ein erstaunliches und provokantes neues Genre. Ein großstädtischer Krimi? Hat man alles schon gesehen … bis Batman auftaucht. Superhelden peppen jede Geschichte auf. Aber es steckt noch mehr dahinter, hinter unserer Lust auf die Eskapaden extravagant kostümierter Protagonisten, die uns niemals im Stich lassen würden. Wenn man vom Comic-Heft aufblickt oder sich vom Bildschirm abwendet, so könnte man meinen, dass Superhelden bereits bis ins Bewusstsein der Massen – wie auch überall sonst wohin – vorgedrungen sind, um auf ein verzweifeltes SOS-Signal unserer krisengeschüttelten Welt zu reagieren.
Wir haben uns damit abgefunden, dass die meisten Politiker letzten Endes als sexsüchtige Lügner oder Idioten entlarvt werden, genauso wie wir mittlerweile akzeptieren müssen, dass hinreißende Supermodels bulemische, neurotische Scheinwesen sind. Wir haben die Illusionen durchschaut, die einst unsere Fantasien beflügelten, und wissen aus bitterer Erfahrung, dass sich uns liebe Comedians nur allzu bald als alkoholkranke Perverse oder lebensmüde Depressive offenbaren. Wir sagen unseren Kindern, dass sie wie Ratten gefangen sind, und zwar auf einem todgeweihten, bankrotten, von Gangstern beherrschten Planeten, dem die Ressourcen ausgehen, auf dem es für sie nichts geben wird außer steigenden Meeresspiegeln und unmittelbarem Massensterben. Im Anschluss beäugen wir sie voller Missgunst, wenn sie als Reaktion beginnen, sich nurmehr in Schwarz zu kleiden, sich mit Klingen zu ritzen, sich zu Tode zu hungern, sich fett zu fressen oder sich gegenseitig zu massakrieren. Traumatisiert durch Kriegs- und Katastrophenberichterstattung, ausspioniert von omnipräsenten Überwachungskameras, bedroht durch exotische Bösewichte, welche in ihren Höhlen und unterirdischen Verstecken lauern, gejagt von düsteren und monumentalen Göttern der Angst, werden wir unaufhaltsam in die Wirklichkeit der Comic-Bücher gesaugt, wobei üblicherweise nur Augenblicke verbleiben, um die Welt zu retten. Überlebensgroße verwesende Todesengel wie jene auf den Titelblättern der Anti-Atom-Heftchen meines Dads scheinen ihre Schatten über unsere kollektive Imagination zu werfen.
Könnte es sein, dass sich eine Zivilisation, die so nach optimistischen Bildern hungert, sich auf ihrer Suche nach utopischen Vorbildern zurück zu deren Urquelle orientiert hat? Könnte der Superheld mit seinem Cape und seinem hautengen Kostüm die aktuelle Repräsentation dessen sein, was wir werden könnten, wenn wir uns selbst gestatten, uns würdig zu fühlen für eine Zukunft, in der unsere besten Eigenschaften so stark sind, um die zerstörerischen Impulse, die danach streben, das Menschheitsprojekt zu beenden, endgültig zu überwinden?
Wir leben die Geschichten, die wir uns erzählen. In einer säkularen wissenschaftlichen Kultur, der jegliche überzeugende spirituelle Führung fehlt, sprechen Geschichten über Superhelden klar und deutlich unsere größten Ängste, tiefsten Sehnsüchte und höchsten Erwartungen an. Superhelden bieten Hoffnung, schämen sich nicht, optimistisch zu sein, und sind auch im Dunkeln absolut furchtlos. Die Geschichten über sie sind so weit von unserer gesellschaftlichen Realität entfernt, wie es nur eben geht, doch behandeln die besten Superhelden-Geschichten direkt die mythischen Seiten des menschlichen Daseins, mit denen sich jeder identifizieren kann, und zwar auf fantasievolle, tiefgründige, witzige und provokante Weise. Das vorliegende Buch ist der ultimative Guide zur Welt der Superhelden – was sie sind, woher sie kommen, und wie sie uns helfen können, uns selbst, unsere Umwelt und das Multiversum an Möglichkeiten, das uns umgibt, wahrzunehmen und zu überdenken. Seid bereit, Eure Maskierung fallenzulassen, das Zauberwort für Eure Verwandlung zu flüstern und das Gewitter heraufzubeschwören. Es ist an der Zeit, die Welt zu retten.
