Sklaverei. Michael Zeuske

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Sklaverei - Michael Zeuske Reclam Taschenbuch

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ein und bei Massenopfern wurden auch Menschen niedrigen Status getötet.39

      Eliteversklavte, die mit ihrem Wissen, ihren Fertigkeiten und ihrem Körper Dienste leisten mussten, gab es auch im atlantischen Westen (in geringerem Umfang) mit den sogenannten Königssklaven, den esclavos del rey (z. B. die bekannten congos reales als Artilleristen) oder nègres du roi. Die Versklavten verstanden sich als Elite und brachten dieses Statusbewusstsein auch zum Ausdruck. Trotzdem hatten sie zwischen Versklavungsort in Afrika und dem Sklavereiort in den Amerikas Status eingebüßt, wie auch die genannten Elitesklaven. Mamluken etwa wurden nach Ende der Ausbildung (im Alter von 18 bis 19 Jahren) freigelassen. Die Nucai der Manchu (Militärsklaven, Bannermänner), die im 17. Jahrhundert China eroberten, wurden zwar nicht formell freigelassen, stiegen aber innerhalb des Militärsklavenstatus auf und erreichten sehr hohe Positionen.

      »Schuldner zu sein« und die Schulden nicht zurückzuzahlen, führt beinahe in der ganzen Weltgeschichte zu einem schlechten Status. Fast alle Gesellschaften, mit Ausnahme vielleicht der vorderasiatischen und nordafrikanischen islamischen Kernterritorien, mussten sich mit dem Problem herumschlagen, ob sie Schuldner zu Sklaven machen oder nicht (siehe die Reformen des Solon im 6. Jahrhundert v. Chr., die den Status eines Schuldners vom Status der Versklavung trennten). Die meisten Gesellschaften kannten grundsätzlich keine Trennung zwischen Sklaverei und Schuldnerstatus, und auch in Rom selbst kam es in Krisen zu einer Zunahme von Neuversklavungen wegen Schulden. Verschuldung war oft der Einstieg in ein Sklavenleben.

      Martin Krieger beschreibt die indische Schuldknechtschaft folgendermaßen:

      »Üblicherweise bildete das freiwillige Eintreten armer, verschuldeter Landbewohner in die Schuldknechtschaft den Beginn des Daseins als Sklave. Gerade in Notzeiten, als nach Missernten die Reispreise stiegen, begaben sich zahllose Menschen selbst in ein solches Verhältnis oder verkauften ihre Familienangehörigen«.40

      Ich werde mich deshalb mit dem Problem der Steuerschuldner als Sklaven in der Welt- und Globalgeschichte auseinandersetzen, aber eher selten den Begriff bond-servants benutzen, sondern in der Annahme, dass diese Menschen in Sklavereipraktiken und Gewaltstrukturen gerieten und meist klar zu Sklavenarbeiten, die auch den Körper betrafen, oder Körperdienstleistungen degradiert wurden, von bond-slaves sprechen.41 Chinesische bäuerliche Schuldner etwa, die zu Sklaven degradiert wurden, waren klar für niedere Arbeiten wie Wasserschleppen, Holzsammeln, Entenhüten, Reinigen, Feuermachen sowie die Entsorgung von Abwässern und Fäkalien, Blut, Leichen und Kadavern zuständig. Die innere Degradierung konnte bis zur Negierung der Ehre der jeweiligen normalen Gruppe oder Gemeinschaft reichen (in China etwa die Kaste der jian), ohne dass diejenigen, die es traf, automatisch mit dem Begriff »Sklave« belegt wurden. Aber aus dieser Gruppe stammten viele informell Versklavte. Es ist fast müßig zu sagen, dass »Status« in Gemeinschaften/Gesellschaften nicht einfach für sich steht, sondern immer auch eine extrem wichtige kulturelle Dimension von »lokalem Selbstverständnis […] von Verwandtschaft und von politischer Gruppenbildung«42 sowie Abhängigkeit darstellt.

      Gab es nur wenige Sklaven von außen, blieb es bei der inneren Statusdegradierung. Die versklavten Menschen blieben trotz des niedrigen Status real immer noch Mitglieder der jeweiligen Gruppe oder Gesellschaft, sie waren keine Fremden und trugen »nur« das zeitweilige Stigma der niederen Stellung in der jeweiligen sozialen Hierarchie und Ordnung. In anderen Fällen wurden sie von Eliten bzw. vom Staat in festumrissenen Termini als Sklaven definiert und in der Realität als solche behandelt, oft auf sehr grausame Weise. Sklaverei war in diesen Fällen nicht oder wenig institutionalisiert. Diese Sklavereien vor allem von Frauen und Kindern existierten und existieren überall auf der Welt, aber in sehr lokalen Ausprägungen – was sich meist in einer Vielfalt von »Namen« der jeweiligen Sklavereien ausdrückt. Als Anlass für die Integration Fremder und den Übergang zu auch äußerer Statusdegradierung gilt das Interesse, die eigene Kommunität zu stärken und zu vergrößern, verbunden auch mit internen Kämpfen um Machtpositionen. In einer nächsten Stufe, bei Staatsbildungen, Territorialkonflikten, Verschleppungen, Razzien, Migrationen, Expansionen oder Konflikten mit anderen oder weiter entfernten Gruppen (meist im Zuge der historischen Entstehung und Entwicklung militärisch-monarchischer Regimes, den »Imperien«), kam es zu immer massiveren Statusdegradierungen der von außen in die Gemeinschaft Verschleppten bzw. der eroberten Gruppen und Gesellschaften, meist gebunden an die »Herkunft« oder das Herkunftsgebiet der Versklavten oder Verschleppten.

