Gesammelte Werke. Aristoteles
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Aristoteles страница 60
Wenn aber der eine Freund der alte bliebe, der andere aber tugendhafter würde und hierin den ersten um vieles überträfe, könnte er ihn da noch fort und fort als seinen Freund behandeln? Daß das unmöglich wäre, sieht man am besten bei großem Abstände beider Teile, wie er z. B. bei Freundschaften aus der Knabenzeit sich herausbilden kann. Bliebe der eine geistig ein Kind, und der andere würde einer der besten Männer seiner Zeit, wie könnten sie da Freunde bleiben, da sie nicht denselben Geschmack hätten, und das, was ihnen Lust oder Unlust erweckte, nicht das Gleiche wäre? Auch an einander würde ihnen nicht das Gleiche gefallen oder mißfallen, und ohne das erschien uns eine Freundschaft als unmöglich, da kein Zusammenleben mehr sein könnte. Wir haben uns darüber schon ausgesprochen.
Muß man sich nun in diesem Falle zu dem ehemaligen Freunde etwa gar nicht anders stellen, als wenn er niemals unser Freund gewesen wäre? Gewiß nicht! Einer alten Vertrautheit darf man nicht vergessen, und wie man glaubt, gegen Freunde gefälliger sein zu müssen als gegen Fremde, so muß man auch gewesenen Freunden um der früheren Freundschaft willen etwas zugestehen, wenn nicht die Trennung wegen gar zu großer Schlechtigkeit erfolgt ist248.
Viertes Kapitel249.
Die Art, wie man die Liebe zu den Freunden betätigt, (1166a) und die Merkmale, durch die man den Begriff der Freundschaft bestimmt, scheinen aus dem Verhalten hervorgegangen zu sein, das wir gegen uns selbst beobachten.
Man bezeichnet als Freund denjenigen, der uns das Gute, oder was so erscheint, um unseretwillen wünscht und tut, oder denjenigen, der uns Sein und Leben um unseretwillen wünscht, wie das die Gesinnung der Mütter gegen ihre Kinder oder die von Freunden in dem Falle ist, daß sie wegen eines Zerwürfnisses nicht zusammen leben können. Andere verstehen unter einem Freunde den, der mit uns umgeht und mit uns die gleichen Neigungen hat, oder den, der Leid und Freude mit uns teilt, was auch wieder vorzugsweise bei den Müttern in Bezug auf ihre Kinder der Fall ist. Entsprechend diesen verschiedenen Auffassungen bestimmt man auch die Freundschaft.
Alles dieses findet sich nun aber bei dem Tugendhaften im Verhältnis zu sich selbst und in dem gleichen Verhältnisse auch bei den anderen, so weit sie glauben, es zu sein. Denn die Tugend und der Tugendhafte scheint wie gesagt das Richtmaß für jeden Menschen zu sein. Der Mann der Tugend steht mit sich selbst in Übereinstimmung und begehrt seiner ganzen Seele nach ein und dasselbe und darum wünscht er auch sich selbst Gutes und was so erscheint und setzt es ins Werk – denn dem Guten ist es eigen, das Gute zu verwirklichen –, und zwar um seiner selbst willen, nämlich zu gunsten seines denkenden Teils, der ja das eigentliche Selbst des Menschen ist. Aber auch daß er lebe und erhalten bleibe, will er, und besonders wünscht er dies demjenigen Teile, mit dem er denkt: denn für den Tugendhaften ist sein Sein ein Gut. Jeder aber wünscht das Gute eben sich, und keiner will ein anderer werden, so daß dann das neue Wesen alles Gute hätte. Denn auch Gott hat schon jetzt das Gute, aber darum hat er es, weil er jetzt ist, was er jemals ist250. Nun scheint aber jeder Mensch das zu sein, was in ihm denkt, oder doch dieses vor allem. – Der Tugendhafte findet auch Gefallen an dem Verkehr mit sich selbst; denn daraus fließt ihm reiche Lust. Die Erinnerungen an seine Vergangenheit sind angenehm und die Hoffnungen auf seine Zukunft gut, solche Hoffnungen aber gewähren Lust; auch findet er in seinem Geiste immer Stoff zu wahren und nützlichen Betrachtungen. – Endlich [Vor diesen Satz gehört ein Punkt, kein Komma.] teilt er Leid und Freude am meisten mit sich selbst: allezeit ist ihm das nämliche lieb und leid, und nicht bald dies bald das. Denn er ist so zu sagen über die Reue erhaben. Da sich nun ein jedes von diesen Dingen bei dem Tugendhaften im Verhältnis zu sich selbst vorfindet, und er gegen seinen Freund wie gegen sich selbst gesinnt ist – ist doch der Freund ein zweites Selbst –, so scheint auch die Freundschaft eines von diesen Dingen zu sein und Freunde diejenigen, bei denen sich diese Dinge finden. Ob es aber eine Freundschaft mit sich selbst gibt oder nicht, bleibe für jetzt dahingestellt. Insofern kann man sagen, daß eine besteht, als zwei oder mehrere der angegebenen Stücke irgendwo vorhanden sind; auch spricht das dafür, daß (1166b) das höchste Maß der Freundschaft der Liebe gleicht, die man zu sich selbst hat.