AN ALLE HEISSBLÜTIGEN JUNGEN AMERIKANER!
Hiermit bist Du, (hier Name und Adresse einsetzen), offiziell erwählt worden, um als MITGLIED dieser Organisation alles zu tun, um Deine KRAFT und Deinen MUT für die GERECHTIGKEIT einzusetzen, den SUPERMAN CODE absolut GEHEIM zu halten und alle Regeln eines braven Staatsbürgers zu befolgen.
Es sind vielleicht nicht die Zehn Gebote, aber als moralische Orientierungshilfe für eine Jugend in einem aufgeklärten Zeitalter war das Credo der Supermen of America, eines Superman-Fanclubs, schon mal ein Anfang.
Dies ist die Gründungsgeschichte eines neuen Glaubens und seiner Eroberung der Welt:
Mit einem Blitzschlag entzündete der göttliche Funken der Inspiration billiges Zeitungspapier. Der Superheld ward geboren, aus einer Explosion von Farbe und Action. Von Anfang an präsentierten der Ur-Gott und sein düsterer Zwilling den Rahmen, durch den wir unsere besten wie unsere abgründigsten Impulse personifiziert und im ewigen Kampfe sehen konnten – ausgebreitet über eine epische, zweidimensionale Leinwand, auf der sich unsere äußeren und inneren Welten, unsere Gegenwart und Zukunft, abbilden und erforschen ließen. Sie kamen, um uns aus einem existentialistischen Abgrund zu erretten, jedoch mussten sie sich zuerst einen Weg in unsere kollektive Vorstellungskraft bahnen.
Superman war das erste dieser neuen Wesen, frisch aus der Druckerpresse im Jahr 1938, neun Jahre, nachdem der Börsencrash an der Wall Street eine katastrophale, weltweite Depression ausgelöst hatte. In Amerika gingen Banken Pleite, verloren Menschen ihre Jobs und ihre Häuser, zogen in extremen Fällen in hastig zusammengebaute Barackensiedlungen. Auch vernahm man Gepolter aus Europa, wo sich der ehrgeizige Reichskanzler Adolf Hitler zum Diktator von Deutschland erklärte, nachdem er fünf Jahre vorher bei der Wahl triumphiert hatte. Mit dem Auftauchen des ersten globalen Super-Bösewichts war die Bühne frei für die fantasievolle Antwort der freien Welt. Dieser Konter kam ausgerechnet aus den Reihen der Underdogs: Zwei junge, bebrillte und ideenreiche Science-Fiction-Fans aus Cleveland waren es, die, bewaffnet mit Schreibmaschine und Zeichenkarton, eine Macht entfesselten, die stärker war als Bomben, und ein Ideal formten, das mühelos Hitler und seine Träume von einem Tausendjährigen Reich überlebte.
Jerry Siegel und Joseph Shuster feilten sieben Jahre an ihrer Idee, bevor sie bereit war, der Welt präsentiert zu werden. Ihr erster Versuch im Comic-Genre resultierte in einer dystopischen Sci-Fi-Story über einen telepathischen Despoten. Der zweite Entwurf enthielt einen großen, starken, aber sehr menschlichen Helden, der sich um die Missstände in den Straßen kümmerte. Keine der beiden Geschichten entsprachen dem Geschmack der Verleger. Vier Jahre später, nach vielen fruchtlosen