      Die Hauptmotivation dürfte der Versuch gewesen sein, die von außen in eine bestimmte Gemeinschaft gekommenen Menschen von ihrer Herkunftsgruppe (»Vorfahren«, »Ahnen«, Genealogie) zu trennen. Je mehr Menschen per Zwang und Gewalt von außen in eine Gruppe oder Gesellschaft kamen, desto mehr wurden diese Menschen wegen ihrer »ahnenlosen« sowie verwandtschaftslosen Herkunft oder wegen bestimmter Merkmale stigmatisiert – visuell, nach ›Farben‹, sprachlich, räumlich, religiös oder biologisch (»Tiere«; Herkunft aus Tier-/Mensch-Verbindungen)43 – schließlich auch sichtbar als Körpermarkierung in Ritualen. Diese markierte »Fremdheit«, die Stigmatisierung des ganz »Anderen«, ist also eine ganz archaische Dimension aller Sklavereien.44

      Die meisten Sklavereiforscher, vor allem die der modernen Geschichte (drittes Sklaverei-Plateau), gehen davon aus, dass härteste Routinetätigkeiten auf Feldern, im Bergbau, im Transport oder im Bau sowie niedere Dienste in Häusern die Realität des Lebens von fast allen Versklavten prägten. Es gibt hunderte, möglicherweise tausende Arten von realer Arbeit. Versklavte erledigten meist die schlechten, schmutzigen, ekligen sowie extrem schweren Arbeiten, oftmals mit der immer gleichen Routine bzw. Langeweile. Dazu kamen Tätigkeiten, die mit Tod, Blut, Schmutz, Ekel und Entwürdigung zu tun hatten oder körperlichem Ausgeliefertsein – Letzteres mussten zumindest zeitweilig auch Eliteversklavte (Mamluken oder Frauen und Mädchen für Harems) über sich ergehen lassen. Deshalb gibt es heute in Brasilien eine Debatte über »Sklavenarbeit« (ohne legal ownership). In den Zeiten vor dem dritten Plateau wird meist darauf verwiesen, dass Versklavte unterschiedlichste andere Tätigkeiten und Dienstleistungen verrichten mussten oder Elitesklaven waren, die oft mit Krieg und Tod, unbeliebten Exekutivaufgaben oder körperlichen Diensten zu tun hatten. Aber auch die Versklavten prähistorischer Zeiten, vor allem Frauen und Kinder, mussten niedere Arbeiten (menial works) und eklige Dienste leisten oder mit Tod, Blut, Abfall, Unrat oder Reinigung umgehen. Meist hatten sie auch keine Kontrolle über die Dauer der Arbeiten oder Dienste.

      Sklavenarbeit sowie lange und/oder unregelmäßige Arbeitszeit, Überarbeitung sowie bestimmte Formen der Ernährung (»Sklavenessen«) wirken sich auf Körper, Gesundheit und Psychen von Versklavten aus. Zum Glück ist nie in der bisherigen Geschichte über so viele Generationen Sklaverei ausgeübt worden, dass neue Menschengattungen entstanden wären. Stattdessen hat es immer wieder Rebellionen, Widerstand, Revolutionen, Systemzusammenbrüche und Niedergänge von Imperien gegeben. Sklavereien haben sich zudem weltgeschichtlich in ganz kleinem Umfang, d. h., in kleineren Gruppen unterhalb der Ebene von Staat oder Ähnlichem, in den letzten 20 000 Jahren eher opportunistisch entwickelt. Das bedeutet, dass Sklavereien »ohne Institution« meist nur auf die in diesem Status lebende Person bezogen und nicht generationsübergreifend waren. Das bedeutet aber auch, dass informelle Sklavereien immer wieder entstehen.

      Quellen über institutionalisierte Sklavereien haben wir in schriftlicher Form seit um 2000 v. Chr., materielle Quellen, die mit den Ideen von Fernhandel und Elitenetzwerken verbunden sind, schon seit der Bronzezeit (Beginn um 4000–3000 v. Chr.). Zugleich spielt die aus Vergleichen gewonnene Idee eine wichtige Rolle, dass Jäger und Sammler wirklich extrem opportunistisch Versklavung einzelner Individuen (Frauen, Kinder, Fremde) betrieben. Versklavte stellten in der (kleinen) Gruppe noch eher eine Belastung dar. Größere Gewaltinfrastrukturen und Nachfrage nach dauerhaft Versklavten entstanden überhaupt erst mit Bodenbau, Viehhaltung und festen Häusern (auch Paläste, Tempel und Jurten), d. h. im Laufe des Neolithikums, einigermaßen sicher wahrscheinlich, wie gesagt, in der jeweiligen Bronzezeit.

      Auch wenn sich viele Texte über Versklavte mit Widerstand, Rebellionen oder Formen von institutionalisierter Sklaverei beschäftigten, wurde

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