Sklaverei. Michael Zeuske

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Sklaverei - Michael Zeuske Reclam Taschenbuch

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Der Codex Justinianus (später: Corpus Iuris Civilis) war es auch, der zwei Grundtypen von Sklaverei definierte: zum einen »Privatsklaven« in der Rechtsfigur Herr/Sklave, d. h. »ein Herr, ein Sklave«, und zum anderen eine kollektive Sklaverei von Menschen, die an ein bestimmtes Besitzterritorium (gleba) gebunden sind (oder auf Territorien angesiedelt werden). Letztere können nur gemeinsam mit dem Territorium Besitz sein und Eigentumstransaktionen (wie Verkauf, Vererbung, Geschenk oder Tausch) unterworfen werden; das ist die rechtliche Konstruktion des glebae adscriptus (meist übersetzt mit »an die Scholle Gefesselter«) oder des Halbfreien. Der Codex Justinianus benutzte als Bezeichnung für Versklavte noch nicht den Begriff »Sklave«, sondern »römische« Namen wie etwa servus und ancilla oder colonatus – das Wort »Sklave« verdankt der »westliche« Kulturbereich erst der Transkulturation zwischen islamischen, christlichen und osteuropäischen Eliten während expansiver Imperien- und Staatsbildung.

      Ganz genau weiß noch niemand, was die »Halbfreien« und an »die Scholle Gefesselten« sein sollen. Sie werden fast immer im Zusammenhang mit Sklavenkategorien debattiert, meist aber von »richtigen« Versklavten differenziert; ich interpretiere den Kolonat und die der Rechtsfigur der glebae adscripti Unterworfenen als Subjekte kollektiver Sklavereiformen, auch in Hinsicht auf andere Räume der Globalgeschichte – siehe regelrechte Sklavensiedlungen im alten Ägypten, bei germanischen Gruppen, deren Bewohner schon Tacitus an colonati erinnerten, oder Russland im zweiten Sklavereiplateau. Der wohl beste Kenner in Deutschland, Klaus-Peter Johne, beschreibt den Kolonat nach dem 3. Jahrhundert als »Alternative zur Wirtschaft mit Sklaven«11. Johne sagt weiter:

      »Die Fesselung der Kolonen an den von ihnen bearbeiteten Boden steht am Ende eines langen Weges […]. Durch die Schollenpflichtigkeit der Arbeitskräfte ließen sich die Einnahmen der Grundherren sicherstellen und über diesen Umweg durch regelmäßige Steuereingänge die Staatsfinanzen zumindest in gewissem Umfange sanieren«.12

      Zudem ließen sich in Krisenzeiten höherer Mobilität rurale Arbeitskräfte eben besser fixieren. Der Versuch der Stabilisierung eines

      »durch Barbareneinfälle und Bürgerkriege zerrütteten Reiches bestand somit auf dem Agrarsektor in einem Arrangement zwischen dem militär-bürokratischen Staatsapparat auf der einen und der Aristokratie der großen Grundeigentümer auf der anderen Seite. Die Lasten dieses Arrangements hatten die kleinbäuerlichen Kolonen zu tragen […]. Die Gesetzessprache hat dafür den im Jahre 342 erstmals belegten Ausdruck colonatus geprägt«.13

      Miroslava Mirković sagt, nachdem sie einen ganzen Artikel lang über Kolonen als »Nicht-Sklaven« argumentiert hat: »Es gibt aber Beispiele, die zeigen, daß die abhängigen coloni sich selbst, im Bewußtsein ihrer realen Lage und ökonomischen Abhängigkeit, als Sklaven des Landbesitzers bezeichneten«.14

      Die Sklaven, die wir heute innerlich vor uns sehen – junge Männer aus Afrika, die in den Plantagenökonomien Amerikas schufteten –, entsprechen nicht so sehr dem »römischen« Bild der kollektiven Sklaverei, sondern der chromatisierten Rechtsfigur »ein Herr, ein Sklave«. Es hat diese Sklaven gegeben, zweifelsfrei, aber das Bild ist erst zwischen 1550 und 1700 entstanden und hat seine weite Verbreitung durch die europäische Expansion seit um 1650 sowie die Aufklärung und die Abolitionsdiskurse (seit 1770) gefunden.

      Die Sklavereien, die westliche Seemächte auf dem Atlantik und in den Amerikas in der Neuzeit zwischen 1440 und 1888 organisierten, konnten auf diese »römische« Tradition der Rechtsdefinition der Sklaverei und des »Privatsklaven« als absolutes Eigentum in beiden Hauptdimensionen (totale Kontrolle und Weggabe/Verkauf an Fremde) zurückgreifen, eben in der Tradition des Corpus Iuris Civilis. Die wichtigsten rechtlichen Aspekte, die eher direkt als indirekt in der Tradition des »römischen Rechts« stehen, sind erstens die »Befugnis«, mit einem Menschen zu machen, was der »Halter« für richtig ansieht (bis hin zur Tötung), und zweitens, einen versklavten Menschen auch an Fremde wegzugeben, d. h., zu verkaufen und zu kaufen (die Rechtspapiere/Notariatsprotokolle sind immer aus Sicht des Verkäufers formuliert), woraus sich drittens die lebenslange Kondition der Versklavung sowie Ortfixierung (Mobilitätsbeschränkung) sowie viertens die Vererbung dieser Kondition in weiblicher Linie (mittels des Mutterrechts nach der Regel »Sklavenbauch gebiert Sklaven«) ergeben.

