Höllen-Lärm. Ian Christe
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Während Teenager mit ihrer Vorliebe für Sex und Drogen Erwachsenen allerorts einen Schrecken einjagten, versetzten die okkulten Aspekte des Heavy Rock besonders die Bewohner der bibeltreuen US-Gebiete in Angst. „In den Siebzigern war es keine leichte Aufgabe, nach Miami oder Baton Rouge in Louisiana zu fahren oder nach Corpus Christi in Texas zu reisen“, meint Bill Ward, der Schlagzeuger von Sabbath. „Wir mussten den Bürgermeistern Rede und Antwort stehen. Wir bekamen ständig Auftrittsverbot. Sie hatten Angst vor uns. Die haben wirklich gedacht, wir würden sie mit einem Fluch belegen. Wir bekamen es mit vierzig oder fünfzig Bullen oder so zu tun.“
Die auffälligsten Rocker reagierten auf die bürgerliche Entrüstung, indem sie die Grenzen des Geschmacks weiter dehnten und den Angstfaktor verstärkten. Der wunderbar schauerliche Alice Cooper trat in die hochhackigen Fußstapfen der Crazy World Of Arthur Brown und entwickelte eine blutrünstige Bühnenshow, die mit kostümierten Zwergen und Eimern voller Blut auf dem französischen Grand-Guignol-Straßentheater des neunzehnten Jahrhunderts aufbaute. 1975 hatte Cooper sich dahin gehend gesteigert, dass er allabendlich auf der Bühne seinen eigenen Selbstmord vortäuschte. „Es schien, als wäre er gar kein Mensch“, sagt der Metaller Kim Bendix Peterson alias King Diamond, der sein Gesicht hinter einer Maske aus Schminke verbarg. „Wenn man ihn berührt hätte, hätte er sich wahrscheinlich in Luft aufgelöst. Es kam einfach so wahnsinnig gut rüber.“
Eine opportunistische Gruppe von New-Yorkern namens Kiss intensivierte Alice Coopers Bemühungen und setzte dem Durchschnittsamerika ein völlig durchgeknalltes Image vor die Nase. Das silberne Make-up der Band, die Glitzerkostüme und die speziell angefertigten Gitarren gaben dem Rockgemisch aus langen Haaren und Leder einen kräftigen Schuss Raumfahrtzeitalter und NASA und fassten zwei große Sechziger-Ereignisse in Form einer spektakulären Entfesselung zusammen – die Mondlandung und die Erfindung lauter Gitarren. Die ersten drei Kiss-Alben, die zwischen Februar 1974 und August 1975 entstanden – Kiss, Hotter Than Hell und Dressed To Kill – verkauften sich eher schleppend. Der nächste Streich war das böse und gemeine Doppel-Livealbum Alive!, das ebenfalls 1975 erschien und wegen der Überzeugungskraft lauter, eingängiger Lieder wie „Deuce“ und „Cold Gin“ Platin erhielt. Es handelte sich um Rockbonbons mit Heavy-Metal-Zuckerguss, eine Art Kaugummi mit Black-Sabbath-Geschmack.
Kiss wendeten sich an ein Publikum, das zu jung war, um Vietnam zu verstehen. Die an Cartoon-Ästhetik angelehnte Bühnenshow strotzte nur so von ägyptischen Katzenstatuen, Kristallgebilden und verfallenen Steinmauern. Es war ein finanzielles Risiko, das man zugunsten eines unvergesslichen Ereignisses auf sich nahm. „Als wir anfingen, waren die Leute einfach nur verwirrt“, meint der Gitarrist Stanley Eisen alias Paul Stanley. „Wir trugen Plateaustiefel. Unser Make-up war absurd. Der größte Künstler in Amerika war damals John Denver. Wir waren nicht cool, aber wir waren von unserer Sache überzeugt. Es war eine Kamikazemission. Wir ließen uns keine andere Wahl, als erfolgreich zu sein. Es hätte entsetzlich schief gehen können.“
Die Destroyer-Tour schlug 1976 den Bogen zwischen jung und hungrig auf der einen und überlebensgroß auf der anderen Seite. Trotz ihrer extravaganten Plastikpräsenz wateten Kiss noch immer im Schlamm – bei einer Show in El Paso, Texas, spielte die Gruppe vor zehntausend Grenzstadtarbeitern in einer Scheune, die sonst regelmäßig für Viehauktionen genutzt wurde. In diesem Sommer kämpften Kiss in ganz Amerika einen Lautstärkekrieg, überdröhnten Vorbands wie Bob Seger und Ted Nugent und zahlten später die doppelte Stromrechnung für ihren gleißend hellen Bühnenhintergrund aus grellen Scheinwerfern. In einer Zeit, in der es noch keine allmächtige Konzertkartenagentur wie Ticket Master, keine professionellen Sicherheitsunternehmen oder Metalldetektoren gab, trafen Kiss auf ein schlecht organisiertes Chaos. Am Ende waren sie Superstars und halfen bei der Entstehung einer professionellen Konzertkultur, die zur Nabelschnur des Heavy Metal wurde.