Die angegebenen Dinge finden sich scheinbar auch bei der großen Menge, mag sie auch schlecht sein. Hat man nun wirklich teil an ihnen, insofern als man an sich selbst Gefallen findet und sich für vortrefflich hält? Daß kein vollendeter Bösewicht und Übeltäter sie hat, auch nicht dem Scheine nach sie hat, ist ja selbstverständlich. Aber das gleiche gilt wohl auch so ziemlich von schlechten Menschen überhaupt. Sie liegen mit sich selbst im Zwiespalt, und ihre sinnliche Gier steht nach anderen Dingen als ihr vernünftiger Wille, wie es bei den Unenthaltsamen der Fall ist. Sie ziehen dem, was sie selbst als gut ansehen, das Lustbringende, das ihnen schädlich ist, vor. Andere wieder scheuen sich aus Feigheit und Trägheit, das zu tun, was nach ihrer eigenen Überzeugung das beste für sie wäre. Die aber in ihrer Schlechtigkeit viele schwere Verbrechen begangen haben, hassen und fliehen das Leben und enden durch Selbstmord. – Der schlechte Mensch verlangt nach Gesellschaft und flieht vor sich selbst; in der Einsamkeit kommen ihm viele böse Erinnerungen und nicht minder schlimme Ängsten, die er in Gesellschaft anderer vergißt; da er nichts Liebenswertes an sich hat, so kann er auch nicht mit sich selbst in Freundschaft leben. – Auch teilt ein solcher Mensch so wenig Freude als Leid mit sich selbst. Seine Seele ist in Aufruhr; der eine Teil von ihr empfindet aus Schlechtigkeit Schmerz über Entbehrungen, der andere freut sich darüber, und der Teil zieht die Seele hieher, der dorthin, als sollte sie zerrissen werden. Und wenn es nicht möglich ist, gleichzeitig Unlust und Lust zu empfinden, so ärgert man sich doch in kurzer Frist über die gehabte Freude und möchte sie lieber nicht gehabt haben. Denn böse Menschen sind übervoll von Reue. So sieht man also, daß der böse Mensch nicht einmal gegen sich selbst freundschaftlich gesinnt ist, weil er nichts Liebenswertes an sich hat. Wenn demnach solch ein Zustand überaus unglücklich ist, so muß man mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft das Laster fliehen und die Tugend zu erwerben suchen. Dann wird man mit sich selbst in Freundschaft leben und auch eines anderen Freund werden.
Fünftes Kapitel.
Das Wohlwollen251 hat mit der Freundschaft Ähnlichkeit, ohne doch Freundschaft zu sein. Wohlwollen hat man auch gegen Unbekannte und ohne Wissen des anderen, Freundschaft nicht. Wir haben das schon früher bemerkt. Aber Wohlwollen ist auch nicht Lieben. Denn es tritt ohne die seelische Spannung und die sinnliche Begierde auf, die das Lieben begleitet. Auch entsteht die Liebe erst im vertrauten Verkehr, das Wohlwollen aber kann auch plötzlich hervortreten; so das für einen Wettkämpfer, dem (1167a) man wohl will und den Preis wünscht, ohne doch etwas für ihn tun zu wollen. Denn wie gesagt das Wohlwollen ist die Geburt des Augenblicks, und die Liebe, die es einschließt, bleibt an der Oberfläche. So scheint es denn ein Anfang der Freundschaft zu sein, wie die Freude an dem Anblick einer Person der Anfang der sinnlichen Liebe zu ihr ist. Denn niemand liebt, ohne zuvor an der Erscheinung des Geliebten Gefallen zu finden; wer aber nur an dem Äußern eines anderen Freude hat, liebt ihn darum noch nicht, sondern das tut er erst dann, wenn er in seiner Abwesenheit sich nach ihm sehnt und nach seiner Gegenwart begehrt. So kann es nun auch zu keiner Freundschaft kommen, ohne daß ein Wohlwollen vorangeht, darum ist aber Wohlwollen noch keine Freundschaft. Denn der Wohlwollende wünscht nur Gutes, hilft aber nicht dazu und