      In vielen anderen Sklavereien gibt es aber diese römische Rechtstradition nicht, vor allem die formale Dimension der Veräußerung des Eigentums (»Weggabe an Fremde«) und die Dimension biologischer Weitergabe des Sklavenstatus (»Sklavenbauch gebiert Sklaven«) fehlen. Stattdessen existieren andere, in Europa weniger geläufige Formen – u. a. das Herausreißen aus einer Herkunftsgruppe, die Weggabe von Kindern der eigenen Gruppe oder auch die Ansiedlung oder Übernahme von bäuerlichen Bevölkerungen in kollektive Sklavereien oder expansive Imperien (Staat) als Arbeitstributsbeschaffer und Sklavenrazzienbetreiber (das Wort razzia/ghazzia: ›Überfall, Raubzug/Versklavung‹, stammt aus dem Arabischen). Das Kriterium der Verfügung über Körper von Menschen ist allemal wichtiger in Bezug auf die Definition individueller Sklavereien à la »ein Herr, ein Sklave«. Es gibt andere Aushandlungssituationen, doch sie sind alle von Gewalt und von kastenartigen Differenzierungen in Gute und Schlechte, Ehrbare und Entehrte, Eroberer und Eroberte oder Eigene und Fremde geprägt.

      Deshalb kann man in einer Welt- und Globalgeschichte, wie ich sie verstehe, Sklaverei als Realität und Sklave oder Sklavin als Status nicht nur nach römischen Rechtsregeln definieren. Ob überhaupt Rechtsregeln einer Kultur (darauf bezieht sich meist das caveat hinsichtlich des Rechts), eines Staates oder eines Wirtschaftssystems, einer Zivilisation Sklavereien in der Realität ihrer Entwicklungen sowie in weltgeschichtlicher Tiefe und in globaler Breite erfassen und definieren können, lasse ich dahingestellt. Eine kategoriale Trennung ergibt nur Sinn in einem relativ engen zeitlichen und räumlichen Rahmen – Ausgangspunkt ist fast immer die neuzeitliche Plantagensklaverei (weltweit etwa 1500–1950), d. h. eine globale »hegemonische« Sklaverei meist unter Kontrolle von christlichen Europäern und ihren Nachkommen in europäischen Kolonien.

      Neben dieser eher strukturellen Definition von Sklaverei gibt es, wie bereits erwähnt, auch eine prozessuale, die von dem jeweils unterstellten historischen ›Sinn‹ der Sklaverei ausgeht. Joseph Millers Begriff slaving beschreibt

      »[…] eine Strategie, die Menschen [Versklaver und Sklavenhändler] in historischen Positionen der Marginalität seit jeher mit bedeutenden Konsequenzen für sich und andere um sie herum verfolgt haben, ohne Beachtung der Leiden, die diese Versklavungspraxis den Menschen, die sie versklavten, auferlegte«15.

      Dem möchte ich die Verfügbarkeit von Körpern als Voraussetzung dieser Strategie und Hauptcharakteristikum von Sklavereien hinzufügen. Innerhalb dieser langfristigen Perspektivierung ist die kategorische Trennung etwa zwischen Sklaverei, Schuldknechtschaft (debt bondage) und anderen bondage-Formen, wie sie in englischsprachiger Forschung vorgenommen wird, kaum sinnvoll, vom Begriff ganz abgesehen – im Grunde sind damit Abhängigkeiten außerhalb der rechtlichen Scharfzeichnung »Herr und Sklave« im »römischen« Recht gemeint. Zudem geben sie sich bei näherem Hinsehen meist als Übergangsformen zu Sklavereien zu erkennen; da ist das Konzept der Schuldsklaverei (debt-slavery, James Warren16) allemal besser.

      Mein eigenes Spezialgebiet umfasst die kubanische Sklaverei und Sklavereien in der Karibik sowie die Atlantic slavery (Sklavereien und Sklavenhandel) auf und am Atlantik. Zwischen 1830 und 1880 war Havanna die Zuckermetropole der Welt und im etwa gleichen Zeitraum auch die Metropole des Menschenschmuggels. Dieser Versuch einer Globalgeschichte steht in der Tradition des kubanischen Intellektuellen José Antonio Saco (1797–1879), der ein Rassist war, ganz ähnlich wie sein Vorläufer Francisco de Arango y Parreño (1765–1837), und sich zudem als Adam Smith der Plantagensklaverei und »guter« Sklavenhalter profilierte (weil er seinen Mitsklavenhaltern empfahl, die Versklavten gut zu behandeln).17 Den weitgespannten analytischen und weltgeschichtlichen Ansatz dieser Autoren nehme ich an; den funktionalen Rassismus verweigere ich, analysiere ihn aber als Hauptform der

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