Sklaverei. Michael Zeuske
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Sklavereien und, mehr noch, slaving als Strategie hat es in der Welt- und Globalgeschichte bei allen Clans, Völkern, Stämmen und Gruppen gegeben, vor allem um und in Feuer- und Wohnstätten, Siedlungen, Häusern, Tempeln sowie Palästen. Die frühen Sklavereien existierten lokal und weltgeschichtlich zugleich in dem Sinne, dass es sie überall in der Welt gegeben hat, sie aber nur in ihren lokalen Sinnzusammenhängen zu verstehen sind und keine Verbindungen miteinander aufwiesen, also beispielsweise kein Sklavenaustausch stattfand. Bis zu den großen Wissensrevolutionen der Neuzeit, die mit dem Beweis der Globalität zusammenhingen, waren Sklavereien selten global in dem Sinne, dass Versklaver oder gar Versklavte gewusst hätten, dass sie auf dem Erdglobus operieren; oder dass es übergreifenden Sklaventransport und -austauschstrukturen gegeben hätte. Lokale Gruppen fanden es die meiste Zeit der Weltgeschichte auch völlig legitim, Mitglieder anderer Gruppen (›Fremde‹) zu töten oder zu versklaven.
Die extrem lokale Fokussierung erweiterte sich – mit Vorläufern in anderen expansiven Imperien (wie Assyrien, Rom oder China) – vor allem seit der arabisch-berberischen Expansion, der mongolischen Expansion im 13. Jahrhundert und seit der europäischen Atlantikexpansion im 15. und 16. Jahrhundert. Die im 16. Jahrhundert einsetzenden Transporte von Massen Versklavter auf iberischen Schiffen über den Atlantik von Afrika nach Amerika haben sogar entscheidend zur Erkenntnis dieser Globalität beigetragen: Die erste Süd-Süd-Globalisierung, wenn ich das in modernen Begriffen ausdrücke, fand zwischen Afrika (sowie bald auch Asien über Manila und Macau) und Amerika statt.
Als Hypothese datiere ich die Anfänge von lokalen, aber weltweiten Sklavereien wegen ihrer Bedeutung für Arbeiten, Dienstleistungen, Viehhüten und Vorratshaltung auf die Anfänge der Landwirtschaft. Diese begann vor rund 10 000 bis 3000 Jahren in voneinander unabhängigen Gebieten – im Vorderen Orient, in der Ost-Sahara, in China, im Industal, in Neu-Guinea, Peru und Mittelamerika. Diese Sklavereien differenzierten sich auch chronologisch und breiteten sich von den Entstehungszentren in unterschiedlichen chronologisch-räumlichen Dynamiken aus (u. a. nach Europa). Es könnte angenommen werden, dass es günstige Gelegenheiten zur Haltung erster ›Sklavinnen ohne Institution‹ schon in der Zeit der Cro-Magnon-Menschen (Jungpaläolithikum), besonders in der Phase des Magdaléniens (um 18 000–10 700 v. Chr.) mit seinen Feuerstätten, Lagerplätzen und ersten Siedlungen gab. Damals taten sich einerseits erfolgreiche Jäger als dominante Persönlichkeiten und sozusagen erste Eliten (volkstümlich große Männer, big men, genannt; später auch Häuptlinge, Priester usw.) hervor. Andererseits waren Brennstoffbeschaffung, Abfallbeseitigung, Verletztenpflege sowie andere »schmutzige« und geringer geachtete Nebenarbeiten zu erledigen (knüpfen, flechten, Seile drehen, Felle schaben – sogenannte »geringe Arbeiten«, d. h., gering geschätzte menial works). Möglicherweise hatten auch Frauen als Heilerinnen und Spezialistinnen für Beobachtung und Übersinnliches eine besondere Stellung, sodass neue Mitglieder von Gruppen (meist Frauen und Waisen) entweder unter deren Kontrolle oder die von »großen Männern« kamen. Eventuell existierte eine eher opportunistische Art der Sklaverei schon in den präneolithischen Opferritualen, die es 400 Generationen lang geben sollte. Auf jeden Fall sollten Opfersklaverei und Menschenopfer sowie Anthropophagie und Rituale mit lebenden oder toten Körpern bedacht werden, wenn es um die Entstehung von ›Zivilisation‹ (Ackerbau; städtische Siedlungen), Religion, Landbesitz, Kontrolle von Sexualität, Herkunftsbewusstsein sowie die Legitimierung von Eigentum (Ahnen) und die Herrschaft von Priestern ging.