Das Make-up, das Blut und das Feuer hinterließen einen unauslöschlichen Eindruck bei den Fans, von denen viele die Musik zuvor überhaupt nicht gehört hatten. Kiss überbrückten die sich vergrößernde Kluft zwischen den Generationen mit Merchandise, schufen Puppen, Schlafanzüge, Kaugummiaufkleber, ein Gesellschaftsspiel, ein von Marvel veröffentlichtes Comicheft und einen Flipperautomaten. Längst waren sie kostümierte Überwesen und wurden bald Stars ihres eigenen Sciencefiction-Films, Kiss Meets the Phantom of the Park. Bald gehörte es zum Initiationsritual in amerikanischen Grundschulen, Kinderbuchautor Dr. Seuss den Rücken zu kehren und sich stattdessen für „Dr. Love“ zu entscheiden. Derart geprägt, wendete sich ein riesiger Teil der Bevölkerung nach dem Ende der Kindheit mit versengten Augen dem Heavy Metal zu – in der Erwartung, dort denselben Schock und Donner zu erleben.
Black Sabbath boten dem Hörer mehr als nur drei Akkorde und eine gute Show – aber Sounds von ähnlicher Durchschlagskraft musste das Publikum noch immer suchen. Mitte der Siebziger konnte man die Heavy-Metal-Ästhetik wie ein mythisches Ungeheuer in dem traurigen Bass und den komplexen Gitarren von Thin Lizzy, der Bühnenkunst von Alice Cooper, der zischenden Gitarre und dem protzigen Gesang bei Queen oder den wuchtigen mittelalterlichen Themen bei Rainbow entdecken. Dann kamen Judas Priest 1974 im Gefolge von Black Sabbath aus Birmingham und vereinigten und erweiterten die verschiedenen Highlights auf der Klangpalette des Hardrock. Zum ersten Mal wurde Heavy Metal ein wirklich eigenständiges Genre.
Judas Priest stellten die schleppende Wucht von Deep Purple in den Dienst eines bedrohlichen Angriffs, neben dem die theatralischen Höhen von Led Zeppelin im Vergleich wie kleine Scharmützel wirkten. Nichts zuvor kam an das Tempo von Glenn Tipton und K. K. Downings Gitarren oder die großartige Theatralik in Rob Halfords phänomenaler Stimme heran. Judas Priest schöpften die intensivsten Momente aus der Vergangenheit in einen Kessel und mixten sie zu einer neuen magischen Art der Wahrnehmung zusammen.„ Ich habe meine Gesangstechnik eigentlich beim Singen erfunden“,sagt Rob Halford.„Ich habe mich nie nach Leuten umgesehen, die sich cool anhörten, und dann versucht, genauso zu klingen.“
Judas Priest machten kein Geheimnis aus ihrem Ziel: Sie wollten die ultimative Heavy-Metal-Band der Welt sein. Dabei bestanden durchaus einige witzige Verbindungen zu Sabbath. Die hatten beispielsweise der jüngeren Band ihren Probenraum überlassen, und ein Judas-Priest-Musiker hatte kurzzeitig mit Earth zu tun, der Band, aus der Black Sabbath entstanden war.
Verglichen mit Sabbath jedoch war die Musik von Judas Priest sehr formal, streng um Breaks, Bridges und dynamische Höhepunkte herum organisiert. Während sich Black Sabbath eher nach „Gefühl“ richteten und nicht nach einem stetigen Metronomtakt, bevorzugten Judas Priest eine stark geordnete Herangehens-weise. Bei dem melodischen, bewusstseinserweiternden Zusammenspiel von Tipton und Downing wurden zwei Leadgitarren wie Schnitzwerkzeug verwendet, um den Sound bei hoher Dezibelstärke geschickt herauszuschneiden und zu formen. Jeder sengende Break der Leadgitarre war in eine perfekte Songvertiefung eingelassen,die den Weg zu neuen unverwüstlichen Kreationen wies.Anders als bei den ausgesprochen urwüchsigen Black Sabbath eiferten junge Musiker Priest nach, ohne aber wie deren Kopie zu klingen – das erstaunliche Repertoire musikalischer Techniken verlangte nach eingehenderer Beschäftigung mit der Band.
So, wie bei Paranoid Politik und Machtkämpfe angesprochen wurden, so bediente sich Rob Halford beim Erzeugen der unheimlichen Momente auf Sad Wings Of Destiny bei den Ausführungen von Sunzi (Die Kunst des Krieges) und den Dramen von Shakespeare. Er entzündete sie mit glühendem Gesangsfeuerwerk. „Ich bin mit außergewöhnlichen Stimmbändern gesegnet, mit denen ich einige bizarre Sachen anstellen kann“, sagt Halford, „und ich versuche immer eher, von Song zu Song zu sehen, was man anders und neu machen kann. Es ging vor allen Dingen immer ums Experimentieren.“
HARDROCK
Dutzende früher Zeitgenossen von Black Sabbath beteiligten sich