Wichtig für eine Globalgeschichte der Sklaverei ist, dass die ›kleinen‹ Sklavereien des ersten Plateaus bis in die Gegenwart reichen und von den reinen Zahlen her gar nicht mehr so klein erscheinen. Es gibt noch heute viele Individuen, vor allem Frauen und Kinder, im Sklavenstatus: Laut einem Bericht der International Labour Organisation (ILO) von 2014 betrifft das weltweit 21 Millionen Menschen (eine konservative Schätzung), drei Viertel davon Frauen und Kinder. Ein ILO-Bericht für die Periode von 2002 bis 2011 hatte Zahlen von 19,5 bis 22,3 Millionen genannt, der Global Slavery Index zählt 45,8 Millionen Menschen als Sklaven – heute, jetzt. In absoluten Zahlen ist das die größte Menge an Versklavten in der Weltgeschichte, bei einer Weltbevölkerung von rund 7,5 Milliarden Menschen dennoch relativ wenig. Was es aber heute wirklich nicht mehr gibt, ich wiederhole das, sind große Wirtschaftskomplexe wie Plantagen- und Bergwerkssklavereien in Gesellschaften, die auf Sklaverei beruhen, also die sogenannten Sklavereigesellschaften. Alle Sklaverei ist heute illegal, aber trotzdem »da«.
Damit ist auch gesagt: Wenn das Thema dieses Buches die Welt- und Globalgeschichte der Sklaverei ist, kann es sich nicht nur um die mehr oder weniger ›bekannten‹ und in legislativen Texten relativ trennscharf definierten Sklavereien der Antike, Roms oder um die Sklaverei im Süden der USA drehen. Von dazu forschenden Historikern höre ich am häufigsten Kritik an meiner allgemeinen Definition von Sklaverei als Verfügung über Körper auf der Basis von realer Gewalt gegen eben diese Körper und Statusminderungen, aber auch an der Definition von Sklaven als Kapital menschlicher Körper. Dabei geht es mir gar nicht um eine unbedarfte Überdehnung des Begriffes Sklaverei. Im Sinne von slaving als historischer Strategie beabsichtige ich, Welt- und Globalgeschichte eben nicht aus der Perspektive von »Freiheit« als normativer Kategorie zu interpretieren. Es geht vielmehr darum, die tiefenhistorischen Prozesse der Versklavung, des Handels mit Menschen nachzuzeichnen und die jeweilige Stellung von Versklavten in der sozialen Ordnung unterschiedlichster Gesellschaften zu bestimmen. Es geht mir auch nicht einfach nur um Arbeit und Verkauf von Menschen, sondern um realgeschichtliche Verfügung über Körper. Eben diese verwischt die Trennschärfe legaler Definitionen.
Mit »weit« ist sowohl der gesamte Globus als auch die zeitliche Tiefe, d. h. von ungefähr 8000 v. Chr. an (oder gar 20 000–18 000 v. Chr.) gemeint. Ich beschränke mich nicht auf Griechenland von etwa 800 v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert, Rom vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis ins 6. Jahrhundert oder den Süden der USA von 1820 bis 1865. Ich nenne diese ›bekannten‹ Sklavereien, die mit relativ klaren Chronologien und Rechtsregeln verbunden waren, die uns noch heute eingängig erscheinen, weil sie auf die eine oder andere Art auch noch unsere Gesellschaften prägen (etwa durch das Eigentumsrecht oder die traditionell akzeptierte Spaltung in arm und reich), »hegemonische Sklavereien«.9 Aus der Perspektive dieser Sklavereien scheint es, als existiere nur »a single archetypal image of slavery«10, wie Andrea Major in ihrem Buch über Sklavereien, Abolitionen und das Empire in Britisch-Indien schreibt. Würde sich eine Menschheitsgeschichte der Sklaverei lediglich auf diese Sklavereien fixieren (wie es die meisten Geschichten der Sklaverei tun), wäre sie eben keine Welt- und Globalgeschichte. Eine Globalgeschichte dieses Zuschnittes muss zumindest den Anspruch erheben, das ganze Rund des Globus und eine große zeitliche Spanne der Weltgeschichte bis heute zu behandeln; eben als eine Art globaler Menschheitsgeschichte. Anders würden die Anfänge nicht in den Blick kommen. Es würde nicht deutlich werden, dass solche ›kleinen‹ Sklavereien informell heute noch existieren. Und räumlich gesehen würden weite Gebiete des Globus (indigene und vorkoloniale Amerikas / Karibik, Afrika, Mittelasien, Indien, China, Japan, Südostasien, Philippinen, Indonesien, Russland/Sibirien, Australien, Kanada, die Gebiete im und am Indischen Ozean sowie die Gebiete im und am Pazifik) im Dunkeln bleiben, nämlich fast die ganze Welt. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass eine solche Geschichte gerade für Historiker, die auf Quellen angewiesen sind, schwierig ist.
Niemand spricht gerne über Sklaverei. Da, wo es heute noch Sklavereien gibt, ist es sogar gefährlich, darüber zu sprechen. Oft wissen die wenigsten, dass Menschen in der Nachbarschaft eigentlich Sklavinnen, d. h. versklavte Menschen, sind. All das ist kompliziert und hängt mit der erwähnten Fokussierung auf die antike Sklaverei in »römischer« Rechtstradition zusammen. Es gab seit der Spätzeit des römischen Reiches im 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian (schon mit dem Zentrum Konstantinopel) eine relativ klare rechtliche Definition